Davide Brocchi, 1.8.2022
In diesem Land wird Politik seit Jahrzehnten in Hinterzimmern gemacht, hier ist der Kalte Krieg nie wirklich zu Ende gegangen. Ich habe die 5-Sterne-Bewegung bisher nie gewählt, aber ich habe trotzdem großen Respekt für Giuseppe Conte. Seine Regierung wurde von Matteo Renzi mitten in der Corona-Krise zu Fall gebracht (warum, das wissen die Menschen in den Hinterzimmern am besten). Der Nachfolger? Mario Draghi, parteilos, Karriere bei Goldman Sachs, der dieses Jahr in den USA vom Atlantic Council ausgezeichnet worden ist.
Was waren die Projekte seiner Koalition der „nationalen Einheit“, mit Beteiligung der Partei von Silvio Berlusconi und der rechtsextremen Lega Nord? Zum Beispiel eine Reform, die das Ziel verfolgte, die Justiz zu schwächen, statt zu stärken. Sogar die Europäische Union hat diese „Riforma Cartabia“ verworfen.
Draghi gegen die Verfassung
Im Ukraine Konflikt hat Giuseppe Conte die italienische Verfassung verteidigt, die (anders als in Deutschland) auch vom Widerstand und den Partisanen mitgeschrieben wurde. Art. 11 lautet: „Italien lehnt den Krieg als Mittel des Angriffs auf die Freiheit anderer Völker und als Mittel zur Lösung internationaler Streitigkeiten ab“. Mit Draghi beteiligt sich Italien trotzdem mit Waffenlieferungen am Ukraine-Krieg.
Mehrheit gegen Waffenlieferung, aber Draghi liefert
Bis heute hat Draghi verhindert, dass man darüber offen im Parlament debattiert und abstimmt. Denn mehr als die Hälfte der Bevölkerung (51%) ist gegen Waffenlieferungen, viele wünschen sich Diplomatie. Aber Italien musste eben „bündnistreu“ sein, und zwar auch der Demokratie zum Trotz. Ich glaube, dass dieser ein entscheidender Punkt für die doppelte, merkwürdige Regierungskrise ist. Der Außenminister Luigi di Maio hat die 5-Sterne-Bewegung vor einigen Wochen verlassen und eine eigene Partei der Mitte gegründet, mit der Begründung, dass er ein treuer Atlantiker ist. Man weiß auf welcher Seite man stehen muss, wenn man in Italien an der Regierung beteiligt sein will. Bei der nächsten Wahl könnte das rechte/rechtsextreme Lager die Regierung übernehmen. Das sind die Aussichten…
Problem Massenmedien
In Italien sind die Massenmedien ein großes Problem: Sie sind nicht wirklich frei und unabhängig. So darf jedes Mal die neue Regierungskoalition die Spitze des Staatsfernsehens RAI austauschen. Journalisten, die ihren Posten behalten wollen, kümmern sich vor allem um Unterhaltung (sie gilt als politisch neutral). Fast alle Tageszeitungen gehören entweder einem Konzern oder sind einer Partei angeschlossen.
Inzwischen hat ein großer Teil des akademischen Nachwuchses Italien verlassen – und nicht nur wegen des Jobs, sondern aus Resignation. Ich war 1992 einer der ersten (und bin nicht stolz darauf). Berlusconi hatte gerade eine eigene Partei (Forza Italia) gegründet und war später mit Hilfe seiner eigenen Medien (Canale 5, Italia 1…) zum Regierungschef geworden. Berlusconi gehörte auch einem Hinterzimmer-Netzwerk an, nämlich der Loge Propaganda 2 von Licio Gelli. Im Programm der Loge („Piano di Rinascita Democratica“) spielte die Kontrolle der Medien eine zentrale Rolle. Es sind solche transversalen Netzwerke, die Italien zu dem Land gemacht haben, das heute ist. Traurig…
Beste Grüße
Davide