Presseerklärung zur BDK (Parteitag der Grünen) in Bonn, 14. – 16.10.2022

Die in Bonn von der grünen BDK entschiedene Beschlüsse bestätigen weitestgehend das Handeln unserer Regierungsmitglieder. Dieses widerspricht allerdings seit der Regierungsbeteiligung in Teilen den bisherigen Beschlüssen, dem Wahlprogramm und dem Grundsatzprogramm, ohne dass diese explizit aufgerufen und geändert worden wären. Ein grünlinkes Mitglied kommentiert treffend: (es gilt offenbar …) „grundsätzlich gilt die Aussage des Koalitionsvertrags, aber die aktuelle Lage verlangt Entscheidungen, die der Lage angemessen sind“.

Teile der bisherigen Beschlusslagen und insbesondere des erst kürzlich beschlossenen Grundsatzprogramms waren für die Werbung von Mitgliedern und für den Wahlkampf wichtig. Sie passen aber nicht zu der von Kanzler Scholz ausgerufenen Zeitenwende und zu der geforderten bedingungslosen Unterstützung der ukrainischen Regierung.

Was wir als UGL erreicht haben, ist das Bewusstsein der Grünen bis in die obersten Ebenen auf die Widersprüche und Probleme hin zu schärfen. Der offenkundig geplante „Friede (!), Freude, Eierkuchen“-Parteitag entgleiste daher erkennbar an einigen Stellen. Bezeichnend war die Abstimmung über den „Saudi-Arabien-Antrag“ (https://antraege.gruene.de/48bdk/widerruf-der-exportgenehmigung-fur-saudi-arabien-keine-weiteren-waffen-52400), in der sämtliche Redner*innen den Antragstellern inhaltlich völlig recht gaben. Er wurde aber dennoch mit großer Mehrheit abgeschmettert, weil das geforderte Ansinnen, die Genehmigung in der Koalition zurückzunehmen, als unzumutbar für unsere Regierungsmitglieder empfunden wurde.

In der Atomfrage

… wurde – auch durch den Druck von uns – erreicht, dass der ursprünglich schwache BuVo-Antrag (https://antraege.gruene.de/48bdk/motion/2166) sehr deutlich verschärft wurde und jetzt die Handlungsmöglichkeiten des Ministers Habeck bezüglich weiterer geforderter Zugeständnisse seitens FDP (neue Brennstäbe und Laufzeit bis 2024) massivst beschnitten wurden.

In der Friedenspolitik

… wurden durch unsere Anträge und Redebeiträge immerhin der Öffentlichkeit – auch dank der Medienberichterstattung – sehr deutlich, dass Forderungen nach „Diplomatie“ und keine Lieferung von Angriffswaffen auch Teil DIESER Partei sind, auch wenn die Beschlüsse das nicht gezeigt haben. Die Diskussion in der Partei wurde offen erkennbar, auch wenn die Abstimmung das keineswegs zeigte.

Im Umgang mit Despoten

… gibt es immerhin glaubwürdige Zugeständnisse, dass „so etwas“ nie mehr passieren darf. Ein Kriegswaffenexportgesetz ist aktuell – offenbar mit Hochdruck – in Arbeit und soll derartige, in der Diskussion ja von allen zugestandene, Fehler zu verhindern helfen.

In der Klimapolitik

… musste sogar schriftlich ausgezählt werden. Es wurde denn doch eng: Mit ca. 20 Stimmen Mehrheit bei 27 Enthaltungen wurde die Abstimmung über das Moratorium zu „Lützerath“ und dem Braunkohletagebau in NRW abgelehnt. Auch hier setzte sich die Regierungslinie durch, wenn auch so knapp wie bei keinem anderen Punkt: Lützerath wird abgebaggert, auch bei In-Kauf-Nahme einer nötigen gewaltsamen Räumung. Alles, was Regierungshandeln stört, wird niedergestimmt., genauso die der Vorschlag eines vorübergehenden Tempolimits zur Energie- und CO2-Verminderung.

Im Zusammenhang mit Lützerath brachte Luisa Neubauer dazu treffend auf den Punkt: „Realpolitik im 21. Jahrhundert versteht, dass der, der die Realität nur für einen Augenblick ausblendet, weil der Koalitionspartner stresst oder weil’s doch einfach alles sehr mühsam ist, nicht zur Befriedung, sondern zur Radikalisierung der Realität beiträgt.“ Leider ist diese Erkenntnis noch nicht Teil der Regierungsprogrammatik.

Bundesvorstand und Regierungsmitglieder setzen das scheinbar leider alternativlos notwendige Handeln um

Bundesvorstand und Regierungsmitglieder beendeten – aus ihrer Sicht folgerichtig – diesen Irrweg(?) der bisherigen Beschlüsse und setzen die für uns GRÜNEN neuen Erkenntnisse in das scheinbar leider alternativlos notwendige Handeln um. Um die vier wesentlichen Punkte aufzuzeigen:

  1. Die Verschiebung des Atomausstiegs: Der unverrückbar feststehende Atomausstieg 31.12.2022 wird aufgrund des Druckes der FDP geschliffen. Auch auf entscheidende, deutliche Nachfrage wird nicht beantwortet, wie denn nun der „15.4.2023“ von Habeck und den Grünen in der Regierung „garantiert“ werden soll.
  2. Unsere pazifistische Friedenspolitik: Auch wenn sie eine unserer Wurzeln war, sind die Forderungen der westdeutschen Friedensbewegung ”Frieden schaffen ohne Waffen” und der ostdeutschen Friedensgruppen ”Schwerter zu Pflugscharen” offenkundig ”Schnee von gestern”. Heute sind Waffenlieferungen und militärische Unterstützung der Ukraine durch Ausbildung von Soldat*innen das Mindestmaß, was eine grüne Regierungsbeteiligung leisten muss, um sich Putins Angriffskrieg entgegenzustellen und die Freiheit Europas zu verteidigen. Dass wir vor allem mit letzterem in die Gefahr geraten, selbst zur Kriegspartei zu werden, nehmen wir daher in Kauf.
  3. Unser Verzicht auf jegliche Zusammenarbeit mit Autokraten und Völkerrechtsverletzern: Der Autokrat Putin ist im Moment das Maß der Dinge, das personifizierte Übel schlechthin. Das hindert uns leider nicht, mit anderen Autokraten und Völkerrechtsverletzern zu verhandeln und zusammenarbeiten, die nicht die Interessen des freien Westens gefährden.
    So verhandeln wir mit dem Herrscher von Katar (Emir Tamim bin Hamad Al Thani), dem Kronprinzen von Saudi-Arabien (Mohammed bin Salman, s.o.), mit Erdogan, dem Führer von Kriegen in Libyen und Syrien (gegen die Kurden, die dort den IS besiegt haben), mit Chinas Präsident Xi Jinping, der mittlerweile unverhohlen mit einem Angriff auf Taiwan droht … Die Liste ist nicht vollständig.
    Aktuell beschränken wir unser Vorgehen gegen Despoten und Kriegsverbrecher zunächst einmal auf Putin. Ob wir auch gegen andere vorgehen, scheint eine Frage der politischen Opportunität sein. Ob das der richtige – grüne – Weg ist, stellen wir ausdrücklich in Frage.
  4. Unsere Klimapolitik
    … hat richtige und gute Ansätze, wird aber ebenfalls zu stark von den Bremser*innen in den anderen Parteien bestimmt. DAMIT werden die Klimaziele, wie sie auch im Koalitionsvertrag vereinbart wurden, krachend gerissen. Im Kohlerevier von NRW wird damit die Glaubwürdigkeit im wahrsten Sinn des Wortes unterminiert. DAS ist heute schon absehbar.

 

 Unser Fazit

… ist naturgemäß gemischt: Wir konnten dafür sorgen, dass die widersprechenden Stimmen der Basis in der Partei in der Öffentlichkeit und in den Medien sehr deutlich wahrgenommen wurden. Allerdings konnten wir in den wesentlichen Entscheidungen nichts „drehen“ und müssen uns daher mit den „Schärfungen“ zunächst zufriedengeben. Aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Wir kämpfen weiter, die Wahlprogramme und das Grundsatzprogramm gilt, und zumindest die Koalitionsbeschlüsse sind einzuhalten (Gruß an die FDP!).

Allerdings bleibt es, unsere Arbeit zu überdenken und uns zu fragen, warum wir nicht mehr Delegierte überzeugen konnten. Unsere Arbeit muss besser werden und wir brauchen mehr Zusammenarbeit mit anderen Strömungen, Basismitgliedern und Fachleuten in der Partei. Dazu werden wir auch einzelne Positionen überdenken und die Zwänge der Regierungsmitglieder, der Fraktion und des BuVos deutlicher reflektieren. Es bleibt viel zu tun, aber der Kampf für die Umsetzung der nach wie vor gültigen Grünen Grundwerte geht weiter.

 

Karl-Wilhelm Koch (Kreisverband Vulkaneifel)

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