Der Globale Norden aus der Sicht des Globalen Südens. Ein Blickwechsel

Münchner Friedenskonferenz 2024. Ein Bericht von Maria Feckl

Die Komplexität der Perspektiven des Globalen Südens macht klar, dass es nicht die eine Perspektive des Globalen Südens gibt. Dr. Boniface Mabanza Bambu, Koordinator bei der deutschen Kirchlichen Arbeitsstelle südliches Afrika, erklärt dazu: „Was es gibt, sind gemeinsame Erfahrungen von Kolonisierung, von Versklavung, von Dehumanisierung“.

Dr. Mabanza führte die sehr verschiedenen Perspektiven anhand der angestrebten Energiewende des Westens bzw. Nordens vor Augen. Der Norden strebt die Energiewende an, damit der Klimawandel gestoppt wird und sich möglichst wenig ändert. Die Länder im Süden aber erfahren bereits täglich die Auswirkungen des Klimawandels. Darüber hinaus setzt der „Norden“ seine kolonialen Praktiken fort. In Namibia beispielsweise, einem Land mit großer Fläche und dünner Besiedlung, gibt es viel Sonne und Wind. Energiekonzerne des Nordens produzieren Wasserstoff, der zur Nutzung durch die Industrie im Norden in Ammoniak umgewandelt wird, während das Land an Energiearmut leidet bzw. keine Energie für einen Energiewandel hat. Die Wertschöpfung findet immer noch im „Globalen Norden“ statt. Der afrikanische Kontinent verliert zusätzlich menschliche Ressourcen durch Abwanderung neben den zuvor beschriebenen materiellen und finanziellen.

„Wir brauchen ein anderes Menschenbild. Wir brauchen […] eine Kulturrevolution, die uns erlaubt, auf die Basics zurückzukehren. Und die Basics artikulieren sich um Fragen wie: Was ist ein Mensch? Was macht ihn [oder sie] aus? Was ist das Leben? Und was ist das Leben, das sich lohnt zu leben?“, sagt Dr. Mabanza. „Wenn wir diese Fragen beantworten, würden wir feststellen, dass sich unsere Zivilisation in eine Richtung bewegt hat, die uns nicht guttut. Was wir brauchen, ist eine Neuentdeckung der Traditionen, die überall in der Menschheit existieren.“

Geschichtsschreibung um emotionale Erfahrungswelten erweitern

Prof. Dr. Olaf Müller, Humboldt-Universität zu Berlin, wies in die gleiche Richtung. Unsere Geschichtsschreibung ist einseitig an den Kriegen und Schlachten ausgerichtet. Es fehlt auch die Perspektive der Frauen. Folgende Fragen könnten die Perspektive weiten: Wie leben Gesellschaften zusammen, die gewaltfreiere Methoden des Konfliktaustrags anwenden? Welche Erfahrungen gibt es in der Geschichte und in anderen Kontinenten? Hier gäbe es ein weites Forschungsfeld, so Müller. In der europäischen Wissenschaft scheint der Erkenntnisgewinn allein auf den Verstand und die Vernunft beschränkt. Emotionale Erfahrungswelten werden nicht beachtet, nicht gefördert und abgewertet.

Olaf Müller forderte die Zuhörer:innen heraus mit der Aussage, dass der pragmatische Pazifismus eine Position ist, die „kriegerische Handlungen, Kriegsführung für moralisch zweifelhaft hält, egal ob im Angriff oder in der Verteidigung“.

Die pazifistische Sicht, besonders der pragmatische Pazifismus will die Verengung auf eine Schwarz-Weiß-Sicht überwinden und spürt Graustufen in Tendenzaussagen nach. Müller führte aus: „Es geht ungefähr so: Je kriegerischer eine Handlung ist, die man gerade plant, umso zweifelhafter ist sie. Besonders kriegerisch ist es, eine Stadt auszulöschen, aber es ist auch schon kriegerisch, eine Panzerbesatzung kampfunfähig zu schießen. Es ist kriegerisch, Brücken zu zerstören, um Nachschublinien zu durchbrechen. Es ist kriegerisch, Waffen zu liefern in Kriegsgebiete. Es ist kriegerisch, Waffen zu produzieren und Waffenforschung zu machen. Aber nicht alles das ist gleichermaßen kriegerisch.“

Die pazifistische Sichtweise ist eine optimistische und eine pessimistische Sichtweise zugleich. Sie hat eine optimistische Grundannahme auf die Natur des Menschen. Die pessimistische Sichtweise blickt auf Risiken und Gefährdungen des Lebens wie zum Beispiel auf einen Krieg, der die Gefahr in sich birgt, ein Atomkrieg zu werden und die „Menschheit in Stäubchen“ zu verwandeln.

Globale Krisen begannen lange vor Corona

Dr. Mabanza analysierte, dass das Krisenbewusstsein des „Globalen Nordens“, das sich durch den Krieg Russland/Ukraine verstärkt hat, bereits in der Coronapandemie eingesetzt hat, durch die Erfahrung, dass Lieferketten nicht mehr funktionierten. Für die Menschen in Libyen, im Irak, in Afghanistan oder im Ostkongo, wo die NATO immer schon Kriege oder Stellvertreterkriege geführt hat, hat die Katastrophe nicht erst vor zwei Jahren begonnen. Die Katastrophe dauert für viele Menschen auf dem Globus schon lange an.

In Deutschland ist als Reaktion auf diese Krisen eine Verengung in der Diskussionskultur festzustellen. Olga Karach, Menschenrechtsaktivistin aus Belarus, erinnert diese Verengung der politischen Meinungen und der Medienberichterstattung an Länder, die sich im Krieg befinden. Maria R. Feckl, Organisatorin der Münchner Friedenskonferenz stellt fest, dass die Konferenz 2024 verschiedene Anfeindungen erfahren hat. Politisch gewollt sind nur noch Veranstaltungen, die sich mit einseitig militaristischen Lösungen zufriedengeben. Militarisierung scheint das Allheilmittel für alle Probleme, sei es der Klimawandel, die Migration oder seien es politische, geostrategische Konflikte um Einflusssphären oder Rohstoffe.

Diesen multiplen Krisen wie auch der Klimakatastrophe können wir nur etwas entgegensetzen, wenn wir alle unsere Ressourcen mobilisieren, die kulturellen, geistigen und spirituellen Ressourcen, so Dr. Mabanza: „Aber vor allem brauchen wir die Entwicklung der Fähigkeiten der Menschen, sich in den Dienst ihrer Gesellschaften zu stellen.“

Zivilgesellschaftliche Graswurzelbewegungen

Selbsternannte Eliten, sowohl im Globalen Süden wie Norden, pflegen unheilvolle Allianzen und eine seit Jahrhunderten herrschende Kultur des Todes. In allen Erdteilen gibt es Profiteure wie auch Verliererinnen und Verlierer des kapitalistischen und neokolonialen Wirtschaftssystems. Daher forderte Dr. Mabanza Bambu zusammen mit Prof. Yanis Varoufakis, Nationale und Kapodistrias-Universität Athen, Graswurzelbewegungen. Grenzziehungen zwischen Norden und Süden, Westen und Nicht-Westen sollen aufgebrochen werden. Die Graswurzelbewegungen können keine der Regierungen sein, sie müssen zivilgesellschaftliche Bewegungen werden. Sie müssen von Menschen u.a. aus Deutschland, Nigeria, Südafrika, China und den Vereinigten Staaten getragen werden.

Dr. Mabanza erinnert an die Philosophie der Zapatista, einer indigenen Organisation im ärmsten Bundesstaat Mexikos: „Schaffen wir eine Welt, in der viele Welten Platz haben“.

Maria R. Feckl, Organisatorin der Internationalen Münchner Friedenskonferenz

Mehr: Die Internationale Münchner Friedenskonferenz 2024 – Der Elefant im Diskursraum.

 

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