Gastbeitrag, Detlef zum Winkel, 14.4.2022, zuerst erschienen in Jungle World, Nr. 15/2022
Wenig deutet auf einen Waffenstillstand in der Ukraine hin. Die Gefahr einer direkten Konfrontation zwischen Russland und Nato-Staaten wächst.
Im Ukraine-Krieg rückt die Möglichkeit eines Waffenstillstands in immer weitere Ferne. Nachdem sich die russischen Truppen aus den Gebieten nördlich von Kiew zurückziehen hatten müssen, wird nun im Ostteil der Ukraine heftig gekämpft. Russland will dort den gesamten Donbass und möglicherweise auch die gesamte Schwarzmeerküste erobern. Mit jedem weiteren Tag wächst das Ausmaß der humanitären Katastrophe, die der Krieg anrichtet. Die Frage ist, ob es in dieser Situation gelingt, den Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien mehr Geltung zu verschaffen, als es bisher der Fall war. Damit ein Waffenstillstand eine Chance hätte, müsste man ihn allerdings erst einmal wollen.
Der russische Präsident Wladimir Putin hat den von ihm angeordneten Überfall unter anderem damit begründet, dass er der Ukraine das Recht auf einen eigenen Staat streitig machte. Mehrfach betonte er in seiner Fernsehansprache vom 24. Februar, dass die heutige Ukraine „vollständig von Russland geschaffen“ worden sei und „nie stabile Traditionen echter Staatlichkeit“ gehabt habe. Es dürfte ihm schwerfallen, von diesem hohen Ross herunterzukommen, ohne hart auf dem Boden aufzusetzen. Selbst wenn es ihm gelänge, Russland Teile der Ostukraine einzuverleiben, müsste er den großrussischen Anspruch aufgeben, wonach das Nachbarland „ein unveräußerlicher Teil unserer eigenen Geschichte, Kultur und unserer Religion“ sei. Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Ukraine einzugestehen, wäre demnach eine komplette Kehrtwende. Putin hat also ein starkes Motiv, die Situation offenzuhalten und den Krieg im Vertrauen auf die militärische Macht Russlands zu verlängern.
Auf der ukrainischen Seite wechselt die Haltung zu einem kurzfristigen Waffenstillstand nahezu täglich. Mal signalisiert Präsident Wolodymyr Selenskyj die Bereitschaft, auf einen Nato-Beitritt zu verzichten und über die Neutralität der Ukraine zu verhandeln. Tags darauf wirft er Angela Merkel und Nicolas Sarkozy vor, sie hätten 2008 einen Beitritt der Ukraine zur Nato verhindert und seien daher mitschuldig an der russischen Aggression. Damit bringt er zum Ausdruck, dass es, mindestens langfristig, das Ziel der Ukraine bleibt, Mitglied in dem Militärbündnis zu werden, um dort die Rolle eines Vorpostens gegen Russland zu übernehmen.
Beide Kriegsparteien sehen bisher keinen Vorteil in einer Einstellung der Kampfhandlungen. Darin werden sie von außen bestärkt. China vermeidet alles, was den Eindruck einer Kritik am russischen Vorgehen wecken könnte. Die Nato-Staaten sind derart intensiv mit einer „Zeitenwende“ beschäftigt – Pazifismus bereuen, Russland sanktionieren –, dass kaum jemand ernsthaft darüber nachdenkt, wie man aus der Kriegshysterie wieder herauskommt. Derartige Initiativen lässt „unsere hundertprozentige Unterstützung“ (Annalena Baerbock) für die Ukraine nicht zu.
Diese Situation ist typisch für Krieg, der sich aus sich selbst heraus zu reproduzieren beginnt. Er duldet keine Aufweichung der Kampfmoral durch Friedensangebote oder auch nur moralische Skrupel. Es ist bezeichnend, dass die ältesten Ladenhüter des Militarismus binnen kürzester Zeit eine neue Konjunktur erlebt haben, etwa dass den Krieg vorbereiten müsse, wer den Frieden will oder dass der Krieg „endlich wieder“ der Vater aller Dinge sei, wie es in vielen Kommentaren derzeit zu lesen ist. Dabei ist der Krieg vor allem der Vater des Krieges.
Darum, wie es weitergeht – Begrenzung, Eindämmung, Waffenstillstand oder Fortsetzung des Kriegs bis zum Sieg über den Feind – wird nun heftig gerungen. Aus der russischen Propaganda wurden Pamphlete bekannt, die nur als faschistisch zu bezeichnen sind. Ein Gastbeitrag in der größten staatlichen Nachrichtenagentur Ria Novosti rief kürzlich dazu auf, die „Entnazifizierung“ der Ukraine müsse auch eine „Entukrainisierung“ bedeuten, die Bevölkerung müsse bestraft und ideologisch umerzogen werden. Nationalistische Extremisten wie der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow sind dagegen, dass überhaupt mit der ukrainischen Regierung verhandelt wird: Man müsse zu Ende bringen, was man begonnen habe. Zahlreiche Augenzeugen aus den besetzten Gebieten berichten über von russischen Soldaten verübte Morde an der Zivilbevölkerung, auch Kadyrows Soldaten waren an Ort und Stelle. Die russische Armee streitet ab, solche Vergehen begangen zu haben. Wäre das ernst gemeint, müsste sie eine Untersuchung über die erhobenen Vorwürfe einleiten und sich von Kriegsverbrechern trennen, deren mörderisches Treiben sie nicht zum ersten Mal gern in Anspruch nimmt.
Gleichzeitig werden die Stimmen ukrainischer Scharfmacher und ihrer deutschen Unterstützer immer lauter und schriller, allen voran die des ukrainischen Botschafters in Berlin, Andrij Melnyk. Er bezeichnet gleich ein halbes Jahrhundert europäischer Politik gegenüber Russland, die dem Appeasement gefrönt habe, als Fehler. Dafür macht er namentlich führende Politiker der SPD, CDU und FDP verantwortlich, während die Grünen bisher von seinen Attacken verschont blieben, obwohl sie doch mit der aus ukrainischer Sicht so schädlichen Friedensbewegung engstens verbunden waren.
Der Grund für diese freundliche Behandlung ist nicht ersichtlich. Liegt es an Ralf Fücks, einem altgedienten Funktionär der Grünen, der sich in einem Gastbeitrag für die FAZ für eine militärische Konfliktlösung ausspricht? Fücks war jüngst in die ukrainische Hauptstadt Kiew gereist. Von dort brachte er die Botschaft mit, zu einem Waffenstillstand sei man in der Ukraine nicht bereit; dafür sei schon zu viel Blut vergossen worden. „Und sie (die Ukrainer, Anm. d. Red.) trauen sich zu, diesen Krieg zu gewinnen, wenn der Westen sie vorbehaltlos unterstützt.“ Fücks glaubt, im Kanzleramt dominiere „die Sorge vor einer militärischen Eskalation. Dabei zeigt alle Erfahrung, dass Russland sich nur durch eine Politik der Stärke abschrecken lässt.“
Der Politiker, der schon in seiner maoistischen Jugend gegen Russland eiferte, ist mit seiner Einstellung, Stand jetzt, nicht repräsentativ für die Grünen, wohl aber für eine Reihe von Mitgliedern des ehemaligen KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschland), die in die Grünen eintraten, ohne sich durch besondere Naturliebe auszuzeichnen. Sie werden heute von Nato-Falken hofiert; das haben Kritiker des KBW übrigens schon vor vierzig Jahren erwartet.
Mit der Aussage „Alle Russen sind gerade unsere Feinde“ erschreckte wiederum Melnyk seinen wohlmeinenden Interviewer bei der FAZ. Nach den Gräueltaten von Butscha dürfe die Weltöffentlichkeit „uns nicht mehr dazu zwingen, diesen Krieg so schnell wie möglich zu beenden“, sagte er. „Denn eine Waffenruhe würde bedeuten, dass Hunderte andere Städte und Dörfer womöglich ein ähnlich schreckliches Schicksal erwartet.“ Den Krieg fortsetzen, um Kriegsverbrechen zu verhindern – auf die Rationalität der Argumente kommt es nicht mehr an. Es zählt nur noch, auf der richtigen Seite zu stehen.
Für ihre Verteidigung braucht die Ukraine die politische, finanzielle und militärische Unterstützung der Nato-Staaten. Für einen militärischen Sieg braucht sie mehr Unterstützung, viel mehr Geld und „Waffen, Waffen, Waffen“, wie es der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba zuletzt in Brüssel vortrug. Schließlich wird die Ukraine gegen die russische Nuklearmacht auch westliche nukleare Abschreckung fordern. Die Nato-Staaten werden dadurch zu Kriegsparteien, ohne selbst kämpfen zu müssen, das ist bequem.
Aber wenn es schiefgeht, also der Ukraine-Krieg in einen offenen Krieg der Nato gegen Russland oder einen Atomkrieg umschlägt, wird sich für alle die Frage nach dem Sieger erübrigen. Wir haben es nicht gewollt, kann der Westen dann sagen, Putin war schuld! Richtig, aber dass das Ergebnis nicht absehbar war, wird man kaum behaupten können. Wer diese bisher langsame, aber stetige Eskalation unterbrechen will, müsste nicht nur Russland sanktionieren, sondern auch damit aufhören, die Ukraine von einer Kornkammer in eine Waffenkammer zu verwandeln. Es braucht ein klares Signal, dass ein dritter Weltkrieg keine Option ist. Wie üblich dürfte eine Reduzierung der Zahlungen am ehesten verstanden werden. Wer den Frieden will, darf nicht den Krieg bezahlen.
Zum Winkel, Detlef: Dipl.phys. Geb. 1949., Publizist, 1967-1975 Studium der Physik, Diplomarbeit am Deutschen Elektronen-Synchroton (DESY); Lehrer an Hamburger Schulen; freier Autor; Arbeit in Bürgerinitiativen gegen Atomkraftwerke und gegen die Startbahn 18 West des Frankfurter Flughafens. Antifa. Seit 1991 Informatiker.
4 Kommentare
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Mir aus der Seele gesprochen. Wenn es so weitergeht, wird es in einem Gemetzel, in einem humanitären und politischen Desaster enden. Nebenbei: die Rolle von Ralf Fücks bei den Grünen war auch früher m. E. destruktiv, arrogant; Basisdemokratie hat dieser alt- oder exstalinistische „demokratische Zentralist“ nie begriffen, immer bekämpft. Ständige öffentliche Beschimpfung der Basis und der BDK, wenn sie nicht nach seiner Pfeife tanzten. Man erinnere sich des Verhaltens von Fücks und seines „Grünen Aufbruchs“ zur Bundestagswahl Dez. 1990. Kann man in Ludger Volmers Geschichte der Grünen nachlesen.
Der Krieg in der und gegen die Ukraine hat freilich die politischen Koordinaten verrückt. Pazifismus ist richtig und doch auch falsch, Waffenlieferung ist falsch und doch legitim (Selbstverteidigung nach UNO-Charta), also irgendwie richtig. Freilich: man löscht keinen Brand, wenn man immer mehr Benzin ins Feuer gießt. Wo bleiben politische Friedensinitiativen? Ohne Putin etwas anzubieten (ob man will oder nicht), wird er nicht an den Verhandlungstisch zu bringen sein. Andernfalls wird die Ukraine zwischen den Blöcken zerrieben, auch durch ihre unkluge, jedenfalls gefährliche (und vom Westen gepushte) Politik eines Alles oder Nichts. Der Stoff, aus dem Tragödien sind.
Andreas Herz, Braunschweig
In Russland herrscht eine Kleptokratie ehemaliger KGBler. Diese nutzen eine nationalistische Ideologie um die Bevölkerung zu steuern. Der Kriegsgrund dürfte sein, dass so viele enge familiäre Verflechtungen zur Ukraine bestehen und daher eine prosperierende Wirtschaft mit westlichen Freiheiten als schlechtes Beispiel für die Russen gewirkt hätte, die dann vergleichen könnten.
Man muss den bisherigen Regierungsparteien Deutschlands tatsächlich vorwerfen, dass sie aus wirtschaftlichen Gründen diese Kleptokratie materiell und immateriell gefüttert und unterstützt haben. Der ukrainische Ton den Grünen gegenüber erklärt sich sicher zum Teil aus der Opposition zur Pipeline und den Importen fossiler Brennstoffe.
Die ukrainischen Flüchtlinge mit denen ich bisher gesprochen habe sind sind keine begeisterten Kriegstreiber. Sie wollen aber auch nicht unter einem repressiven ausbeuterischen Regime in einer Kolonie leben. Es gibt da kaum einen guten Weg. Zum Thema Waffenkammer muss aber gesagt werden, dass der russische Überfall nicht stattgefunden hätte, wenn die Ukraine ihre Atomwaffen nicht freiwillig abgegeben hätte.
Man muss wohl der Friedensbewegung tatsächlich den Vorwurf einer naiven Sichtweise auf die menschliche Natur machen. Es gibt nun mal keine Weltpolizei und so sind Staaten darauf angewiesen ein eigenes Abschreckungspotential gegenüber den Putins, Bushs und sonstigen dieser Welt zu haben. Die Unterstützerkolonne Putins ist in Deutschland aber die FDP, die das Tempolimit verhindert und so die russische Kriegsmaschinerie finanziert.
Auf der Suche nach dem verlorenen Verstand
Man kann nur etwas verlieren, wenn man es vorher besitzt … Verstand und die Grün-Linke Ideologie passen nicht zusammen!! Und jetzt viel Spaß in Pandora und beim Osterhasenfangen.
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