Gibt es den „Linken Flügel“ noch?

Karl-W. Koch, Klemens Griesehop, Lene Greve, Simon Lissner, 2.7.2022

Lange bestimmten die sog. „Flügel“ bei den Grünen die inhaltlichen Diskussionen. In den letzten Jahren war das neben den Realos die selbsternannte „Dachorganisation“ der linken Seite der Partei unter der etwas unhandlichen Bezeichnung „Grün-Links-Denken“ (GLD).

Die Liste der gebrochenen Grünen Versprechen – der Kampf um das Einhalten war bisher EIN Markenzeichen des Linken Flügels – ist lang: Dass z. B. das ohne Not das problemlos umsetzbare Tempolimit in den Koalitionsverhandlungen geopfert wurde, haben die Grün-Linken noch mit Kopfschütteln geschluckt. Dass aber in Anbetracht drohender massiver Energie-Engpässe kein Sonntagsfahrverbot, kein Tempo 100 verordnet wurde (Tempolimit 130 km/h fordert sogar der ADAC[1]), sondern stattdessen dank FDP-Lobby-Arbeit (Mövenpick[2] lässt grüßen) Milliarden für die Subventionierung von SUV-CO2-Schleudern mitgetragen wurden – auch von den Linken in der Fraktion – versteht niemand mehr. Diese Liste lässt sich vielfach fortsetzen und zeigt, wie eine Partei in der Ampelkoalition mit der FDP vom springenden Tiger rasend schnell zum Bettvorleger wird!

„Während eine Hitzewelle in Indien zehn Prozent der Weltbevölkerung quälte, verteidigte man für den Frieden neue Gasverträge, Terminals, Handelsrouten.“[3]

Entscheidungen wie für die LPG-Terminals für dreckiges Fracking-Gas aus den USA werden in einem ICE-Tempo durch Bundestag und Bundesrat gewunken, bei den selbst Hardcore-Realos vor einem Jahr noch einen veritablen Brechanfall bekommen hätten. Klimakrise? Schutz der Menschenrechte? War gestern! Heute buckelt Habeck vor einem autokratischen Emiraten-Emir für LPG. Der seitens der EU abgeschlossene Vertrag mit der autokratischen, einen Angriffskrieg gegen Jemen[4] führenden Ägyptischen Regierung zur Erdgaslieferung[5] ist ebenfalls durchgewunken. Dagegen liegen die Genehmigungen für Freiflächenanlagen mittlerer Größe durch das bisher unveränderte Bau- und Planungsrecht immer noch im Mehr-Jahres-Bereich.

„Natürlich wechselt man von russischem Gas zu saudischem und US-amerikanischem Gas,
… natürlich ist man sich selbst für Ölbohrungen in der Nordsee nicht zu schade.
Sollte uns das überraschen, nur weil die Grünen mitregieren? Auch nicht!
Die werden so hart für jedes Gramm an Idealen gefeiert, das sie über Bord werfen,
da wird sich absehbar keine neue Öko-Opposition herausbilden.“[6]

„…man schickt Panzer und die Außenministerin nach Kiew, aber auch Milliarden an Putin. Die Klimakrise versteht bestimmt, dass sie warten muss.“[7]

„Gestern“ hätten zumindest die Linken in der grünen Fraktion einen Aufstand gemacht. Heute wird – bis auf ganz wenige aufrechte und integre Ausnahmen gekuscht und zugestimmt.

Bei den erfolgten Abstimmungen im Bundestag zu dem 100 Mrd.-Sondervermögen[8] und zu den Grundgesetzänderungen[9] haben lediglich 5 Grüne (Canan Bayram, Stephanie Aeffner, Beate Müller-Gemmecke, Corinna Rüffer und Wolfgang Strengmann-Kuhn) mit NEIN gestimmt und 7 weitere (aus offenbar unterschiedlichen Gründen) nicht abgestimmt. Und dass, obwohl selbst die von Grüner Parteispitze und Fraktion zuvor auf sehr anspruchsvolle Limbohöhe gesenkte Forderung (Verwendung der 100 Mrd. auch für Cybersicherheit oder gar – da ruderte man schon zuvor zurück – den „erweiterten Sicherheitsbegriff“ – (sinngemäß Konfliktprävention etc.)[10] NICHT erfüllt wurde.

Konsequent in der bisherigen Linie- alles was das Regieren stört – auszublenden, stimmten dann auch nur wenige grüne Linke *innen gegen die beiden Beschlüsse[11].

Aber selbst davor, sich mit ihrem aktuellen Kriegskurs dem Votum der Basis zu stellen, scheut die Führung, im Gegenteil wird die Inititiative für eine Urabstimmung massiv behindert. Vom Bundesschiedsgericht muss sich der Bundesvorstand und die politische Geschäftsführerin belehren lassen, dass selbstverständlich „eine zusätzliche Grüne Info mit komplettem Text der Urabstimmungs-Initiative“ an alle Mitglieder zu versenden wäre. Bisher begnügte man sich mit der dreifachen Erwähnung, dass es die Urabstimmungsinitiative auch gibt, ohne weitere Hinweise im hinteren Teil von irgendwelchem Kleingedruckten. Eine Unterstützung des linken Flügels oder der ehemals linken Grünen Jugend Bundesverband, damit wenigstens die Parteimitglieder diese Frage ENTSCHEIDEN können, wie auch immer sie das tun mögen … Fehlanzeige!

Es stellt sich die Frage nach der Heimat der bisher in der Partei verbliebenen „Grünen Linken“, vor allem derjenigen, die sich nach wie vor dem Pazifismus, dem Atomausstieg und gewaltfreien Lösungen verpflichtet sehen. Immerhin sind selbst bei der sehr eigenwilligen[12] Panoramabefragung[13] zur Nuklearen Teilhabe[14] weiterhin 33 % der Befragten grünen Parteimitglieder FÜR den Abzug. Da dies angeblich repräsentativ ist, haben also ca. 40.000 Grüne aktuell eigentlich keine Heimat

Klimaschutz, Bekämpfung von Hungersnöten, soziale Sicherung und eine pazifistische Friedenspolitik sind keine Gegensätze, sie ergänzen sich zu einer, nein zu DER einzigen möglichen Gesamtlösung. Dafür braucht es linke Parteien, dafür braucht es einen funktionierenden linken Flügel in den Grünen.

„Wenn es jemals die Illusion gab, dass sich das mit dem Klima schon klärt,
sobald die Richtigen regieren – dann liegt sie jetzt in Scherben.“ [15]

Wir waren in den letzten Jahren Widerständler*innen als UGL bei den Grünen beim Kampf für grüne Positionen und bestehende Beschlüsse, irgendwie ein „gallisches Dorf“. Die Unabhängigen Grünen Linken (Näheres auf unserer Homepage) vertreten die nach wie vor gültige Grüne Beschlusslage und versucht diese wieder in das Gedächtnis zurückzurufen und unsere Funktionär*innen auf die Umsetzung zu verpflichten. Wir vertreten unsere grünen Grundwerte ökologisch, solidarisch, basisdemokratisch und gewaltfrei.

Wir fordern alle Grünen auf, die ebenfalls diese Ziele vertreten, uns zu unterstützen und bei uns aktiv mitzuwirken, damit wir mit vereinten Kräften, die derzeitige Kursänderung bekämpfen und wieder zu unseren Grundwerten zurückkehren. Tretet nicht aus oder zieht Euch nicht ins Privatleben zurück, sondern kämpft mit uns zusammen als gesellschaftliche Subjekte gegen die Kursänderung! Wer sich angesprochen fühlt, möge sich bitte über unsere Homepage in den Mailverteilern anmelden und mitarbeiten; wir brauchen dafür jede*s Basismitglied.

  • Wir wollen Stand- und Spielbein wieder sinnvoll zueinander sortieren und uns künftig verstärkt mit zivilgesellschaftlich Aktiven für die Lösung der gemeinsamen Probleme innerhalb der Partei sowie in den Bewegungen zusammentun.
  • Nachdem die Schuldenbremse durch die Bundeswehr-Sonderschulden neu in Frage steht, wollen wir mit den Gewerkschaften, die bereits seit langem ihre Abschaffung fordern, für eine zukunftsgewandte Investitionspolitik eintreten.
  • Mit Initiativen wie Greenpeace, ICAN und IPPNW wollen wir für die zügige Verwirklichung unseres Wahlprogramm-Versprechens – „ein Deutschland frei von Atomwaffen und einen Beitritt Deutschlands zum VN-Atomwaffenverbotsvertrag“ – arbeiten.
  • Damit es im kommenden Winter nicht erneut zu einem Kollaps des Gesundheitssystems kommt, wollen wir mit den mutigen Aktiven der Krankenhausbewegung für die dringend benötigten Mittel für eine menschenwürdige Gesundheitsversorgung wirken.
  • Dafür, dass das Leben in der Einen Welt die besten Entwicklungsmöglichkeiten für alle Menschen beinhaltet, wollen wir mit Initiativen wie attac und Fridays-for-Future dafür wirken, dass nicht die Entfesselung der Märkte durch ungerechte und klimaschädliche Freihandelsabkommen bestimmender Faktor ist, sondern die Souveränität der Länder des Globalen Südens geachtet wird und Handelsbeziehungen zunehmend auf Augenhöhe geführt werden.

Für die UGL, Orgateam
Karl-W. Koch, Klemens Griesehop, Lene Greve, Simon Lissner

[1] https://www.adac.de/verkehr/standpunkte-studien/positionen/tempolimit-autobahn-deutschland/

[2] https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/moevenpick-partei-fdp-ein-gschmaeckle-hat-s-scho-a-672904.html

[3] Zitate Luisa Neubauer, Zeit vom 8.6.2022: https://www.zeit.de/2022/24/gruene-klimapolitik-ernergie-oel-luisa-neubauer/komplettansicht

[4] https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/jemen-2021

[5] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/energie-israel-soll-gas-ueber-aegypten-nach-europa-liefern-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-220615-99-673168

und https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/aegypten-gas-von-der-leyen-103.html

[6] Zitate Luisa Neubauer, ebenda

[7] ebenda

[8] https://www.bundestag.de/parlament/plenum/abstimmung/abstimmung?id=784

[9] https://www.bundestag.de/parlament/plenum/abstimmung/abstimmung/?id=782

[10] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2022-05/agnieszka-brugger-gruene-verteidigung-bundeswehr-geld

[11] https://www.heise.de/tp/features/Also-werden-Ruestungsausgaben-kontinuierlich-steigen-7131717.html

[12] Frage: Die USA haben Schätzungen zufolge in Deutschland in der Eifel derzeit 20 Atombomben stationiert. Sollten Ihrer Ansicht nach die in Deutschland befindlichen Atombomben der USA …?
Die Antwortmöglichkeiten waren NUR:
– modernisiert und aufgestockt werden
– unverändert stationiert bleiben
– abgezogen werden
Da aber die Variante II NICHT gegeben ist (die Tornados sind ab 2024 nicht mehr einsatzfähig, die Modernisierung der Bomben läuft bereits) ist die Frage journalistisch zumindest handwerklich schlecht und grob fahrlässig falsch.

[13] https://daserste.ndr.de/panorama/index.html

[14] https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2022/umfrage1310.pdf

[15] Zitate Luisa Neubauer, ebenda

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