Offener Brief an die Delegierten der Sonder-BDK

21. Juni 2011

Kein grüner Segen für diese Atompolitik!

Liebe Delegierte,
die weiter andauernde Katastrophe von Fukushima hat in Deutschland und weit darüber hinaus zu einer starken Anti-Atom-Bewegung geführt. Die schwarz-gelbe Bundesregierung wurde dadurch gezwungen, die im letzten Herbst beschlossene Laufzeitverlängerung zurückzunehmen und acht Reaktoren endgültig abzuschalten. Ein großer Erfolg, der ohne den unermüdlichen und breit getragenen Protest nicht möglich geworden wäre.
Doch die zweite Hälfte des „Ausstiegs“ wird im Wesentlichen auf die Jahre 2021/2022 vertagt. Wie schon nach dem rot-grünen Ausstiegsbeschluss sollen erneut zehn Jahre vergehen, die vor allem den Weiterbetrieb der Atomreaktoren sichern. So würde selbst das AKW Gundremmingen C, das fast baugleich mit Fukushima ist, bis 2021 weiterlaufen. Wieder ist der „Ausstieg“ nicht unumkehrbar. Die Sicherheitsauflagen für die Betreiber sind sogar noch schwächer als zu Zeiten des rot-grünen „Atomkonsenses“. Zudem ist die angekündigte, bundesweite Endlagersuche völlig unverbindlich. Fakten werden weiterhin lediglich in Gorleben geschaffen, indem der Ausbau des Salzstocks zum Endlager fortgesetzt wird.
Wir sind enttäuscht, dass der Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen dieser schwarz-gelben Mogelpackung im Bundestag und Bundesrat zustimmen und ihr damit einen grünen Segen verleihen will. Im März diesen Jahres, wenige Tage nach Fukushima, beschloss der Kleine Parteitag der Grünen mit breiter Mehrheit die Forderung, den Atomausstieg massiv gegenüber dem rot-grünen „Atomkonsens“ zu beschleunigen und alle Reaktoren stufenweise bis 2017 abzuschalten. Jetzt droht dieser Beschluss bereits wieder Makulatur zu werden. So entsteht nicht Glaubwürdigkeit bei Wählerinnen und Wählern – sondern der Eindruck, aus Angst vor Kampagnen der politischen Konkurrenz grüne Kernpositionen zu räumen.
Mit einer Zustimmung zum vorliegenden Atombeschluss der Regierung würden Bündnis 90/Die Grünen sich an einen Ausstiegsplan fesseln, der ihnen jeden relevanten atompolitischen Gestaltungsspielraum im Falle einer Regierungsbeteiligung 2013 raubt. Damit wären sie gezwungen eine Politik zu verteidigen, die in der nächsten Legislaturperiode lediglich die Abschaltung eines Reaktors, des Kraftwerks Grafenrheinfeld, vorsieht.
Konsequentes Handeln gegenüber den Atomkonzernen – etwa durch höhere Sicherheitsauflagen und Haftungsansprüche – verlöre nach vorheriger Zustimmung zu einem Ausstieg im Schneckentempo die Plausibilität. Wenn die Grünen dem schwarz-gelben Beschluss zustimmen, dann ist atompolitisch die Kiste zu.
Die Grünen müssen in der Offensive bleiben und dürfen das Heft des Handelns nicht aus der Hand geben! Sie müssen mit der klaren Forderung nach einem Ausstieg innerhalb einer Legislaturperiode in den Bundestagswahlkampf 2013 ziehen – und gegebenenfalls mit dieser Bedingung in Koalitionsverhandlungen über eine grüne Regierungsbeteiligung treten! Dazu gehört auch ein klares Nein zu einem Endlager in Gorleben. Es braucht ein Endlagersuchgesetz das endlich ein vergleichendes Verfahren mit Bürgerbeteiligung und –rechten ermöglicht.
Die Grünen müssen nicht über das Stöckchen springen, das die Regierung hinhält! Sie müssen nicht einen Konsens mit der Regierung eingehen, nur weil diese damit das Thema Atomkraft von der politischen Tagesordnung abräumen will. Sie müssen nicht ihren politischen Spielraum einengen, nur weil die SPD dem Regierungsbeschluss vielleicht zustimmt. Sie müssen nicht einem Gesetz zustimmen, nur weil es auch begrüßenswerte Elemente wie die Abschaltung von acht Reaktoren enthält. Diese werden auch stillgelegt, wenn sie aus den genannten Gründen mit „Nein“ stimmen.
Im Jahr 2000 haben Bündnis 90/Die Grünen mit einem völlig unzureichenden Ausstiegsbeschluss einen tiefen Graben zu den Umweltverbänden und der Anti-Atom-Bewegung aufgerissen. In den letzten Jahren haben wir diesen an vielen Stellen überbrückt, sind gemeinsam für das Ende der Risikotechnologie Atomkraft auf die Straße gegangen. Beginnen Sie jetzt nicht, diese Brücken wieder einzureißen! Streiten Sie mit uns für einen Ausstieg, der diesen Namen auch verdient!
Mit besten Grüßen
Peter Dickel, Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad
Ingo Hoppe, AK.W.ENDE (AKW Biblis)
Jochen Stay, .ausgestrahlt
Wolfram Scheffbuch, Bund der Bürgerinitiativen mittlerer Neckar (AKW Neckarwestheim)
Hubert Weiger, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
Bündnis Anti-Atom-Ostwestfalen-Lippe (AKW Grohnde)
Karsten Hinrichsen, Bürgerinitiative Gesundheit und Klimaschutz Unterelbe (AKW Brokdorf)
Wolfgang Ehmke, Kerstin Rudek, Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg
Christoph Bautz, Campact
Raimund Kamm, FORUM Gemeinsam gegen das Zwischenlager und für eine verantwortbare Energiepolitik (AKW Gundremmingen)
Ewald Feige, Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW)
Uwe Hiksch, NaturFreunde Deutschlands
Dirk Seifert, Robin Wood
Widerwelle (AKW Philippsburg)
 
*Bei Fragen wenden Sie sich bitte an:*
Tina Löffelsend, BUND-Klimaschutzexpertin
tina.loeffelsend@bund.net<mailto:tina.loeffelsend@bund.net>
Tel.: 0 30 / 2 75 86 – 433, Fax.: – 440
 


Antwort ders Bundesvorsitzenden an die Umweltverbände
 
Anmerkung zum Brief des BuVo an Umweltverbände:
 
Eins fällt auf:
Während Merkel immerhin vorgibt und in Ansätzen so handelt, als habe sie aus Fukushima gelernt, haben die Grünen die gesellschaftliche Bewusstseinsänderung nicht begriffen:
Hunderttausende haben sich nicht den Grünen zuliebe an Demos und Menschenketten beteiligt, sondern weil sie begriffen haben, dass es einen Sofortausstieg braucht. Diese Menschen gehören auch der Mittelschicht an, nach der die Grünen offensichtlich fischen.
Die Anti-AKW-Bewegten haben sich nach den Nichtwählern zur größten Wählergruppe gemausert, quer durch alle gesellschaftlichen Gruppierungen. Das taktische Abstimmungsverhalten (Annahme) wird dieses Wählerpotential verprellen.
Die Glaubwürdigkeit der Grünen Partei wäre erneut beschädigt.
Eine Beschleunigung des Ausstiegs nach 2013 nach der Zustimmung jetzt würde als 180-Grad-Wende der Grünen gewertet (kein verlässlicher Partner und Vertrauensbruch). Die Politikabstinenz weiter Bevölkerungsteile würde noch mehr anwachsen.
Karsten Hinrichsen, BI Brokdorf, 22.6.11

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