von Simon Lissner, 29.2.2012
Beate Klarsfeld wurde nun von der LINKEN als Präsidentschaftskandidatin vorgeschlagen. Dieser Vorschlag hätte uns GRÜNEN gut angestanden. Gerade angesichts der Reminiszenzen an die NS-Vergangenheit, die wir vor wenigen Wochen erlebten, wäre Beate Klarsfeld eine würdige, eben glaubwürdige Bundespräsidentin (zur Biografie von Serge und Beate Klarsfeld https://de.wikipedia.org/wiki/Beate_Klarsfeld).
Das Erschrecken über eine terroristische Bande (“Nationalsozialistischer Untergrund”), die insgesamt länger als ein Jahrzehnt unbehelligt und, ja, man muss wohl konstatieren, im Schutz der sogenannten Verfassungsorgane eine Spur von Raub und Mord durchs Land ziehen konnte, erscheint im Lichte des traditionellen Umgangs mit Naziverbrechern ganz anderen Kalibers in weiten Kreisen, durchaus heuchlerisch. Zwar ist Alexander Dobrindt (Generalsekretär, CSU) auch für ein Verbot der NPD, jedenfalls vordergründig. Sollte er das wirklich ernst meinen, dann würde seine Interpretation interessieren, weshalb der CSU Innenminister nicht in die Puschen kommt. Er sollte ferner darüber aufklären, weshalb in der Vergangenheit agierende Terrorgruppen von bayerischem Boden aus ihren “Wehr”übungen nachgehen konnten und über das Münchner Attentat schnellst möglich eine dicke Staubschicht gelegt wurde.
Die Google-Suche zum Thema “Bayern und Rechtsradikalismus” bringt lockere 1.5 Millionen Einträge. Da sollte es dem Bayerischen Innministerium nicht schwer fallen, aktiv zu werden. Außerdem sollte er seine eigene lose Zunge hüten. Rassistische Plaudereien qualifizieren nicht wirklich zum obersten Hüter des Rechtsstaates. Überraschen konnte der Vorstoß des CSU-“Generals” Alexander Dobrindt kaum. Eher überraschend ist, wie wenig Rechtspopulisten am Ende in die Forderung nach einem Verbot der LINKEN eingestiegen sind. Aber das ist letzten Endes auch egal. Die Saat die Dobrindt säen wollte ist gesät. Im Bedarfsfalle kann man den Unsinn von wegen “Links=Rechts” jederzeit wieder aufwärmen. Spätestens wenn es darum geht, das Rechtskartell nach neuen Terroranschlägen zu entlasten. Im Getöse geht unter, dass der Rechtsterror sich nahezu täglich gegen Menschen in diesem Land richtet. Das Erschrecken darüber, dass eine Melange aus gewalttätigen Dumpfbacken “subalterne” Mitglieder unserer Gesellschaft trifft, ist bekanntlich eher gering und hat jedenfalls nicht zur ernsthaften Bekämpfung der Verursacher geführt. In diesem Zusammenhang ist es eine interessante Fußnote, dass Dobrindt seinen Entlastungsversuch auf den Tag legte, an dem der Reaktionär Hindenburg die Macht an den Nazi Hitler übergab: 30. Januar 1933. Ob er das wusste?
Dobrindt, Jahrgang 1970, die “Welt” bemerkt: “Mit ihm muss gerechnet werden. Zumal sich ein Machtanspruch von seiner Herkunft herleitet. Dobrindt vertritt den Wahlkreis Weilheim/Garmisch. 40 Jahre lang war das die politische Heimat von Franz Josef Strauß.” (https://www.welt.de/politik/deutschland/article13846210/Schreihals-Dobrindt-macht-was-er-am-besten-kann.html).
Nun ja. Dobrindt. Aber die Steinbach, Erika, die geht gleich noch einen Schritt weiter und erklärt die NSDAP zur Linken Partei: „Irrtum. Die NAZIS waren eine linke Partei. Vergessen? NationalSOZIALISTISCHE deutsche ARBEITERPARTEI…..“ (Twittermeldung nach https://www.freitag.de/community/blogs/aredlin/erika-steinbach-die-nazis-waren-eine-linke-partei).
Dieser ganze unappetitliche Sumpf, der sich in CSU und CDU hält, ist gewiss kein Zufall, Und der sieht natürlich im Zuge der Verfolgung terroristischer Gewalttaten von Rechts die ganze “Innung” in Gefahr. Angeregt durch eine Rede Hans-Christian Ströbeles über den Bundesnachrichtendienst und die NS-Vergangenheit dieses Dienstes, fielen mir sogleich der Begriff “Rattenlinie” ein, sowie schien mir, da war doch was, also Rom, Bologna, München, bis hinauf zu Andreotti und Franz Josef Strauß. Mein mangelndes Gedächtnis ließ mich mit einem alten Freund sprechen, Gedächtnisstütze. Wikipedia und andere elektronische Quellen, deren wir uns heute bedienen, geben da (noch) nicht allzu Tiefes her und da helfen dann schon Gespräche von Mensch zu Mensch.
Folgende Geschichte, eventuell recherchieren Berufenere da ja weiter, sei also erzählt, wie ich sie erinnere:
“Die ganze Geschichte, die vom Abgeordneten nur sehr selektiv erzählt wird, ist in einem einmaligen Film – Marcel Ophüls: Hôtel Terminus – präzise dokumentiert. Er bekam 1989 einen Oskar als bester Dokumentarfilm. Leider gibt es ihn offenbar nicht auf dvd. Demnach wurde Barbie nicht einfach “aufgrund der Recherchen der Klarsfelds” von der neuen demokratischen Regierung Boliviens festgenommen und “nach Frankreich ausgeliefert”. An der Aktion nahm Serge Klarsfeld mit einigen Mitstreitern persönlich teil. Diese Gruppe war auch mutig genug, sich nicht von völkerrechtlichen Formalitäten beirren zu lassen. Deshalb wurde von der Verteidigung Barbies später auch der Vorwurf einer Entführung erhoben (Parallele zu Eichmann). Höhepunkt des Films ist, wie sich Barbie – bereits im Flugzeug – selbstsicher und souverän präsentiert: Na wenn schon, wenn ich in Deutschland aus dem Flugzeug steige, bin ich sowieso wieder ein freier Mann (wegen seiner Auftraggeber und Freunde). Aber sein Gesicht fällt innerhalb von einer Zehntelsekunde in sich zusammen und wird kreidebleich, als ihm Serge Klarsfeld sagt: Sie irren, wir fliegen nach Frankreich.
Der Flug ging nach Lyon, Barbies erstem Tatort. Die Bevölkerung war bereits vor der Landung informiert. Eine alte Witwe eines ermordeten Widerstandskämpfers holte ein steinaltes Gewehr aus einem Versteck (so wie eben Partisanen sind) und musste daran gehindert werden, ihn bereits am Flughafen zu erschiessen.
Klarsfeld wurde auch vom persönlichen Berater des damaligen Präsidenten Mitterrand, Regis Debray, nach Bolivien begleitet. Es ist äußerst ungewöhnlich, dass ein derart hochrangiger Politiker an einer Untergrundaktion teilnimmt. Es war aber sehr hilfreich gegenüber der bolivianischen Politik, die in diesem Fall durch einen Innenminister vertreten war, Gustavo Sanchez Salazar, der ein linker Gewerkschafter war. Er hatte wie Debray eine “bolivianische” Rechnung zu begleichen. Beide waren von den Schergen Barbies, der zur Zeit der Militärdiktatur(en) als Berater im Innenministerium ein- und ausging, verfolgt worden. Debray war als Guerrillero in Che Guevaras kleiner Gruppe festgenommen und gefoltert worden, konnte aber – anders als etwas später Che selber – aufgrund internationalen und v.a. französischen Drucks wieder freikommen und das Land verlassen. Er schrieb danach das Buch “Von der Waffe der Kritik zur Kritik der Waffen”. Er hat also, wenn man so will – und ich will das so sehen -, auch Che Guevara gerächt. Neben dem CIA, mit der er sicher auch zusammengearbeitet hat, war Barbie mindestens indirekt an diesem barbarischen Mord beteiligt, nachdem er in Lyon neben ungezählten anderen Jean Moulin, den berühmten Sprecher der Resistance, eigenhändig umgebracht hatte. Barbie starb bald nach dem Prozess und seiner Verurteilung im gleichen Lyoner Gefängnis, in dem er seine Verbrechen begangen hatte.“
Wie man den Zeilen entnehmen kann, hatte Barbie vor den deutschen Behörden keine Angst. Aus gutem Grund, wie wir heute wissen. es war ihnen, also den Klarsfelds zu verdanken, dass dieser Massenmörder vor ein französisches Gericht gestellt werden konnte, während sich deutsche Behörden der Tarnung der sogenannten Rattenlinie widmeten.
Die ganze ekelhafte Geschichte dieses Dienstes aber, die geht dann naturgemäß weiter und auch die müsste, denn das dient der Wahrheitsfindung, erzählt werden.
„Die Story um NSU hat ja Vorgänger-Geschichten, die nicht weniger bedeutend und nicht weniger spektakulär waren. Und nicht weniger Menschenleben kosteten. (Exkurs: Übrigens fehlt Brunner/Syrien in der Liste Eichmann, Barbie. Ein weiterer äußerst gravierender Irrtum Stroebeles bei dem Bundestagsauftritt, ist, dass er den vagen Eindruck erweckt, ehemalige DDR-Verbrecher seien in arabische Staaten gegangen, und das sei vom BND gut aufgeklärt, während ehemalige Nazi-Verbrecher nach Südamerika gingen, wo der BND Aufklärung verweigere. Richtig ist: Nazis sind haufenweise in die arabischen Staaten gegangen, besonders gern nach Ägypten zur Muslim-Brüderschaft).
Im Film Hôtel Terminus wird auch ein J. Fiebelkorn im Kreis der NS-Exilanten erwähnt. Dieser war fürs BKA tätig (sic: auch andere Auftraggeber). Er soll sich unbestätigten Pressemeldungen zufolge 3 Wochen vor der Attentatsserie von 1980 (Bologna, München, Paris) in Rom aufgehalten und zusammen mit WSG-Hoffmann an einem Gipfeltreffen des Rechtsterrorismus teilgenommen haben, welches von Stefano Delle Chiaie einberufen wurde, der damals als faschistischer Top-Terrorist Europas galt – ein Zögling des Franco Regimes. Erst in diesem Jahrtausend kam heraus, dass Delle Chiaie finanzielle Zuwendungen von Strauß erhielt.“
Und so geht das immer weiter und weiter, Schleifen, Knoten, Verknüpfungen, wieder neue Schleifen, die immer wieder bei den gleichen Personen, Organisationen und Diensten landen.
Einigermaßen erstaunt lese ich, dass immer wieder GRÜNE Politiker/innen sich dazu versteigen, diesen “Dienst” auch noch zu “loben”. Mag sein, dass dies von Ihnen sozusagen “rhetorisch” gemeint ist. Wie auch immer. Man kann, und ich neige dazu es auch so sehen zu wollen, diese Formulierungen auch als Kniefall vor dieser Lügenbande sehen.
Nachtrag:
Ein weiteres Gespräch mit einem anderen Freund erbrachte noch folgendes:
” Seinerzeit in Bologna, saß ich dort abends in einer Pizzeria, mit deutschen Freunden. Ich habe einen Menschen die ganze Zeit fixiert, der an dem Tisch nebenan saß. Er merkte das.
Wer war dieser Mensch?
Stefano delle Chiaie, wahrscheinlich mit seinem Anwalt. Es war die Zeit, in der der Prozess über den Terroranschlag gegen den Bahnhof lief. Er wurde verurteilt, aber bei der Berufung freigesprochen. Licio Gelli lebt immer noch in seiner toscanischen Villa. Andreotti ist ein freier Mann. Wie ist das zu erklären?
Nachtrag zu den Ermittlungen gegen die “Zwickauer Zelle”:
Am 11.2. berichtet der “Spiegel”, das BKA habe Daten, von dem es angeblich eine Kopie angefertigt hatte, auf Seiten der Bundespolizei löschen lassen. Aber wo ist die Kopie? https://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,814743,00.html
Wie dieses Land “traditionell” mit seinen NS-Verbrechern umging, dazu einige Literaturhinweise:
Braunbuch, Kriegs- und Naziverbrecher, (Klassiker), Staatsverlag der DDR, 1968 3.üb. Auflage
Norbert Frei, Karrieren im Zwielicht, Hitlers Eliten nach 1945, Campus Verlag Frankfurt/New York, 2001
Ernst Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Wer war was vor und nach 1945, S.Fischer Verlag, 2003
R.+T.Giefer, Die Rattenlinie, Fluchtwege der Nazis, Verlag Anton Hain, 2.Auflage 1992