Position – Strategiewechsel ist nicht nur ein Wort

Seit Jahren fordern wir GRÜNEN im breiten Konsens einen Strategiewechsel in Afghanistan, seit Jahren jedoch verschlechtert sich die Lage kontinuierlich, wird der falsche Kurs des Primats des Militärischen (insb. die Luftkriegsführung[1]) intensiviert. Polizeiaufbau, Entwaffnung und wirtschaftliche Entwicklung müssen gesamtafghanisch als gescheitert bezeichnet werden.(2) Zunehmend verwickelt sich die NATO in einen aussichtslosen und verlustreichen Guerillakrieg mit dem sog. „Widerstand“(3), der nach Schätzungen der Expertengruppe „Senlis Council“ 54 Prozent des Territoriums unter seiner Kontrolle hat. Im „Failed State Index“ 2007 steht Afghanistan an achtschlechtester Position. Das Land gilt als eines der korruptesten der Welt, die Zentralregierung in Kabul als schwach und wird weithin als US-Marionette wahrgenommen. Landesweit ist von einer Arbeitslosigkeit von ca. 70 Prozent auszugehen. Statistisch gesehen muss jede AfghanIn von weniger als einem US-Dollar am Tag leben. Die ernüchternde Alternative lautet: Scheitern oder Strategiewechsel. Doch das realistische Zeitfenster für Alternativen schließt sich zunehmend: Bescheidenere und pragmatischere Ziele (den kulturellen und historischen Besonderheiten entsprechend), Afghanisierung der Sicherheit (Zurückführung der Kampfeinsätze der NATO in drei Jahren, Festlegung eines Abzugsdatums), Dezentraler Governance-Ansatz (Abkehr vom zentralistischen Staatsansatz und Förderung lokaler Strukturen), Angepasste Entwicklungsstrategie (Ausweitung, bessere Strategisierung und Koordinierung), Regionale Einbettung (Regionalkonferenz über Sicherheit, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung).(4)
Der Göttinger Beschluss und die anvisierte Intensivierung und Verstetigung des falschen militärischen Kurses (Tornados, QRF, Aufstockung des Kontingents, Verlängerung der Mandatsdauer, Awacs) durch die Bundesregierung und die NATO lassen keinen weiteren Interpretationsspielraum zu. Eine weitere Mandatsverlängerung im Oktober 2008 kann nach Lage der Dinge nicht empfohlen werden. Dies ergibt sich aus der Beschlusslage der Partei und aus dem nicht geführten aber von uns geforderten Nachweis hinsichtlich einer positiven Entwicklung oder eines Strategiewechsels in Afghanistan. Von der Bundesregierung ist ein zeitlich überschaubarer Friedens- und Aufbauplan im oben angesprochenen Sinne für das Land und die Zivilgesellschaft einzufordern. Angesichts einer drohenden Ausweitung des Konflikts unter der gegenwärtigen Strategie auf den Atomstaat Pakistan und damit letztlich die ganze Region, würde eine weitere Zustimmung zum Falschen „aus Prinzip“ durch Grüne Abgeordnete eine Inkaufnahme der Ausweitung eines militärischen Abenteuers bedeuten.
Die GRÜNEN sind derzeit Oppositionspartei. Partei und Fraktion sind daher in der Verantwortung, nun alle demokratischen Druckmittel (Zustimmungsverweigerung im Bundestag und massive Protestkampagnen mit verantwortungsbewussten zivilgesellschaftlichen Gruppen) auszuschöpfen.
Robert Zion, August 2008
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(1) Ende 2005 wurden von den USA für $ 83 Millionen die Landebahnen in Bagram bei Kabul und in 14 dezentralen Luftwaffenstützpunkten im ganzen Land ausgebaut. Von 2006 auf 2007 stieg die Zahl der Luftangriffe von 1.770 auf 2.764 (Zum Vergl.: 2007 wurden im Irak 1.140 Luftangriffe geflogen).
(2) In 2006 etwa gingen die VN noch von bis zu 2.200 illegal bewaffneten Gruppen mit bis zu 200.000 Bewaffneten mit ca. 3,5 Mill. leichten Waffen aus.
(3) Bestehend aus islamistischen oder nationalistischen Paschtunen, Drogenhändlern, lokalen Kommandeuren, warlords, Al-Qaida-Terroristen, ausländischen Jihadisten, religiösen Fundamentalisten, Antizentralisten und autonomen Kräften.
(4) Vgl.: Afghanistan: Scheitern oder Strategiewechsel?, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH), Mai 2008 (https://www.robert-zion.de/downloads/Hamburger_Informationen.pdf).

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