Der angebliche Atomausstieg ist nur die halbe Wahrheit

Zum Abschalten der drei letzten AKWs in Deutschland:

Autorenpapier von Karl-W. Koch

In den letzten Tagen vor dem vermeintlichen Atomausstieg kochten die Emotionen richtig hoch. Energiepolitisch falsch sei es, teuer und klimaschädlich zudem auch noch, die Atomenergie sei eine saubere Energie und völlig sicher, also kurz: Der Atomausstieg Deutschlands … sei nicht zu verantworten.

Diese Argumente lassen sich einzeln widerlegen, sie sind falsch und zeugen von ungenügender Kenntnis der Hintergründe. Auch die Verlängerung bis zum 15.4. war völlig überflüssig und hat wertvolle Steuergelder vergeudet. Atomstrom wird nicht mehr benötigt (es sei denn, um Frankreich mit seinen maroden Atomkraftwerken von dem Kollaps zu bewahren), er blockiert die Netze, verzerrt die Preisstruktur und behindert den Ausbau der Erneuerbaren Energien.

Daher ist die endgültige Abschaltung der letzten Atomkraftwerke in Deutschland ausdrücklich zu begrüßen. Gleichzeitig bleibt die Forderung, auch die Atomfabriken in Lingen (künftig mit russischer Beteiligung!) und Gronau zu schließen und die Erwartung an die Bundesregierung, ein entschiedenes Eintreten für die Stilllegung der gefährlichen Schrottreaktoren an unseren Grenzen zu zeigen, bei Cattenom zu allererst! Erst wenn das gelaufen ist, alle Altlasten saniert und ein funktionierendes Atommüll-Endlager besteht, können wir – zumindest in Deutschland – von einem Atomausstieg sprechen. Die mehrstelligen Milliardenbeträge dafür „dürfen“ die Steuerzahler*innen aufbringen. Wäre dies alles auf den Strom-kWh-Preis umgelegt worden, hätte niemand diesen Unsinn je angefangen.

Im Einzelnen:

Ein kurzer Blick auf die Argumente dagegen zeigt, dass der Atomausstieg dringend notwendig, ja unumgänglich ist:

Die Atomenergielobby mit ihrem „billig, billig“-Argument hat immer größere Probleme, neue Kraftwerke zu bauen. Die vier Großbaustellen in Finnland, England, Frankreich und der Slowakei haben die Bauzeiten um ein Mehrfaches überschritten und die Kosten sind ebenfalls um ein  Mehrfaches gegenüber den Kalkulationen gestiegen. Der Strom aus Hinkley Point – wenn er denn mal fließt – wird etwa 3x soviel kosten wie Windstrom und 5x soviel wie PV-Strom, der Preis wird dem Betreiber garantiert inklusive Inflationsrate!

Bei der „Klimafreundlichkeit der Atomkraftwerke“ werden immer zwei Teile der Kette außen vor gelassen: Die Urangewinnung und-aufarbeitung sowie die (bisher ungelöste) Endlagerfrage und somit der dafür nötige Energiebedarf. Gemessen und verglichen wird ab Inbetriebnahme des AKW bis zu seiner Abschaltung. Und gerade der Abbau mit Uranvorkommen teilweise unter 0,1% (Australien) erfordert unendlich große Mineralmassen zu bewegen und zu bearbeiten, vermutlich nicht mit CO2-freiem Strom. Der Beton beim Bau (und Abriss) wird ebenfalls regelmäßig kleingerechnet.

Der Glaube an die „saubere Energie“ geht zudem verloren, wenn die Belastung durch den Abbau berücksichtigt werden. In der ehemaligen DDR hat das Wismutkombinat bis heute Folgekosten (für den Steuerzahler) in zweistelliger Milliardenhöhe verursacht. Und in Russland, Namibia, Kasachstan … werden keine aufwendigen Sanierungen durchgeführt. Dort müssen Natur und Menschen den Dreck und die Belastung – im wahrsten Sinne – schlucken.

Zum Thema „Sicherheit“ nach Tschernobyl und Fukushima etwas zu schreiben, wäre „Eulen nach Athen getragen“. Tschernobyl hat nach seriösen Hochrechnungen von IPPNW etwa 100.000 Menschenleben gekostet. Nebenbei bemerkt, auch in Biblis hätte es 1988 ebenfalls um Haaresbreite eine Kernschmelze gegeben. Ein Super-GAU, vergleichbar den beiden genannten, würde den betroffenen Staat wirtschaftlich und sozial um Jahrzehnte zurückwerfen, und die Nachbarländer bei AKWs in den Grenzregionen gleich mit. Ein Super-GAU in Cattenom wurde das Moseltal und das Rheintal ab Koblenz auf Jahrzehnte unbewohnbar machen. Dazu sollte man wissen, dass in Deutschland Häuser zwar gegen Hochwasser, Sturm, Erdbeben und Vulkanismus (!) zu versichern sind, gegen Atomunfälle jedoch nicht … warum wohl nicht?

Wer die Bedrohung durch Cattenom jetzt abstreitet mit Verweis auf Fukushima: Die AKWs lagen am Meer, mit 95% ablandigen Wind in den ersten Wochen und der Möglichkeit das radioaktive Abwasser im Meer zu „entsorgen“ (was übrigens gerade wieder im großen Stil bei der UN beantragt wurde … 12 Jahre nach der Katastrophe). Bei Cattenom wird das radioaktive Abwasser dann über Mosel und Rhein entsorgt!

Das Atomkraftanlagen in einem (offenbar ja immer und überall) möglichen Krieg keine gute Idee sind, erlebt aktuell die Ukraine: Saporischschja mit 6 AKW-Blöcken wird regelmäßig beschossen, den anderen AKWs wird mit Bomben „der Strom“ und damit die nötige Kühlwasserversorgung abgedreht – der GAU ist nur noch eine Frage der Zeit.

Und das wichtigste Argument gegen die Atomkraft fehlt noch: Die Gefahr des Missbrauchs zum Bau von Atomwaffen. Jeder Staat, der über die gesamte Kette der Produktion verfügt, hat gleich mehrfach Zugriff auf waffenfähiges Material. Pakistan und Nordkorea haben es vorgemacht, der Iran ist gerade dabei. Und jetzt also „munter“ Atomkraft ausweiten in alle Länder als Allheilmittel? Saudi-Arabien, Ägypten und die Türkei haben die Pläne schon in den Schubladen …

 

Permanentlink zu diesem Beitrag: https://gruene-linke.de/2023/04/15/der-angebliche-atomausstieg-ist-nur-die-halbe-wahrheit/

Schreibe einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.