Diffamierung, Verschleierung, Sprachverdrehung und das Risiko eines 3. Weltkrieges

Autorenpapier von Bernhard Trautvetter

(Der Friedensappell kann weiterhin unterzeichnet werden unter https://gruene-linke.de/2022/11/15/appell-fuer-den-frieden/  und https://chng.it/N2ggCS5Q, bitte BEIDE Listen zeichnen)

Gegenwärtig stellen sich viele Kommentare gegen die Friedensbewegung im Allgemeinen und gegen den Pazifismus im Besonderen. Der Vorwurf, Pazifisten reden das Leid von Opfern um lieb gewordener Prinzipien willen klein, immer wieder anders formuliert, doch im Kern häufig wiederholt, verfehlt seine Wirkung nicht.

Nun ist auch der linke Ministerpräsident Ramelow für schwere Waffen an die Ukraine.

Jesko zu Dohna beklagte in der Berliner Zeitung bereits wenige Tage nach dem 24. Februar 2022, in Deutschland gebe es einen „toxischen Pazifismus …, der uns in Washington, London und Paris seit Jahrzehnten zu Recht zum Gespött macht.

Den Begriff des giftigen Pazifismus malte wenig später Sascha Lobo mit einer Diskreditierung breiter Teile der Ostermärsche im Spiegel aus: „Die deutsche Friedensbewegung schien zu ihrem diesjährigen Hochamt, den Ostermärschen für den Frieden, grob zweigeteilt. Auf der einen Seite stehen die Vernunftorientierten, … die einen aufgeklärten, realistischen Pazifismus verfolgen … Skepsis gegen Militarismus, Brechung kriegspositiver Erzählungen, Radikalität bei der Schaffung der Voraussetzungen für Frieden, aber eben auch Akzeptanz des Wunsches von Angriffsopfern, sich zu verteidigen. Auf der anderen Seite steht ein substanzieller Teil der Friedensbewegung, die ich den deutschen Lumpen-Pazifismus nennen möchte. Es handelt sich dabei um eine zutiefst egozentrische Ideologie, die den eigenen Befindlichkeitsstolz über das Leid anderer Menschen stellt. Lumpen-Pazifisten mögen mit der Realität nicht besonders viel anfangen können, aber sie sind nicht in erster Linie naiv …  Lumpen-Pazifisten sind zuvorderst selbstgerecht.“ 

Robert Habeck nutzte seine Kritik an den Ostermärschen für eine Werbung von Waffenlieferungen an die Ukraine und verband diese Forderung mit den Worten, der Pazifismus sei ein ferner Traum. Die so weitgreifende und regelmäßige Stimmungsmache gegen den Pazifismus gibt es, so lang anhaltend die Friedensbewegung seit Beginn der Bundesrepublik Deutschland gegen die Militarisierung aktiv war und ist:

Ein Blick zurück

Die frühen Jahre der Bundesrepublik erlebten eine ‚Ohne uns!‘-Bewegung gegen die Wiederbewaffnung; im Verlauf dieser Bewegung erschoss ein Polizist 1952 den jungen Philipp Müller während einer sogenannten ‚Friedenskarawane‘ in Essen.

Ende der 1950er Jahre opponierte die Friedensbewegung erfolgreich gegen die Pläne der CDU/CSU, die Bundesrepublik atomar aufzurüsten: Der Göttinger Appell ‚Kampf dem Atomtod‘, mit dem sich anerkannte Wissenschaftler, darunter Otto Hahn und Carl Friedrich von Weizsäcker den Nuklearplänen entgegenstellten, trug dazu bei, dass die bundesdeutsche Regierung dieses Vorhaben verwarf. An diese Erfolge knüpfte die dann aufkommende Ostermarschbewegung an. Wenig später erreichte die Bewegung gegen den Krieg der USA in Vietnam einen breiten Zuspruch, ehe sich dann ab dem Beginn der 1980er Jahre Millionen Menschen gegen den Plan der Bundesregierung und der Nato stellten, Enthauptungsschlag-Atomraketen mit minutenschneller Flugzeit bis Moskau in Deutschland aufzustellen. Die Proteste der 1990er Jahre gegen die Golfkriege und der frühen Jahre des 21. Jahrhunderts gegen den Afghanistan-Krieg folgten. Sie alle haben auf Seiten der Militärlobby Beratungen darüber verstärkt, wie sich dieser „toxische Pazifismus“ abbauen und bekämpfen lässt.

Ein Element der Massenbeeinflussung besteht darin, Konflikten nicht auf den Grund zu gehen, sondern die Betrachtung der Ereignisse an einem für die eigene Argumentation passenden Punkt der Eskalation beginnen zu lassen. Dieser Punkt kommt dann entweder aus heiterem Himmel oder einer psychischen Disposition derjenigen Seite, die die Kampfhandlungen eröffnet hat.

Putins Krieg öffnet endgültig den Weg

Der Plan ging ab dem 24.2.2022 mit der Invasion russischer Truppen in die Ukraine auf. Kanzler Olaf Scholz verkündete 3 Tage nach dem 24.2. in seiner Rede unter dem propagandistisch wirksamen Begriff ‚Zeitenwende‘: „Die deutsche Bundeswehr soll zusätzlich 100 Milliarden Euro bekommen. Selbst Parteien, die die Aufrüstung lange abgelehnt hatten, unterstützen das Sondervermögen jetzt. Auch ein Großteil der Bevölkerung befürwortet die Militärausgaben im Angesicht des Krieges in der Ukraine.“

Selbst die Tatsache, dass fast ein Zehntel der 100 Milliarden für das so getaufte Sondervermögen in den Ankauf von F-35 Atombombern aus den USA für den Nuklearkrieg vorgesehen ist, ändert an der breiten Unterstützung für die Hochrüstung nichts; mit einer Solidarität mit der Ukraine haben Posten wie die Milliarden für die F-35 nichts zu tun.

Fehler Nato-Erweiterung

Jene, die die Gewalteskalation in der Ukraine für eine Steigerung der Hochrüstung sowie für eine Diskreditierung des Pazifismus benutzen, täuschen die Öffentlichkeit nicht nur mit der Herabwürdigung der pazifistischen Friedensbewegung als verantwortungslos, naiv oder durchtrieben, sie blenden zugleich den Anteil der Nato an der Steigerung der Spannungen im Vorfeld der Invasion russischer Militärs in die Ukraine aus. Sie streuen den Menschen Sand in die Augen und machen vergessen, dass führende US-Strategen wie George F. Kennan, Matlock, ehemaliger US-Botschafter in der Sowjetunion, Ex-Pentagon-Chef Gates teils schon direkt seit dem Beginn der Nato-Osterweiterung, dass dies die Kriegsgefahr steigert. Dazu schrieb beispielhaft der Erfinder der Containment-Politik der Nato George F. Kennan im Februar 1997 in der New York Times: „Die Meinung ist, unverblümt gesagt, dass die Erweiterung der NATO der verhängnisvollste Fehler der US-Politik in der gesamten Nachkriegszeit wäre. Die US-Machtausdehnung bis an die Grenzen Russlands lässt erwarten, dass die nationalistischen, antiwestlichen und militaristischen Tendenzen im russischen Denken entzündet werden, dass sie einen schädlichen Einfluss auf die Entwicklung in Russland haben, dass sie die Atmosphäre des Kalten Krieges in den Beziehungen zwischen dem Osten und dem Westen wiederherstellen und die russische Außenpolitik in Richtungen zwingen, die uns entschieden missfallen werden.  …

Es ist natürlich unglücklich, wenn Russland mit einer solchen Herausforderung konfrontiert würde. … . Doppelt unglücklich ist das Ganze zudem, wenn man bedenkt, dass es für diesen Schritt überhaupt keine Notwendigkeit gibt. Warum sollten sich die Ost-West-Beziehungen bei all den hoffnungsvollen Ansätzen, die das Ende des Kalten Krieges mit sich bringt, auf die Frage konzentrieren, wer mit wem und … gegen wen in einem …, total unvorhersehbaren und unwahrscheinlichen künftigen militärischen Konflikt verbündet sein könnte?“

Risiko Atomkrieg

Die Strategen des Westens legten es darauf an, es so weit kommen zu lassen, wie es jetzt kam. Auf ihr Spiel mit dem Feuer, mit der menschlichen Zivilisation folgt dieser Tage der Versuch, sich selbst weiß zu waschen. Dass die Militärs lange schon wussten, welches Risiko sie eingehen, offenbart ein Blick  in Dokumente der Nato-Strategieschmiede ‚Joint Air Power Competence Centre (JAPCC)“: Bereits 2014 stellte das JAPCC infrage, dass es keinen großen Krieg mehr in Europa geben werde, wie es in der Studie Future Vector Part I Seite 141 steht; Seite 70 empfahlen die Strategen in diesem Kontext einen „angemessenen Mix“ nuklearer und konventioneller Fähigkeiten, in anderen Worten: Sie riskierten  bewusst den Atomkrieg in Europa. Sie erklärten Seite 141 auch, wo er beginnen könne: Es waren die Gebiete unmittelbar westlich der russischen Westgrenze. Das sind die Gebiete, die in die Nato aufgenommen worden sind oder die dies anstreben.

Ihnen war auch die nukleare Gefahr klar, die sich aus einem Krieg in der Ukraine ergibt, einem Land mit 15 Atomreaktoren, die sich allesamt aufgrund ihrer absoluten Abhängigkeit einer zuverlässigen Strom- und Wasserversorgung für die Verhinderung einer Kernschmelze

Die Nato hat ohne größeres Aufsehen in der Öffentlichkeit im Mai 2014 die sogenannte Übergangsregierung Jatsenjuk in Kiew darin beraten, was sie mit ihren Atomanlagen im Krieg macht. Es ging nicht darum, Krieg zu vermeiden, sondern die Nuklearreaktoren im Kriegsfall vor einem GAU zu bewahren; das kann unter Kriegsbedingungen niemand. Die Militärs gehen Risiken ein, die niemand eingehen darf. In der Konsequenz de-legitimieren sie die Friedensbewegung und manipulieren die Bevölkerung, um sie für ihr hochriskantes Risiko zu gewinnen. Das nennen die Nato und die Ampelregierung sowie große Teile der parlamentarischen Opposition Sicherheitspolitik. Das ist eine babylonische Sprachverdrehung. Eine Sicherheitspolitik liefert keine schweren Waffen in Kampfgebiete mit Atomanlagen, sondern sie hält die völkerrechtlichen Texte ein, die eine Friedensordnung der gemeinsamen Sicherheit verordnen. Das ist Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert. Auch und gerade angesichts der Kriege in mehreren Teilen der Welt.

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