Feministische Außenpolitik?

Annalena Baerbock hat ihre Pläne für eine „Feministische Außenpolitik“ präsentiert. Die Meinung eines „Mannes“ dazu…

„In jeder Gesellschaft gibt es Männer und Frauen, und in jeder, aber auch jeder Gesellschaft werden Männer gegenüber Frauen bevorzugt“ (Yuval Noaḥ Harari). Die ungleiche Behandlung der Geschlechter ist ein fundamentales Problem der Menschheit.

Ich bin ein Mann, der fast ausschließlich von Frauen erzogen wurde: Mama, Oma, Tante, Lehrerin… Die Männer mussten sich eben um das „öffentliche Leben“ kümmern. So wünsche ich mir mehr Gleichberechtigung und bin der Überzeugung, dass dies auch den Männern zugutekommen würde. Auch Männer benötigen eine Emanzipation, z. B. von Rollenbildern und von Statusorientierung.

Was ich an der „feministischen Außenpolitik“ von Annalena Baerbock kritisiere?

(1) Darin reproduziert sich latent die traditionelle Überheblichkeit des Westens, der die ganze Welt von oben herab betrachtet. Es geht um die Erzählung: „Wir sind die Zivilisation und haben die Mission, die Barbaren zu zivilisieren.“ „Im Westen gibt es Gleichberechtigung, Partizipation und Nachhaltigkeit, deshalb müssen wir den anderen Ländern ‚helfen‘, ihren ‚Entwicklungsrückstand‘ zu überwinden.“ Zusammengefasst: Wir sind die „Wertengemeinschaft“, die ihren hegemonischen Anspruch wieder durch die Defizite der anderen bzw. über Feindbilder legitimiert.

Ungleichheit hat immer mit einem Verhältnis zu tun: Man kann die Benachteiligung der anderen nicht überwinden, ohne die eigenen Privilegien infrage zu stellen. Die „Helfer“ sind selbst nicht immer ganz unschuldig an der „Unterentwicklung“ der anderen gewesen. Eine „feministische Außenpolitik“ benötigt deshalb eine Kritik der hegemonialen Verhältnissen und ihrer Geschichte.

(2) Feministisch sollte zunächst die Innenpolitik sein, dann die Außenpolitik. Die westliche Gesellschaft leidet an der chronischen Unfähigkeit, sich selbst zu reflektieren: Wie viele Frauen sitzen in Deutschland in den Parlamenten oder an der Spitze von Universitäten? Wie geht man mit einer katholischen Kirche um, die immer noch von Männern stark dominiert wird? Werden Migranten in Deutschland nicht ein wenig wie Frauen behandelt, wenn Andersartigkeit mit Mangel gleichgesetzt wird?

(3) Auch Margaret Thatcher war eine Frau. Ich finde die Außenpolitik von Annalena Baerbock sehr männlich, genauso wie manche Stellen in ihrem Lebenslauf. Der Habitus ist bei Ungleichheit entscheidender als die Worte. Ich habe das Gefühl, dass sich viele Frauen (genauso wie Menschen mit Migrationshintergrund u. a.) stark assimiliert haben – und teilweise maskuline Merkmale noch stärker zum Ausdruck bringen. Denn der gesellschaftliche Kontext, der uns alle erzieht, fördert immer noch das: Statusorientierung, Stärke, Wettbewerb… Das Problem ist also nicht nur Frauen vs. Männer, sondern Feminität vs. Maskulinität. Feminismus bedeutet nicht nur mehr Frauen an der Spitze, sondern weniger Spitzen. Es geht darum, die Gesellschaft als Zusammenleben in der Vielfalt anders zu denken.

Dr. Davide Brocchi, Köln

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3 Kommentare

  1. Kleine Randbemerkung:
    “In jeder Gesellschaft gibt es Männer und Frauen, und in jeder, aber auch jeder Gesellschaft werden Männer gegenüber Frauen bevorzugt” (Yuval Noaḥ Harari).

    Ich schätze Harari und seine Bücher sehr, doch diese Aussage scheint mir nicht haltbar:
    https://www.a-n-a.com/shop/blog/portraits/wo-frauen-das-sagen-haben-matriarchat-als-gesellschaftsform
    https://matriarchat.net/moderne-matriarchalische-gesellschaften-moderne-gesellschaften-in-denen-frauen-regieren/
    https://www.tattva.de/begegnung-mit-lebenden-matriarchalen-gesellschaften/

    Mit Feministischer Außenpolitik kann ich allerdings auch nichts anfangen. Die Außenpolitik gegen über dem Iran seit den Protesten dort, fand ich mehr als beschämend.

  2. Ich als Mann, der seit Jahrzehnten im Globalen Süden arbeitet, teile die Kritikpunkte uneingeschränkt.

    • Martin Ottensmann auf 6. März 2023 bei 11:56
    • Antworten

    Peinlich, „Margaret Thatcher war auch eine Frau“ und ich als Mann „Wurde von Frauen Erzogen“ .

    Solange männliche Sex-Touristen nach Thailand fahren und sich dort an minderjährigen Mädchen vergehen wird unsere männlich dominierte Gesellschaft auch weiterhin exportiert.
    Im Ausland trifft auf ebenso traditionelle Menschen-Bilder und verstärkt die Unterdrückung.

    Wenn selbst die Union die Polemik gegen dies feministische Außenpolitik zurückstellt, warum muss ich diese bei grünen „linken“ Männern wieder finden.

    Es gibt viele positive Ansätze in der Außen- und Entwicklungspolitik Frauen zu zu stärken, Mikrokredite an kleine Frauenbetriebe haben sich als sehr erfolgreich herausgestellt.

    Den Begriff „feministisch“ finde ich auch problematisch. Ich finde Gleichberechtigung, Emanzipation und Stärkung der Frauenrechet auch besser. Im aktuell Diskurs hat dieser sich aber leider durchgesetzt.

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