Solidarisierung mit dem ägyptischen Volk
Seit mittlerweile zwei Wochen demonstriert das ägyptische Volk für eine andere Regierung, für bessere Lebensbedingungen und für die Demokratie. Auch morgen wollen die Demonstrantinnen und Demonstranten wieder auf dem Tahir-Platz zusammenkommen, um mit einem symbolischen „Marsch der Millionen“ auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Die westlichen Medien sind derzeit voll mit Berichterstattungen aus Ägypten, sie stellen die großen Fragen: Was bedeuten die Aufstände für die Region? Welche Konsequenzen würde eine andere Region in Ägypten für Israel mit sich bringen? Droht eine radikale Islamisierung des Landes? Eine der wichtigsten Fragen, die zwar mitdiskutiert wird, aber aus meiner grünen Überzeugung heraus eigentlich die zentralste sein sollte ist: Was passiert mit der ägyptischen Bevölkerung? Und wie wollen und können wir sie unterstützen?
Solidarisierung mit dem ägyptischen Volk
Von der deutschen Bundesregierung war zunächst kaum ein Wort zu den Protesten in Ägypten zu vernehmen. Guido Westerwelle hat sich zu der Situation lange überhaupt nicht geäußert, Angela Merkels Aussagen auf der Münchener Sicherheitskonferenz kamen spät und waren undurchsichtig und zweideutig. Ich selbst bin während der Proteste als Touristin in Ägypten gewesen und wurde von den Ägypterinnen und Ägyptern immer wieder angesprochen. Viele zeigten sich verwundert und enttäuscht über die zurückhaltende Rolle des Westens, der sich zu der Situation nicht äußerte und somit auch nichts dafür tat, um das ägyptische Volk zu stützen.
Doch gerade die Demonstrierenden hätten eine Solidarisierung bitter nötig. Denn sie demonstrieren vor allem gegen die hausgemachten Missstände einer korrupten Regierung, für eine bessere finanzielle, aber auch soziale Situation und für mehr Mitbestimmung und Demokratie. Die Zahlen sprechen hier für sich: Eine Jugendarbeitslosigkeit von 30 % und der weltweite Korruptionsindex von Transparency International für 2010 zeigt Ägypten auf dem 98. Platz. Es sind vor allem junge Menschen, die immerhin ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, die für eine eigene und bessere Zukunft kämpfen. Dass die ägyptische Regierung dabei mit einer derartigen Härte vorgeht, muss gerade von westlicher Sicht und von Deutschland aus stark kritisiert werden. In einem Beschluss des Bundesvorstands und des Parteirats vom letzten Montag haben wir deswegen auch die die sofortige Beendigung des Ausnahmezustands, die Gewährung von Informations-, Versammlungs-, und Meinungsfreiheit sowie stets freien Zugang zu Internet und Handynetzen gefordert – eine Forderung, die der deutschen Bundesregierung gut angestanden hätte. Außerdem haben wir uns für die Einbeziehung und Unterstützung der Frauenorganisationen ausgesprochen.
Die Lage und Rolle der ägyptischen Frauen
Unterschätzt und häufig kaum thematisiert wird dabei auch die Rolle der ägyptischen Frauen und der Frauenbewegung, die trotz einiger Hindernisse eine lange Tradition hat im ägyptischen Staat. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es erste Ansätze einer feministischen Bewegung in Ägypten – eine Bewegung, die teilweise sogar von Männern unterstützt wurde. 1899 publizierte Qasim Amin, ein ägyptischer Philosoph das Werk „Die Befreiung der Frauen“, 1901 folgte das Buch „Die neue Frau“, in denen er die herrschenden Geschlechterverhältnisse anprangerte und auf eine neue Basis stellen wollte. 1923 wurde dann die Ägyptische Feministische Vereinigung gegründet. Seit diesen Anfängen haben die ägyptischen Frauen und vor allem die feministischen Kräfte im Land immer wieder Hochs und Tiefs erlebt. Zwischen 1950 bis 1970 wurden zivilgesellschaftliche Organisationen insgesamt sehr stark eingeschränkt, wobei Präsident Anwar Sadat ab 1970 wieder eine Öffnung des Landes anstrebte und sich somit auch die Möglichkeiten für Frauenrechtsorganisationen veränderten. Seit der Übernahme des ägyptischen Regierungsamtes durch Hosni Mubarak im Jahre 1981 herrscht in Ägypten offiziell der Ausnahmezustand, der die Einschränkung zivilgesellschaftlicher Initiativen immer wieder erleichterte.
Trotz allem gibt es mutige ägyptische Feministinnen, die sich seit Jahren für die Verbesserungen der Lebensbedingungen von Frauen einsetzen – und das trotz starker Repressionen. Eine der bekanntesten ist Nawal el Saadawi, eine Ärztin, die in den USA studiert hat und die im Jahr 2004 sogar zu den Präsidentschaftswahlen angetreten war. Sie kämpft seit Jahren gegen die hohe Gewalt gegen Frauen, hat sich gegen Genitalverstümmlungen in Ägypten stark gemacht und für die Mitbestimmung von Frauen im öffentlichen Leben eingesetzt.
Weitere wichtige frauenpolitische Themen in Ägypten waren und sind zudem seit Jahrzehnten die Fragen von Scheidungsrechten, das Erbrecht und die Frage der Religionswahl, die viele beschäftigen und wo es noch sehr viel zu tun gibt auf dem Weg hin zu Gleichberechtigung.
Es sind aber nicht nur prominente Frauen des öffentlichen Lebens, die eine Veränderung im Land bewirken, sondern vor allem auch die, die ihren Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung im Privaten leben.
Auch morgen werden in Ägypten wieder viele mutige Frauen auf die Straße gehen und sich für ihre Zukunft einsetzen – Frauen, die weniger prominent sind oder auf ihre Kontakte im Ausland bauen können. Es ist wichtig, dass wir sie als Frauenpolitikerinnen und –rechtlerinnen auch aus dem Ausland heraus unterstützen und uns auch mit ihren eigenen Forderungen und den Lebensrealitäten vor Ort auseinander setzen und den Diskurs hier führen – auch wenn ihre feministischen Forderungen vielleicht nicht immer in unser eigenes Bild passen und unsere eigenen Ansprüche erfüllen. Denn auch sie sollten zuallererst die Möglichkeit bekommen, dass, was sie vor Ort und für sich und ihre Familien brauchen, auch einfordern zu können, ohne dass ihnen von außen wieder bestimmte Vorstellungen über ihre Lebensweise aufgedrückt werden.
Die Zukunft der Ägypterinnen und Ägypter sollte vor allem selbstbestimmt sein
Wie es in Ägypten weitergeht, wird sich wohl erst in den nächsten Wochen entscheiden. Ein Problem für viele Ägypterinnen und Ägypter, das sich bereits jetzt abzeichnet, ist die hohe Abhängigkeit vom Tourismus. Nachdem die meisten ausländischen Touristinnen und Touristen das Land verlassen haben, wissen viele nicht, wie sie den Sommer überstehen sollen – das ist mir auch durch viele Gespräche mit den Menschen vor Ort klar geworden. Ein Land, was 20 Prozent der eigenen Devisenreserven aus dem Tourismus zieht, leidet natürlich unter diesem Konflikt und wird sicherlich auch in der nächsten Zeit unter sich weiter verschärfenden wirtschaftlichen Probleme zu leiden haben.
Eines ist klar: Ein Übergang kann nur mit den Menschen vor Ort gelingen. Und diese sollten wir auch in Deutschland unterstützen – sei es mit unseren Solidaritätserklärungen, aber auch durch Diskussionen und den Austausch mit den Menschen vor Ort. Um diese möglichst gut zu unterstützen, fordern wir als Grüne daher auch ein intensives Rechts- und Sozialstaatsprogramm für die Gesellschaften im Transformationsprozess. In solche Programme müssen dann aber auch vor allem die Initiativen vor Ort einbezogen werden. Hierzu gehören auch die zahlreichen Frauen- und Menschenrechtsorganisationen. Ihre Einbeziehung entspricht auch den klaren Forderungen der UN-Resolution 1325, welche die wichtige Rolle von Frauen in Kriegs- und Krisensituationen betont. Nur gemeinsam mit den zivilgesellschaftlichen Kräften vor Ort wird auch eine gesellschaftliche Transformation des Landes und somit auch eine langfristige Stabilität möglich sein, dies haben andere Konflikte bereits gezeigt.