Wie die kleine FDP die Grünen am Nasenring
durch die Manege zieht und DIE das auch noch gut finden.
Autorenpapier Karl-W. Koch
Am 28.2.2023 endete ein denkwürdiges Spektakel: In einer über 30-stündigen Sitzung hatte eine Elefant*innen-Runde aus Minister*innen, Fraktionsspitzen und Parteivorständen versucht, den Koalitionsvertrag der Ampelregierung den Gegebenheiten anzupassen. Ja, richtig gelesen, den Gegebenheiten, allerdings nicht den Gegebenheiten der immer krachender verfehlten Klimaziele, zu deren Einhaltung die Regierung aufgrund des unterzeichneten Vertrages von Paris und durch das Urteil der BVG verpflichtet ist. Sondern den Gegebenheiten, dass die FDP aufgrund ihres destruktiven Verhaltens in der Regierung bei jeder Wahl abgestraft wird und reihenweise aus Regierungen bzw. sogar aus Parlamenten fliegt. Dagegen muss natürlich etwas gemacht werden.
Punkt Sektoren-Klimaziele – Wissing ist nicht schuld!
Wurden bisher die Klimaziele und deren (Nicht-) Erreichung in den Teilen Energie, Verkehr, Bauen/Wohnen und Industrie einzeln ausgewiesen, mit der Verantwortung für die Erreichung bei den jeweiligen Minister*innen, so wird künftig nur noch das Gesamtklimaziel bewertet. Die Minister*innen sind aus dem Schneider, die gesamte Regierung wird in Haftung genommen. Egal, ob die einzelnen Parteien die Möglichkeit haben, in den Fachministerien Einfluss zu nehmen oder nicht. Manche nennen diese neue Regelung Lex Wissing, denn um dessen Kopf geht es dabei. Das Verkehrsministerium verfehlt krachend ein Klimaziel nach dem anderen und weigert sich – auch in dieser neuen Runde – hartnäckig, auch nur kleinste Verbesserungen umzusetzen. Ein Tempolimit z.B. würde deutliche Einsparungen bringen, nicht kosten und nebenbei die Sicherheit auf den Straßen erhöhen und Staus vermeiden. Mit den strikten Sektorenzielen sollte die vom BVerfG verlangte Planungssicherheit gewährleistet werden und eine klare Verantwortungszuteilung erfolgen Bei dem Beschluss die Sektorenziele aufzugeben, handelt es sich um Rechtsbruch der Regierung, indem sie trotz der Emissionsüberschreitung im Verkehrsbereich kein Sofortprogramm für den Verkehrsbereich vorlegen.
Punkt Beschleunigter Autobahnausbau
Obwohl im Koalitionsvertrag anders abgesprochen (Beschleunigung für EE, Netzausbau und Bahn), wurden jetzt nach langem Vorgeplänkel die Autobahnausbauten in dieses Paket mit hinein gepackt. Und dabei nicht etwa – was noch verständlich wäre – nur die 4000 zu sanierenden Brücken, nein, es geht vornehmlich um die Erweiterung der Spuren von 4 auf 6 oder noch mehr – insgesamt 144 Straßenbauprojekte. Eine der Stilblüten: A 27 Bremerhaven. Prognostiziert wurde 2016 eine Steigerung des Verkehrs um 90%, faktisch liegt eine Abnahme des Verkehrs bis heute um 6% vor. Grund: Zunehmende Verladung auf die Schiene und völlig falsche Prognosezahlen für den Hafenumsatz.
Punkt Wissing klebt an Verbrenner-Autos
Mittlerweile ist Volker Wissing Teil der Krise. Über 200.000 Menschen haben innerhalb einer Woche für den Rücktritt von Verkehrsminister Wissing unterschrieben. Seine Kamikaze-Aktion, auf den letzte Drücker noch in die eigentlich beendete und in der Abstimmung stehende EU-Gesetzgebung zum Verbrenner-Verbot reinzugrätschen, hat nicht nur dem Ansehen und der Glaubwürdigkeit Deutschlands geschadet. Sie hat vor allem allen anderen Mitgliedsstaaten Tür und Tor geöffnet, bei der nächsten EU-Gesetzgebung, die ihrer Regierung nicht passt, genau nach diesem Muster zu verfahren und sich auf die deutsche Regierung zu berufen. Die habe es ja schließlich vorgemacht, wie es geht … Die hartnäckigen Weigerungen Wissings, auch nur an kleinsten Stellschrauben in seinem Sektor etwas zum Klimaschutz beizutragen, ist erkennbar fast ausschließlich dem Bestreben, etwas für die eigene Wählerklientel zu erreichen, geschuldet. O.K., „fast ausschließlich“ – bei der „Lex Verbrenner-E-Fuels“ hatte offenbar der Porschefreund Lindner vermutlich auch noch seine Finger im Spiel. Immerhin ist Porsche der einzige deutsche Autobauer, der mit E-Fuel irgendwelche Planungen hat. Die anderen sind offenbar von den horrenden Kosten abgeschreckt.
Punkt Artensterben und Flächenversieglung
Hier wurden die nächsten Umweltziele geschliffen. Flächenausgleich kann künftig pekuniär geregelt werden, es müssen nicht mehr vom Versiegler selbst Ausgleichsflächen beschafft werden. DAS soll dann der Staat tun, mit dem hehren Ziel, größere, zusammenhängende Biotope zu schaffen. Nett gedacht! Nur dass damit der Staat als Flächenaufkäufer auftritt und damit der Bodenknappheit zusätzlich Vorschub leistet. Die Flächen werden dadurch nicht mehr, die Versiegelung wird erleichtert, denn auch wenn es keine geeignete Ausgleichsflächen in der räumlichen Nähe gibt, kann gebaut werden. Schutz der Natur wird auf dem Papier geregelt, die Umsetzung interessiert nur zweit- und drittrangig.
Punkt: Abschwächung der Gebäude-Maßnahmen
Im Gesetz soll nur noch festgelegt werden, dass ab 2024 „möglichst“ jede neu eingebaute Heizung zu 65 % mit EE betrieben wird. Damit entfällt die im Koalitionsvertrag vereinbarte harte Rechtspflicht. Auch sonst werden jetzt im Nachherein weitere Aufweichungen und Abschwächungen hinein verhandelt, anstatt zu klären – wie vollmundig versprochen – wie die Finanzierung für die Bürger*innen mit kleinem und mittleren Einkommen sicher gestellt werden können.
Punkt: Wo bleiben das Klimageld und die Kindergrundsicherung?
Noch vor einem Jahr wollte die Ampel zeitnah einen Auszahlungsweg für die Pro-Kopf-Prämie finden. Davon ist keine Rede mehr. Damit wird die Sozialverträglichkeit und den Akzeptanz von Klimaschutz ad acta gelegt, da hiervon vor allem Menschen mit geringem Einkommen davon profitiert hätten. Zur Kindergrundsicherung hat der Koalitionsausschuss keine Beschlüsse gefasst, womit eine heimliche Beendigung dieses zentralen grünen Projektes droht!
Das 1,5°-Ziel retten?
In Deutschland wichen 2022 die durchschnittlichen Jahrestemperaturen um 1,2 bis 3,2 °C ab (Quelle). Weltweit lag die Erwärmung bereits bei rund 1,1 Grad. Matthias Garschagen, Ludwigs-Maximillians-Universität München: Es ist sehr dringend. Wir sind momentan mit dem, was auf dem Tisch liegt – an Klimazielen, auch an Politik – auf dem Weg, dass wir diese 1,5 Grad reißen werden, dass wir es nicht schaffen werden (Quelle). Dafür müssten die Treibhausgasemissionen erheblich schneller und drastischer gesenkt werden als bisher. … Der Weltklimarat geht davon aus, dass die 1,5-Grad-Marke bereits Ende der 2030er Jahre zumindest zeitweise überschritten wird (Quelle).
Frustrierendes Fazit
Zusammengefasst: Der Klimawandel läuft weltweit wie in Deutschland deutlich schneller als erwartet. Die 1,5 °C-Begrenzung – zur Erinnerung: die Zielvereinbarung von Paris, die auch vom Staat Deutschland unterschrieben und ratifiziert wurde und somit eigentlich bindend ist – ist kaum noch zu halten. Damit ist diese Vereinbarung für die deutschen Regierungen bindend und ihr Handeln müsste so ausgelegt sein, dass die Ziele erreicht werden. Wir alle wissen und haben z.B. im Juli 2021 hautnah vor der eigenen Haustür erfahren müssen, welche schrecklichen menschlichen Tragödien und welche (überwiegend privaten) Verluste in Milliardenhöhe damit verbunden sind. Wer nur einigermaßen die Nachrichten verfolgt, weiß seit 1992 (Konferenz von Rio) Bescheid. Von Politiker*innen sollte das zu erwarten sein.
Zwar hat Deutschland 2022 seine Klimaziele im Durchschnitt erreicht. Im Bereich Verkehr und (weniger) Bauen wurden die Ziele stark verfehlt. Im Verkehrsbereich stiegen die Emissionen um 0,7 Prozent auf 148 Millionen Tonnen Klimagase. Dass die Ziele insgesamt erreicht wurden, liegt nicht zuletzt daran, dass aufgrund der Krieges und der explodierenden Preise der Energieverbrauch bei fossilen Energien gesunken ist. Es gab einen kräftigen Emissionsrückgang der Industrie, hier sank die ausgestoßene Menge an Klimagasen um 10,4 % auf 164 Millionen Tonnen. Auch die Landwirtschaft verringerte ihre Emissionen, dies lag laut Umweltbundesamt daran, dass weniger Schweine gehalten und weniger Mineraldünger eingesetzt wurde (Quelle). Das wird – keine neue Eskalation des Krieges vorausgesetzt – für 2023 Wunschdenken bleiben.
Nicht nur das Versagen Deutschlands als solches ist ein Problem. Das noch größeres Problem ist, dass die anderen Länder – meistens wirtschaftlich schwächer aufgestellt – sich jetzt entspannt zurücklehnen werden: Wenn Deutschland das nicht schafft, dann können wir es erst recht nicht schaffen … oder … dann brauchen wir uns ja nicht anzustrengen. Beides verheerend!
5 Kommentare
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Und ich frage mich warum du und Andere überhaupt noch in der Partei bleiben könnt.
Autor
Lieber Bernd,
weil wir HIER noch Handlungsoptionen haben, die wir nach Austritt nicht mehr haben. Dass wir uns (und vor allem ich!) nicht als Alibi-Vorzeige-Deppen missbrauchen lassen, haben wir mittlerweile klargestellt. DAS wird auch in Partei und Öffentlich so wahrgenommen. Was hast du mit deinem Austritt erreicht – außer deinen Frieden (hoffe ich) zu finden?
Viele Grüße
KW
Wissing fährt den Klima-Zug ins Nirvana. Frage mich, wie wir Grüne unter diesen Bedingungen in der Regierungskoalition verbleiben können…
Es wäre ja auch schon mal gut, von Grünen PolitikerInnen die Schwächen des „Kompromisses“ in der Öffentlichkeit benannt zu bekommen; aber es wird grundsätzlich alles schön geredet; damit werden die Grünen leider immer unglaubwürdiger.
Das frage ich mich auch!