Christof Hörstel: Tödliche Mission

Publik-Forum Nr. 11 13.6.2008
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Tödliche Mission

Wie die Verhältnisse in Afghanistan schöngeredet werden und warum der Westen die Herzen der Afghanen längst an die Taliban verloren hat. Fragen an Christoph R. Hörstel
Christoph R. Hörstel geboren 1956, war ab 1985 als Korrespondent der ARD, Nachrichtenmoderator und leitender Redakteur tätig. Über 22 Jahre sammelte er Erfahrungen in Afghanistan, Pakistan, Kaschmir, Iran und Irak. In seinem jüngsten Buch »Sprengsatz Afghanistan« (Knaur 2007) geht es um die aktuelle Entwicklung in Afghanistan.
Von Adelbert Reif
Publik-Forum: Herr Hörstel, Sie gehen in Ihrem Buch »Sprengsatz Afghanistan« mit der Politik hart ins Gericht. Wie ist die aktuelle Lage in Afghanistan?
Christoph R. Hörstel: Sie ist gekennzeichnet durch eine rapide fortschreitende Verschlechterung. Die amerikanischen Militärs, unterstützt durch britische und andere Streitkräfte, fahren in Afghanistan eine Eskalationsstrategie, die die deutsche Bundesregierung ihren Bürgern verheimlicht. Sie beschönigt regelmäßig die Entwicklung im Land.
Publik-Forum: Aber selbst die offiziellen Berichte vermelden kaum Positives …
Hörstel: Probleme werden absolut nicht offen angesprochen. Da wird gesagt, der Drogenanbau sei zurückgegangen. In Wahrheit bewegt sich der Drogenanbau auf einem gewaltig hohen Niveau – 92 Prozent der Weltmarktproduktion an Heroin kommen aus Afghanistan -, und er ist in diesem Jahr noch einmal um 30 Prozent gestiegen. Wir haben zudem eine Situation, in der die Polizei gar nicht arbeitsfähig ist.
Publik-Forum: Warum?
Hörstel: Weil die Spitzen des afghanischen Innenministeriums in den Drogenhandel verwickelt sind. Grundsätzlich verschwiegen wird auch, dass die meisten DrogenWarlords durch die USA mit einer mündlichen, täglich widerrufbaren Lizenz für Drogenanbau und für Handel ausgestattet sind. Die USA selbst betreiben das Geschäft aktiv. Der größte Drogen- Warlord in Nordafghanistan ist der ehemalige Verteidigungsminister Afghanistans, Muhammad Qazim Fahim. Er hat laut westlichen Pressequellen zwischen 3000 und 15 000 Mann unter Waffen. Ein Drittel des afghanischen Drogenmarktes kontrolliert Fahim allein. Das führt zu der Erkenntnis, dass die USA offensichtlich auf zwei Sicherheitsstrukturen in der von Deutschland verantworteten Nordregion bauen. Eine Sicherheitspolitik der deutschen Truppe gegen den Willen von Fahim ist nicht denkbar. Und umgekehrt ist nicht denkbar, dass Fahim entscheidende Schritte unternimmt, mit denen die USA nicht einverstanden wären.
Publik-Forum: Und wie ist die Lage im Süden?
Hörstel: Durch den Kampf gegen die Taliban hat der Westen es geschafft, dort die gesamte Bevölkerung gegen sich aufzubringen. Mit dem Ergebnis, dass wir zwei Drittel Afghanistans in der Hand der Taliban sehen. Das geht so weit, dass im Süden die Menschen lieber zu den Taliban-Richtern gehen als zu den offiziellen Gerichten, weil die Taliban fair urteilen und nicht korrupt sind. Das gesamte Gerichtswesen Afghanistans ist sozusagen nicht existent. Bei der Polizei bestehen enorme Probleme durch deren Verwicklung in den Drogenhandel. Man bezahlt 100 000 Dollar, um für ein halbes Jahr einen normalen Distriktpolizeiposten zu bekommen. Dieses Geld muss man natürlich durch illegalen Drogenhandel verdienen. Laut der Organisation Tribal Liaison Office erhält in Afghanistan niemand eine höhere Polizeifunktion ohne Abstimmung mit dem örtlichen Drogen-Warlord. Das ganze Gerede vom notwendigen Training für die afghanische Polizei und die Anstrengung der Europäische Union, 200 Trainer nach Afghanistan zu entsenden, gehört zu den lügenhaften Beschönigungen, mit denen nicht nur die deutsche Regierung das Scheitern ihres Afghanistan-Engagements zu kaschieren versucht.
Publik-Forum: Sie sprechen in Ihrem Buch vom »verheerenden Ergebnis« des Afghanistan- »Engagements«. Worin besteht das?
Hörstel: Nach meiner Rechnung hat die westliche Koalition in Afghanistan seit Ende 2001 etwa 20 000 Zivilisten umgebracht. Und wir wissen sehr genau, wie Attacken seitens der westlichen Truppen ablaufen: Das Bombardement erfolgt mit 500-Kilogramm-Bomben, die enorme Löcher in die Erde reißen. In einem Umkreis von 20 Metern kann niemand überleben. Selbst wenn den westlichen Verbänden bekannt ist, dass gar keine Taliban mehr dort sind, werden Zivilisten bombardiert. Ganze Dorfbevölkerungen wurden so ausgerottet.
Publik-Forum: Wie kommt es zu solchen Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung?
Hörstel: Es sind willkürliche Aktivitäten der westlichen Truppen. Dazu gehören außerdem Verhaften, Foltern, jahrelanges Festhalten von Menschen und auch Vergewaltigen von Frauen. Menschenrechtsorganisationen klagen diese Verbrechen, wie sie vornehmlich auf amerikanischen Stützpunkten geschehen, immer wieder an, so auch amnesty international. Hierzu gehört auch der Transport von Afghanen nach Guantánamo und in andere im US- Auftrag errichtete Foltergefängnisse. Alle diese westlichen Schandtaten und Verbrechen, in denen vor allem Verachtung gegenüber dem afghanischen Volk zum Ausdruck kommt, sprechen sich natürlich in Afghanistan herum. Die Folge: Die Menschen identifizieren sich zunehmend mit den Zielen der Taliban. Hier hat der Westen Herzen und Köpfe der Afghanen längst verloren.
Publik-Forum: Wie objektiv ist aus Ihrer Sicht die Berichterstattung der deutschen Medien über die Vorgänge in Afghanistan?
Hörstel: Etwa 95 Prozent der Berichterstattung in Deutschland über Afghanistan sind beschönigt, ganz oder teilweise erlogen. Schon die Grundlagen des ganzen Afghanistan- Engagements wurden kaum vernünftig aufgearbeitet. Das strategische Interesse des Afghanistan-Engagements liegt darin, dass die USA seit 30 Jahren eine Doppel-Pipeline durch das Land ziehen wollen – und zwar durch eine eigene, von ihnen beherrschte Firma -, um die Energierohstoffe Öl und Gas hindurchzuleiten, die dann in Dollar abgerechnet werden müssen. Hinzu kommt das Vorhandensein weiterer wichtiger strategischer Rohstoffe in Afghanistan wie etwa Beryllium, das für die Elektronikindustrie von großer Bedeutung ist. Deswegen sind die USA da – und nicht wegen einiger bärtiger Herren.
Publik-Forum: Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die Statements der Politiker?
Hörstel: Die offizielle Linie der beteiligten europäischen Regierungen besagt, dass sich Afghanistan zwar schwierig, aber keineswegs negativ entwickelt und wir uns auf keinen Fall zurückziehen dürften, weil das den Fall ins absolute Chaos bedeuten würde. Dabei handelt es sich um eine reine Kriegsrhetorik. Zur Realität gehört, dass deutsche Soldaten zum Teil wochenlang ihre Camps nicht mehr verlassen und sich gewissermaßen in einer Art »Hochsicherheitstrakt« aufhalten, in dem sie sich hauptsächlich gegenseitig beschützen.
Publik-Forum: In der Tat ist weder der Einsatz der westlichen Koalition in Afghanistan noch die Vorgehensweise der Truppen im Einzelnen von der Mehrheit der Bevölkerung der jeweiligen Länder gebilligt worden …
Hörstel: Das Vorgehen der Koalition in Afghanistan ist weder durch das amerikanische und kanadische noch durch das britische und auch nicht durch das deutsche Volk gedeckt. Zwei Drittel der deutschen Bevölkerung lehnen eine Beteiligung Deutschlands am Einsatz in Afghanistan ab. Das heißt, alle Regierungen dieser sogenannten Anti-Terror-Koalition arbeiten gegen den Willen ihrer Bevölkerung.
Publik-Forum: Welche Rolle spielen die wissenschaftlichen Politikberater und Afghanistan- Experten bei der Beratung der Politik?
Hörstel: Es kann doch nicht sein, dass aus der Stiftung Wissenschaft und Politik, der wichtigsten Beratungsinstitution der Bundesrepublik, kein einziger brauchbarer Vorschlag kommt, wie man den Afghanistan-Konflikt entschärfen kann. Das lässt die Schlussfolgerung zu, dass die Wissenschaftler der Stiftung und ähnlicher Einrichtungen eben nicht frei agieren. Die Anbindung der Stiftung durch das Auswärtige Amt ist offenbar so eng, dass man dort gewisse notwendige Gedanken nicht mehr denken oder zumindest nicht mehr zu Papier bringen darf. Die wissenschaftlichen Institutionen dieser Republik müssen sich neu besinnen, auf welcher Basis sie in der Zukunft weiterexistieren können, wenn sie ernst genommen werden wollen. So beklage ich besonders, dass wir nicht einen Wissenschaftler haben, der mit wichtigen Vertretern von Al Qaida, mit Führern der Taliban oder mit den Führungskräften der Islampartei redet. Denn wenn nicht einmal Wissenschaftler – wer sollte es dann können?
Publik-Forum: Was müsste von europäischer, zumal von deutscher Seite geschehen?
Hörstel: Wir müssen damit aufhören, für transatlantische Interessen Dinge zu tun, die wir moralisch ablehnen.
Publik-Forum: Gibt es denn Taliban-Politiker, mit denen ein pragmatischer Umgang bis hin zu konkreten Verhandlungen möglich wäre?
Hörstel: Wir haben bei den Taliban in der sogenannten Rahbari Shura – das ist der Führungsrat der Taliban – eine Gruppe von islamischen Politikern, die alle, freilich in unterschiedlicher Ausformung, durchaus in der Lage sind, vertrauensvolle, glaubwürdige Verhandlungen zu führen. Mit diesen Menschen müssen wir uns an einen Tisch setzen. Das geht zunächst einmal sicher nicht auf direktem Weg. Aber ein solcher Weg lässt sich durch Unterhändler finden. Auf diese Weise können Verabredungen getroffen werden, die auch eingehalten werden. Vor allem sollte man bei den Gesprächen mit den Taliban-Führern zunächst einmal zuhören lernen.
Publik-Forum: Würden Sie eine Einschätzung der Entwicklung in Afghanistan für die absehbare Zukunft wagen?
Hörstel: Den vernünftigen Kräften in der deutschen Politik ist es nicht gelungen, ein Blankomandat für die Beteiligung Deutschlands am Einsatz in Afghanistan zu verhindern. So wird Deutschland weiter seine schattenhafte Politik an der Seite seiner Verbündeten in Afghanistan betreiben und weitere Operationen der Taliban gegen sich herausfordern. Die Einflussgebiete der Taliban werden von zwei Dritteln auf vier Fünftel wachsen. Insgesamt findet also eine beträchtliche Verschlechterung der Situation statt, was – jetzt noch gegebene – positive Lösungsmöglichkeiten mit großer Wahrscheinlichkeit verhindern wird. Das ist meine sehr traurige Prognose.
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