Eine Stimme aus Israel mahnt

Keine weitere Gewalteskalation, sondern Bekämpfung der Ursachen!

Hier zunächst die deutsche Übersetzung des Textes (Übersetzung: Karl-W. Koch), nachfolgend der englische Originaltext aus dem BtS-Newsletter.

Liebe Freunde,

der Angriff der Hamas und die Ereignisse, die sich seit gestern abspielen, sind unaussprechlich. Es bricht uns das Herz zu sehen, wie verängstigte Zivilisten in ihren Häusern belagert werden, wie unschuldige Menschen kaltblütig auf den Straßen, auf Partys und zu Hause ermordet werden. Dutzende wurden als Geiseln genommen und in den Gaza-Streifen verschleppt. Jeder von uns kennt jemanden, den es auf tragische Weise getroffen hat. Wir könnten endlos über ihre grausamen und kriminellen Handlungen sprechen oder uns darauf konzentrieren, wie unsere jüdisch-rassistische Regierung uns an diesen Punkt gebracht hat. Aber so schwer es auch ist, unsere Aufgabe als ehemalige israelische Soldaten ist es, darüber zu sprechen, wozu wir eingesetzt wurden.

Israels Sicherheitspolitik besteht seit Jahrzehnten darin, „den Konflikt zu managen“. Die nacheinander folgenden israelischen Regierungen beharren auf einer Runde der Gewalt nach der anderen, als ob irgendetwas dabei einen Unterschied machen würde. Sie sprechen von „Sicherheit“, „Abschreckung“, „Veränderung der Gleichung“.

All dies sind Codewörter für die Bombardierung des Gazastreifens zu Brei, immer mit der Begründung, dass sie gegen Terroristen gerichtet sind, aber immer mit schweren Opfern unter der Zivilbevölkerung. Zwischen diesen Runden der Gewalt machen wir den Menschen im Gazastreifen das Leben unmöglich und tun dann überrascht, wenn alles überkocht.

Wir reden von „Normalisierung“ mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und jetzt mit Saudi-Arabien und hoffen, dass die Welt ein Auge zudrückt, wenn wir in unserem Hinterhof ein Freiluftgefängnis bauen. Abgesehen von der unfassbaren Verletzung der Menschenrechte haben wir ein massives Sicherheitsproblem für unsere eigenen Bürger geschaffen.

Die Frage, die sich alle Israelis stellen, lautet: Wo waren die Soldaten gestern? Warum waren die IDF scheinbar abwesend, während Hunderte von Israelis in ihren Häusern und auf den Straßen abgeschlachtet wurden? Die unglückliche Wahrheit ist, dass sie anders „beschäftigt“ waren. Im Westjordanland.

Wir schicken Soldaten, um das Eindringen von Siedlern in die palästinensische Stadt Nablus zu sichern, um palästinensische Kinder in Hebron zu jagen, um Siedler zu schützen, wenn sie Pogrome veranstalten. Siedler verlangen, dass palästinensische Flaggen von den Straßen von Huwara entfernt werden; Soldaten werden geschickt, um dies zu tun.

Unser Land hat vor Jahrzehnten beschlossen, dass es bereit ist, die Sicherheit seiner Bürger in unseren Städten zu opfern, um die Kontrolle über eine besetzte Zivilbevölkerung von Millionen von Menschen aufrechtzuerhalten, und das alles im Namen einer siedler-messianischen Agenda.

Die Vorstellung, dass wir den Konflikt „managen“ können, ohne ihn jemals lösen zu müssen, bricht wieder einmal vor unseren Augen zusammen. Sie hat sich bis jetzt gehalten, weil nur wenige es wagten, sie in Frage zu stellen. Diese herzzerreißenden Ereignisse könnten das ändern. Das müssen sie auch. Für alle von uns zwischen Fluss und Meer.

Avner Gvaryahu, Direktor
Das Schweigen brechen (https://www.breakingthesilence.org.il/)

[Schovrim Schtika (hebräisch שוברים שתיקה deutsch ‚ ‘Das Schweigen brechen‘, englisch Breaking the Silence (BtS),  ist eine politische israelische Nichtregierungsorganisation von ehemaligen und aktiven Soldaten der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF), deren Ziel es nach eigenen Angaben ist, „die israelische Öffentlichkeit mit der Realität des täglichen Lebens in den besetzten Gebieten zu konfrontieren“, indem sie Berichte von Soldaten über ihre Erlebnisse während ihres Dienstes veröffentlicht. Die Organisation wird kritisiert wegen der Nichtüberprüfbarkeit der von ihr erhobenen Vorwürfe und ihrer überwiegenden Finanzierung aus dem Ausland.. Quelle: Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Schovrim_Schtika],
s. auch: https://www.breakingthesilence.org.il/about/organization

Der englische Originaltext:

Dear Friends,

Hamas’s attack and the events unfolding since yesterday are unspeakable. We are heartbroken to watch terrified civilians besieged in their homes, innocent people murdered in cold blood on the streets, at parties, and at home. Dozens taken hostage and dragged into the Gaza Strip. Every one of us knows someone who has been tragically affected. We could go on and on about their cruel and criminal actions, or focus on how our Jewish-supremacist government brought us to this point. But as hard as it is, our job as former Israeli soldiers is to talk about what we were sent to do.

Israel’s security policy, for decades now, has been to “manage the conflict”. Successive Israeli governments insist on round after round of violence as if any of it will make a difference. They talk about “security”, “deterrence”, “changing the equation”.

All of these are code words for bombing the Gaza Strip to a pulp, always justified as targeting terrorists, yet always with heavy civilian casualties. In between these rounds of violence we make life impossible for Gazans, and then act surprised when it all boils over.

We talk about “normalization” with the UAE and now Saudi Arabia, while hoping the world will turn a blind eye to the open-air prison we built in our backyard. Apart from the unfathomable violation of human rights, we’ve created a massive security liability for our own citizens.

The question Israelis are all asking is – where were the soldiers yesterday? Why was the IDF seemingly absent while hundreds of Israelis were slaughtered in their homes and on the streets? The unfortunate truth is that they were “preoccupied”. In the West Bank.

We send soldiers to secure settler incursions into the Palestinian city of Nablus, to chase Palestinian children in Hebron, to protect settlers as they carry out pogroms. Settlers demand that Palestinian flags are removed from the streets of Huwara; soldiers are sent to do it.

Our country decided – decades ago – that it’s willing to forfeit the security of its citizens in our towns and cities, in favor of maintaining control over an occupied civilian population of millions, all for the sake of a settler-messianic agenda.

The idea that we can “manage the conflict” without ever having to solve it is once again collapsing before our eyes. It held up until now because only few dared to challenge it. These heartbreaking events could change that. They must. For all of us between the river and the sea.

Avner Gvaryahu, Director
Breaking the Silence


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Slavoj Žižek: „Kein Frieden ohne Lösung der Palästinenser-Frage!“
Eröffnungsrede der 75. Frankfurter Buchmesse 17.10.2023

Der Philosoph und Kulturtheoretiker Slavoj Žižek hat am 17. Oktober die Eröffnungsrede zur 75. Buchmesse in Frankfurt am Main gehalten, deren Gastland in diesem Jahr Slowenien ist. Slavoj Žižek ist Professor an verschiedenen europäischen und US-amerikanischen Universitäten. Seine Hauptfachgebiete sind lt. Encyclopedia Britannica Kontinentalphilosophie, Psychoanalyse, Politische Theorie, Kulturwissenschaft, Kunstkritik, Filmkritik, Marxismus, Hegelianismus und Theologie. Seit den 90er Jahren ist der heute 74-jährige Slowene ein angesagter Intellektueller im Westen.

Sein Redemanuskript wurde am 18. Oktober in der Frankfurter Rundschau abgedruckt. Seine Rede, die mit viel Applaus, aber auch einigen Buh-Rufen bedacht wurde, kann man auf YouTube ansehen.


Netzwerk Friedenskooperative
Friedensappell jetzt unterzeichnen: Für ein Ende der Gewalt in Israel und Palästina!

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