Kommentar zu: Winfried Herrmann – Ich gehe als Pazifist ins Grab

Klemens Griesehop, 5.5.2022

Winfried hat der Wochenzeitung Kontext ein Interview gegeben und erklärt, er bleibt Pazifist. Unter der Überschrift „Ich gehe als Pazifist ins Grab“ kritisiert er, dass die einstige Friedenspartei, jetzt vorneweg marschiert mit dem Ruf nach immer mehr Waffen für die Ukraine. Mit seiner Erfahrung als Bundestagsabgeordneter vor 20 Jahren beim Einsatz in Afghanistan, halte ich das Interview mit ihm für absolut zentral für den heutigen Diskurs und bringe ausführliche Zitate:  „Die Presseleute haben immer noch Petra Kelly im Kopf“, sagt der 69-Jährige, „und vergessen dabei die Jungs vom Sieg im Volkskrieg, also die vielen ehemaligen Maoisten, die nie Pazifisten waren.“ Gemeint sind Winfried Kretschmann, Reinhard Bütikofer, Jürgen Trittin, Ralf Fücks et al., die ihre K-Gruppen-Vergangenheit mit zu den Grünen genommen haben. (…)

Im Bundestag ist Hermann der böse Pazifist. „Für Hermann sind das die „schlimmsten Phasen“ seiner politischen Karriere. „Ich war für nicht wenige der böse Pazifist“, sagt er, und versteht erst später, warum. Er hatte mit den „Ursprungsideen“ der Grünen argumentiert und damit bei seinen Parteifreunden im Bundestag den Eindruck erweckt, er erhebe sich moralisch über sie, die im Zweifel die realpolitische Drecksarbeit machten. Für den Schutz vor Völkermord, die Wahrung von Menschenrechten, mit dem Militär als ultima ratio. In den „Dauerkonflikten“ um die Auslandseinsätze der Bundeswehr fühlt er sich gebrandmarkt, wechselweise als notorischer Abweichler, charakterloser Geselle oder Vaterlandsverräter abgewatscht, beharkt von den Oberrealos um Fritz Kuhn, Rezzo Schlauch und Cem Özdemir. Er fragt sich, was er in dieser Partei noch soll? Als Pazifist hat er mit Nein gestimmt. (…)

Er verweigert den Dienst an der Waffe, muss dennoch vier Monate zur Truppe nach Ulm, bis er anerkannt wird. Die weltliche Grundlage bietet der Geislinger Politologe Dieter Senghaas („Kritische Friedensforschung“), die religiöse entstammt der Bergpredigt („Gebot der Feindesliebe“), und beide gelten ihm bis heute. Natürlich ist er bei den Blockaden in Mutlangen, bei der Menschenkette zwischen Stuttgart und Neu-Ulm, bei der Großdemo im Bonner Hofgarten dabei, später bei den Grünen, die ihm als erste Adresse für Antimilitarismus und Pazifismus erscheinen. (…) Er hat einen Brief von dem emeritierten Tübinger Sportprofessor Helmut Digel bekommen, der ihm persönlich und politisch nahe steht. (…) Emeritus Digel hält die aktuelle Politik der Grünen für „falsch und gefährlich“. Er schreibt, er wundere sich doch sehr, wenn er ihre Führungskräfte über Waffensysteme reden höre, die über „keine militärische Kompetenz“ verfügten und die Folgen ihrer Vorschläge nicht zu beurteilen wüssten. Dabei müsste auch für „Kriegstreiber“ einsichtig sein, dass eine Lösung des Konflikts nicht mit einer weiteren Aufrüstung erwartbar sei. Der „liebe Winne“, schließt Digel, möge sich doch für einen „modernen Pazifismus“ in seiner Partei einsetzen. Danach hat sich der Minister gefragt, ob er der Bitte entsprechen sollte, wohlwissend, dass er vermintes Gelände betreten würde. Die Luft im Land riecht nach Falken. Hermann wagt es, spricht lange mit Kontext, wehrt sich dagegen, dass alle Einsichten und Erfahrungen plötzlich als „naive Irrtümer“ gelten. Es wären auch seine. Auf den Müllhaufen der Geschichte mit ihnen? (…)

Wer heute bekennt, ein Pazifist zu sein, bekommt als Nettestes noch zu hören, Anhänger eines „fernen Traums“ (Habeck) zu sein. Gängiger ist der Vorwurf der „intellektuellen Traurigkeit“ (FDP-Theurer) oder gleich ein „selbstgerechter Lump“ zu sein, den der Kolumnist Sascha Lobo wohl am liebsten sofort dem Haftrichter vorführen würde. Wie sich das anfühlt, könnten die 28 Prominenten, von Lars Eidinger über Alice Schwarzer bis Martin Walser, erzählen, die einen offenen Brief an Scholz geschickt haben, in dem sie fordern, die „vorherrschende Kriegslogik durch eine mutige Friedenslogik“ zu ersetzen. Ein Blindfisch zu sein ist noch die harmloseste Schmähung im Konzert militarisierter Politik und Medien. Die „fünfte Kolonne Putins“, eine in FDP-Kreisen beliebte Positionsbeschreibung von Friedensbewegten, könnte folgen. (…) Hermann nennt das eine „fatale Verengung des öffentlichen Diskurses“, am besten zu beobachten in den Talkshows der Bellizisten, denen Panzer nicht schnell genug geliefert werden können, um mit den Panzern Putins gleich zu ziehen und so auf Augenhöhe zu sein, sollte es zu Verhandlungen kommen. Mit einem Gegenüber, dem Regeln angeblich gleichgültig sind, der dummerweise aber auf den Atomknopf drücken kann. Für den Antimilitaristen dreht sich hier eine irrationale „Gewaltspirale“, der es schleunigst zu entkommen gilt, auf dass „Reflektionsräume“ eröffnet werden können, in denen über Alternativen nachgedacht wird. „Das erwarte ich von meiner Partei“, betont er. (…) Um Fehldeutungen vorzubeugen: Hermann ist nicht Jürgen Grässlin, der zivilen Ungehorsam vor anrollenden Panzern vorschlägt. Er verstehe die ukrainischen Männer, die mit Waffen in den Krieg zögen, gegen den „brutalen Aggressor Putin“, dem Menschenrechte nichts bedeuteten, sagt er. Aber wäre es nicht mindestens genauso wichtig, miteinander zu sprechen, dem Diktum des Philosophen Jürgen Habermas zu folgen, der die Lösung von Konflikten nur in der Kommunikation der Konfliktparteien sieht? Warum nicht auch von Partnerstadt zu Partnerstadt? Und was ist mit dem Hunger in der Welt, dem Klima, dem Umweltschutz? Werden hier keine Menschenrechte berührt? Sind wir wirklich die Guten? Ist es vielleicht leichter, schwere Waffen zu fordern als ein Tempolimit? Wenn plötzlich 100 Milliarden für die Bundeswehr da sind. Auch auf solche Fragen möchte er von Baerbock, Habeck und Hofreiter Antworten haben, im präventiven, friedensstiftenden Sinn. (…)

Daran wird abzulesen sein, wie es die Partei künftig mit dem Pazifismus hält. Schwierig. Das Thema triggert bei den jungen Grünen nicht, die Linken sind weitgehend raus, das Spitzenpersonal kennt den Bonner Hofgarten, die Mutlanger Pressehütte, die Waldheide Heilbronn nur aus dem Archiv, die Nato ist längst kein Feindbild mehr, die Zumutungen für Friedensfreunde werden mehr. Und trotzdem: Der grünlinke Großvater will keine Ruhe geben. „Ich gehe als Pazifist ins Grab“, sagt Hermann und packt „Die Olivgrünen“ weg.“
Ich kann mich nur bei Winfried Hermann bedanken, dessen damaligen Erfahrungen und Meinung ich teile! Die sich ausbreitende Kriegshysterie in diesem Land ist erschreckend. Die Forderungen unserer grünen Außenministerin, des Wirtschaftsministers und von Toni Hofreiter von GLD – vorneweg nach immer mehr und schweren Waffen stellt das grüne Grundsatzprogramm und Wahlprogramm komplett auf den Kopf und widerspricht der kompletten grünen Programmatik!

Deshalb fordern wir ja auch eine Urabstimmung der grünen Parteibasis, um sie darüber abstimmen zu lassen. Mittlerweile fordern mehr als 1.400 Basisgrüne diese Urabstimmung https://beteiligung.gruene.de/urabstimmung/Zukunft_investieren_statt_in_Aufruestung-61421)
Viele Grüße – Winfried Hermann ich danke Dir für diese Stellungnahme!
Anlage
Das komplette Interview kann hier nachgelesen

Winfried Herrmann, MdL (Grüne),
seit 2011 Verkehrsminister des Landes Baden-Württemberg

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