Die COP 27 und das finale Versagen der Politik

Autorenpapier Karl-W. Koch

Seit der Klimakonferenz 1992 in Rio de Janeiro kann kein*e Politiker*in sagen, er*sie wüsste nicht, um was es geht, was man dagegen machen müsste und was die Folgen sein werden, wenn nichts bzw. nicht genug getan wird. Wissenschaftler*innen haben seither ihre Vorhersagen verfeinert, dummerweise hat sich dabei fast regelmäßig gezeigt, dass alles vermutlich noch schlimmer und noch schneller erfolgen wird als erwartet.

Seit 1995 folgt jährlich eine Klima-Konferenz (COP) auf die nächste, seit 1995 werden Beschlüsse getroffen, meist unverbindlich. Und selbst diese werden anschließend wieder verwässert bis zur Unkenntlichkeit. Auch die kleinsten vermeintlichen Erfolge wurde gefeiert. Die Jubelfeier von Paris 2015[1] wurden von der ersten Minuten an von den Fachleuten als verfrüht und überzogen empfunden, ihre Einstufung hat sich spätestens jetzt bestätigt.

Und die COP 27 toppte im Negativen alles Bisherige: Der Gastgeber versagte offenbar völlig, die Öl- und Gas-produzierenden Staaten zockten durch und gewannen, ein Ausstieg von Öl und Gas wird in der Abschlusserklärung nicht erwähnt. China drückte sich erfolgreich vor jeder Kostenübernahme für die Folgekosten im – immerhin – beschlossenen Fonds für klimabedingte Schäden in ärmeren Ländern. Allerdings sind alle Fragen der Finanzierung dieses Fonds offen geblieben, auch weil die USA alles als unverbindlich erklärte. Der US-Klimabeauftragte Kerry betonte, es komme aber nicht in Frage, dass die reichen Industrieländer eine Billion Dollar für Kompensationen durch Klimaschäden auf den Tisch legten. Es werde nicht funktionieren, reiche Ländern rechtlich schadenersatzpflichtig zu machen.[2]

Der Ausstieg aus den Fossilen und die Finanzierung des Fonds waren – lauthals verkündet – im Vorfeld die „unverhandelbaren Bedingungen“ für die Zustimmung der EU und auch ausdrücklich von Deutschland. Am Ende wurde eingeknickt und durchgewunken, besonders peinlich in Anbetracht der vorhergehende Beteuerungen, das nicht zu tun.

Die EU-Kommission knüpfte zuvor mögliche Ausgleichszahlungen an stärkere Anstrengungen, den Schadstoffausstoß zu reduzieren. Außerdem forderte sie, dass auch Länder wie China einzahlen, das für sich aber nach wie vor den Status eines Entwicklungslandes beansprucht. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) stellte klar, dass Rückschritte beim Klimaschutz für die Europäische Union inakzeptabel wären. Schlimmer als kein Ergebnis wäre ein Ergebnis, das den Konsens der Konferenzen von Glasgow und Paris aufweichen, verwässern oder gar zurückdrehen würde, sagte die Grünen-Politikerin.[3] EU-Kommissionsvize Frans Timmermans kritisierte die Abschlusserklärung mit scharfen Tönen als unzureichend und verfehlt, stimmte aber dennoch zu. “Was wir vor uns haben, ist nicht genug als Schritt voran für die Menschen und den Planeten“, so Timmermans. In den Verhandlungen habe es zu viele Versuche gegeben, sogar Einigungen der Vorjahreskonferenz von Glasgow zurückzuschrauben. Nun müssten alle anerkennen, dass die Teilnehmer beim Kampf gegen die Erderwärmung nicht genug getan hätten.[4]

Außenministerin Annalena Baerbock redet sich die Misserfolge schön. “Die Weltgemeinschaft schafft gemeinsame Finanzierungsmechanismen, um gezielt den am stärksten betroffen Menschen bei Klimakatastrophen zu helfen. Damit schlagen wir ein neues Kapitel in der Klimapolitik auf.” Zudem sei es gelungen, einen Rückschritt hinter die Ergebnisse der Klimakonferenzen von Glasgow und Paris zu verhindern, und das Ziel zu verteidigen, die Erderwärmung auf 1,5 °C im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen.[5]

Musterknabe Deutschland?

Aber der Musterknabe Deutschland – der ja vorangeht und das Klima rettet – schreitet der wenigstens unbeirrt voran …? Im Gegenteil: Die Klimaziele werden verfehlt. Vor allem das Verkehrs-Ministerium (FDP) hinkt hinterher. Dabei gilt: Bis 2030 will die Bundesregierung insgesamt 65 % der Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 einsparen. Bis 2045 will sie sogar Treibhausgasneutralität erreichen. Die Fakten: die Reduzierung im Verkehrsbereich von 1990 – 2021 betrug die Reduzierung 9,4 %[6]. 2021 war die Gesamt-Reduzierung 38,7 %, allerdings gab es im letzten Jahr eine Erhöhung (!) um 4,1%. Also, ein wenig Mathematik: in 31 Jahren eine Ersparnis um 39 %, da sind in acht Jahren die restlichen 26 % doch locker drin …?

Ein weiteres Highlight, Kanzler Olaf Scholz: Zunächst hatte er in Sharm El-Sheikh vor einer “Renaissance” von Öl, Gas und Kohle gewarnt. Zu dem geplanten globalen Schutzschirm für Klimarisiken (Die Mittel sollen besonders stark vom Klimawandel betroffenen Ländern zugutekommen. Dazu werden nach Angaben der Bundesregierung inzwischen 57 Länder gezählt) werde Deutschland eine Anschubfinanzierung von 170 Millionen Euro gewähren, in Anbetracht der bereits aktuellen Kosten schlicht lachhaft.[7][8] Dann aber wurde bereits im August vereinbart, in Senegal ein neues Gasfeld zu erschließen– unterstützt vom deutschen Bundeskanzler. Das erste Gas wird frühestens Ende 2023 fließen, für die aktuelle Krise ist es also völlig irrelevant. Noch im November 2021 hatte Deutschland sich bei der UN-Klimakonferenz in Glasgow zusammen mit über 20 anderen Staaten verpflichtet, öffentliche Investitionen in fossile Brennstoffe im Ausland bis Ende 2022 einzustellen.[9]

Wirklichkeit und Politsprech

Hier zeigt sich am besten der Spagat zwischen Wirklichkeit und Politsprech: Deutschland hat sich in aktuell gegenüber dem Zeitraum von 1881 bis 1910 um 1,9 °C erwärmt , im Vergleich zu dem Referenzzeitraum von 1961 bis 1990 liegt die Temperatur bereits 1,0 °C höher. Und das Klima zeigt ein Verhalten wie ein Großtanker oder ein schwerer Güterzug. Wenn denn wirklich mal gebremst würde, geht der Kurs zunächst unverändert weiter. Nur wird nicht gebremst, bis auf Weiteres. Und das „bis auf Weiteres“ wurde erneut vertagt, eine gängige Übung bei den COPs.

Wir betreiben in Deutschland eine ambitionierte Klimapolitik und haben Gesetze verabschiedet, durch die der Ausbau der Erneuerbaren Energien noch einmal deutlich beschleunigt wird. Das gibt uns auf internationaler Ebene die notwendige Glaubwürdigkeit, um auch die globale Energiewende voranzutreiben.“ So die deutsche Klimaschutz-Staatministerin Morgan auf der COP 27.[10] Noch realitätsferner hat bei einer internationalen Konferenz wohl selten ein*e deutsche*r Politiker*in gesprochen. Der Expertenrat der Bundesregierung für Klimafragen, ein Gremium von fünf Wissenschaftler ist realistischer, die bisherigen deutschen Emissionsreduktionen reichten „bei weitem nicht aus, um die Klimaschutzziele für das Jahr 2030 zu erreichen.[11]

Wenn sich ein Industrieland wie Deutschland nicht an seine Verpflichtungen  zum Klimaschutz hält, ist das für Länder wie China oder Indien eine Einladung, es ebenfalls zu tun … Wenn es Deutschland … gelänge seine Emissionen massiv zu reduzieren, (wäre die Wirkung) über den Nachahmer-Effekt in anderen Ländern viel größer“, bringen es die ZEIT-Autor*innen auf den Punkt.[12]

Wie weiter?

Aus all dem ergibt sich die Frage, was an Handlungsoptionen noch bleibt, wenn Klimakonferenzen 27 mal versagen und die UN offenbar kapituliert (s. die nachlesenswerte Rede Guterres[13]: „… Selbst wenn die jüngsten Zusagen klar und glaubhaft wären – an einigen gibt es in der Tat ernste Zweifel –, schliddern wir weiter auf eine Klimakatastrophe zu. Selbst im günstigsten Fall werden die Temperaturen um deutlich mehr als zwei Grad steigen. … Ein Scheitern ist für sie keine Option, sondern ein Todesurteil. Exzellenzen, die Stunde der Wahrheit hat geschlagen.“).

Zur Erinnerung: Das Bonner UN-Klimasekretariat teilte vor der COP mit, die Welt sei weit davon entfernt, bis Ende des Jahrhunderts die 2015 ausgegebenen 1,5 °C  Erderwärmung ausgehend vom Durchschnitt des vorindustriellen Zeitalters einzuhalten. Man sei immer noch in Ausmaß und Tempo weit von der notwendigen Emissionsverringerung entfernt, die die Menschheit zurück auf die Spur zu 1,5 °C Temperaturanstieg bringen würde, sagte UN-Klimachef Simon Stiell. “Um dieses Ziel aufrechtzuerhalten, müssen nationale Regierungen ihre Klima-Aktionspläne verstärken und sie in acht Jahren umsetzen.” Verstärken und in acht Jahren umsetzen, nicht abschwächen und verwässern.

Und wenn wir nicht ausreichenden Klimaschutz betreiben, sind die Folgen absehbar – auch dabei wird niemand sagen können, er*sie habe es nicht gewusst. Auch wenn der Fernsehmoderator Lanz[14] meinte seinen Gast, die Klimaaktivistin Carla Rochel, vorführen zu müssen, stimmt – entgegen seinen schulmeisterlichen Belehrungen – die Aussage der ZEIT-Autor*innen:

Zwar hat die Geschichte der Menschheit Anpassungen an unterschiedliche klimatische Bedingungen. Es gab Wärmeperioden, es gab Kälteperioden, die Menschheit hat überlebt. Nur waren die schon diese Anpassungsprozesse mit Kriegen, Revolutionen und Hungersnöten verbunden. Außerdem hat sich das Klima nie zuvor in so kurzer Zeit so stark verändert wie jetzt.[15]

[1] https://www.dw.com/de/kommentar-der-verfr%C3%BChte-jubel-von-paris/a-18916479

[2] https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/un-klimaschutz-paris-ziele-101.html

[3] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/klima-cop27-kritik-klimakonferenz-verlaengerung-100.html

[4] https://www.tagesschau.de/eilmeldung/klimakonferenz-cop27-eu-abschlusserklarung-klimawandel-101.html

[5] https://www.tagesschau.de/eilmeldung/klimakonferenz-cop27-eu-abschlusserklarung-klimawandel-101.html

[6] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/klimaziele-verkehr-bau-101.html

[7] Die Kosten werden auf 10 Mrd.  geschätzt

[8] https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/klimakonferenz-scholz-rede-101.html

[9] https://www.zeit.de/2022/32/energiegewinnung-erdgas-olaf-scholz-senegal-afrika

[10] ZEIT 47, 17.11.2022: Dossier – Carla und der Rest der Welt, S. 18/19

[11] ZEIT: ebenda

[12] ZEIT: ebenda

[13] https://unric.org/de/guterrescop2601112021/

[14] ZDF, Markus Lanz, 9.11.2022: “Letzte Generation”: Wie weit darf Protest gehen?
https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-9-november-2022-100.html#xtor=CS3-162#xtor=CS3-162

[15] ZEIT: ebenda

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