Regime Change? – Ein Long-Read

Gastbeitrag von Dietrich Schulze-Marmeling, 22.4.2022
Einige Anmerkungen zum Krieg in der Ukraine und den Debatten, die ich diesbezüglich führe.

Erstens: Ich fand die Aufregung über Bidens undiplomatische Manuskriptabweichung etwas übertrieben. Nein, ziemlich übertrieben. War es nicht das Putin-Regime, das in die Ukraine mit dem Ziel einfiel, eine demokratisch legitimierte Regierung zu stürzen (deren Ermordung inbegriffen), um in Kiew ein Marionettenregime zu etablieren, also „regime change“ zu betreiben?

Biden: “For God’s sake, this man cannot remain in power.” Denn Gott hätte ich rausgelassen, aber den Rest sehe ich nicht anders. Selbstverständlich hoffe auch ich, dass dieses verbrecherische Regime (verbrecherisch nicht nur auf Grund seiner Kriegsführung in der Ukraine) über diesen Krieg stürzt – wäre dies im Übrigen ein schwerer Schlag für Westeuropas Rechtspopulisten und Rechtsextremisten. Und dass das Putin-Regime eines nicht zu fernen Tages verschwindet, hoffen auch Russlands Demokraten und Linke.

Unabhängig vom Krieg in der Ukraine: ich finde es immer etwas befremdlich, wie über „regime change“ diskutiert wird. Als ob „regime change“ per se schlecht ist, ja ein Verbrechen. Die Deutschen meiner Generation profitierten extrem vom „regime change“ durch die Alliierten. Meine Eltern und Großeltern waren es jedenfalls nicht, die dieses Land vom Hitler-Regime befreiten und eine Diktatur durch eine parlamentarische Demokratie ersetzten. Und wie lautet die praktische Konsequenz einer prinzipiellen Ablehnung von „regime change“? Wenn Putin die blutrünstigen Regime in Belorussland, Tschetschenien und Syrien mit militärischen Interventionen stabilisiert, wenn er der Regierung von Kasachstan dabei assistiert, eine Revolte gegen die Steigerung der Gaspreise niederzuschlagen, ist das dann gut, weil dadurch „regime change“ verhindert wird? Wenn die USA eine rechtsextreme Diktatur stürzen, weil sie ihnen regionalpolitisch nicht in den Kram passt (weniger aus hehren demokratischen Prinzipien), ist das dann schlecht, weil „regime change“?

Es ist wohl kaum davon auszugehen, dass NATO und USA die Besetzung Russlands planen, um das Putin-Regime zu stürzen. Nach Irak und Afghanistan haben die USA von „regime change“ die Schnauze gestrichen voll – und das waren etwas kleinere Herausforderungen als die Atommacht Russland. So dauerte es nur wenige Minuten, bis Washington klar stellte, dass Biden „was not discussing Putin’s power in Russia, or regime change”. Julianne Smith, Vertreterin der US-Regierung bei der NATO: Die US-Regierung “does not have a policy of regime change in Russia – full stop”.

USA und NATO sind tunlichst darauf bedacht, eine direkte Konfrontation mit Russland zu vermeiden – waren sie im Übrigen auch schon bei der Aufnahme der baltischen Republiken in die NATO. Bis zum Angriff auf die Ukraine war hier die militärische Präsenz der NATO eher symbolischer Natur und militärisch nicht dazu geeignet, einen Angriff Russlands erfolgreich abzuwehren. Auf keinen Fall wollte man Moskau provozieren. Putin marschierte in die Ukraine ein, weil er wusste, dass sich die NATO nicht militärisch einmischen würde. (Einmischung im Sinne von Entsendung von NATO-Truppen in die Ukraine.) Auch sei daran erinnert, dass der Wunsch der Ukraine auf Aufnahme in die NATO auf wenig Begeisterung stieß – nicht nur in Berlin und Paris. (Die letzte NATO-Erweiterung datiert aus dem Jahr 2004).

Die russische Militärdoktrin schließt den Einsatz von taktischen Atomwaffen nicht aus. Putin hat aus seiner Bereitschaft, im Krieg gegen die Ukraine „notfalls“ auch zu Atomwaffen zu greifen, keinen Hehl gemacht.  War aber in der Regel kein Thema auf den Ostermärschen… Man stelle sich vor, Biden… Die NATO hat auf diese Drohung zurückhaltend reagiert, um eine Eskalation zu vermeiden. Putin weiß, dass Washingtons Reaktion auf einen russischen „first use“ keine atomare sein wird – sofern der „first use“ ein taktischer, d.h. auf das Gefechtsfeld begrenzter bleibt. Die USA stürzen sich nicht wegen der weit entfernten Ukraine in eine ihre Existenz bedrohende atomare Auseinandersetzung mit Russland. Und die Europäer haben daran ebenfalls kein Interesse. Als aktives Mitglied der Friedensbewegung habe ich schon in den 1980ern der Einschätzung widersprochen, dass die USA mittels der Stationierung von Mittelstreckenraketen einen auf Europa begrenzten Atomkrieg plane. Die Stationierung entsprach dem ausdrücklichen Wunsch der Schmidt-Regierung: Nukleare Abschreckung mittels einer strategischen Drohung gegen Moskau – um auf diese Weise das hier stationierte Nuklearpotenzial an das strategische der USA anzukoppeln. Es ging also genau um das Gegenteil eines auf Europa begrenzten Atomkriegs. Aber ein gewisses „Reichsbürgerdenken“ gab es auch schon in Teilen der damaligen Friedensbewegung… Gepaart mit einem platten Anti-Amerikanismus.

Es war Russland, das in den letzten Jahren verstärkt an der Führbarkeit eines Atomkriegs in Europa arbeitete und diesbezüglich auch seine Doktrin veränderte. Mensch darf sich das so vorstellen: Ein Einsatz taktischer Atomwaffen, stark begrenzt, zwingt die NATO zum Zurückweichen und zu einem Kompromiss im russischen Sinne.

Der russische Linke Greg Yudin, Philosoph und Soziologe an der Moscow School of Social and Economic Sciences, der bei einer Protestaktion in den Tagen nach Kriegsbeginn von den „Sicherheitskräften“ krankenhausreif geprügelt wurde: „Putins militärische Strategie ist einfach: mit Atomwaffen drohen und Gebiete erobern. Er hält den Westen für grundsätzlich schwach, korrupt und feige. Diese Haltung ist in Russland sehr populär. Es herrscht die tiefe Überzeugung, dass der Westen niemals einen Atomkonflikt mit Russland wegen eines Landes im Osten, sei es die Ukraine oder Polen, riskieren wird.“

Der Politikwissenschaftler Sergej Karaganow ist Präsident des Rats für Außen- und Sicherheitspolitik in Moskau. Er gilt als Vordenker der russischen Außenpolitik und steht in einem engen Kontakt zu Putin. Karaganow ist der geistige Vater eines Konzepts, dass Russland zur Schutzmacht für ethnische Russen im benachbarten Ausland erklärt.  Dies gilt auch für Deutschland, wobei wir mitnichten einen Einfall russischer Truppen befürchten müssen. Doch erinnert sei an den „Fall Lisa“, als russische Medien Deutsche russischer Herkunft mit Fake News über eine angebliche Vergewaltigung zum Hass auf Migranten anstachelten – im Sinne einer Schwächung der Merkel-Regierung. „Regime change“ kann mensch auch auf diese Weise anschieben – siehe Putins Unterstützung für seine rechtspopulistischen und rechtsextremen Gesinnungskameraden in Westeuropa.

Wie denkt Karaganow über die NATO und den Artikel 5 des NATO-Vertrags? „Als Historiker weiß ich, dass Artikel 5 des Nato-Vertrags wertlos ist. Nach Artikel 5, der es einem Staat erlaubt, andere Mitglieder des Bündnisses um Unterstützung zu bitten, ist niemand verpflichtet, tatsächlich für andere zu kämpfen. (…) Ich weiß auch aus der Geschichte der amerikanischen Atomstrategie, dass die USA Europa wahrscheinlich nicht mit Atomwaffen verteidigen werden.“

Das klingt nicht danach, dass sich Russland umzingelt und bedroht fühlt… Was Russland stört, ist die Eindämmung seines Expansionismus und die US-amerikanische Präsenz in Europa – letzteres auch kulturell. Dies ist aber kein Grund, sich zum Anwalt von Russlands geopolitischen Interessen aufzuschwingen.

Zweitens: Womit wir beim Faible eines Teils der Linken für Geopolitik angelangt sind. Bzw. diesem merkwürdigen Mitleid mit Russlands „geostrategischen Problemen“, als ob irgendein Staat der Welt ein Recht auf Großmacht besitzen würde. „Geostrategie“ ist wohl die zeitgemäße Fortsetzung dieser elenden „Der Freund meines Feindes ist mein Freund“-Politik, denn der Charakter des Regimes spielt auch hier keine Rolle.  Saddam Hussein und Gadaffi waren Diktatoren, die Andersdenkende foltern und ermorden ließen. Aber für einen Teil der Linken waren sie Antiimperialisten, die sich der Hegemonie „des Westen“ entgegenstellten, weshalb mensch darüber hinwegsah.

Was kommt als nächstes? Rückblickend vielleicht dies: „Deutschland hatte keine andere Chance, als den WK1 vom Zaune zu brechen, da die anderen imperialistischen Mächte die Expansionsgelüste des Reiches blockierten.“  Putin ist nicht Hitler, auch wenn sein völkischer Nationalismus und seine Geopolitik viele Übereinstimmungen mit dem „Führer“ aufweist: „Einsammeln russischer Erde“, die Ukrainer und andere „heim ins Reich“ holen, Ausbruch aus „geostrategischer Enge“, den Platz in der Weltordnung erobern, der dem Land gebührt, aber ihm von anderen Ländern verweigert wird etc. Ein völkischer Nationalist, Anti-Demokrat und Kriegsverbrecher ist er trotzdem. Oder: „Die Weimarer Republik musste scheitern und Hitler musste siegen – wegen der Demütigung Deutschlands in Versailles.“ Der aktuelle Vertrag von Versailles ist wohl Obamas lapidare Äußerung von der „Regionalmacht Russland“…

Mir geht dieses Therapeuten-Gehabe mächtig auf den Zwirn: „Wir dürfen Putin nicht provozieren….“ Warum? „Weil in die Enge getriebene Kriegsverbrecher besonders gefährlich sind!“ Aha! Was heißt das? Wohin soll dieses Psychologisieren führen?

Am 11. September 2001 wurde die Großmacht USA von islamistischen Terroristen gedemütigt. Reicht dies, also die Demütigung, um Bushs „Krieg gegen den Terror“ für „alternativlos“ zu erklären?

Drittens: „Um weiteres Blutvergießen zu verhindern, sollten die Ukrainer endlich kapitulieren.“ Häufig vorgetragen von Menschen, die noch vor einigen Wochen einen Angriff Russlands auf die Ukraine für unmöglich hielten bzw. für westliche Propaganda. Und nun mit dieser Forderung weiter brav in Putins Spur laufen, denn die Verantwortung eine Beendigung des Blutvergießens wird an die ukrainische Regierung delegiert.

Sofern man diese Forderung ernst meint, darf man nicht länger die Verteidigung Madrids durch republikanische Milizen (Demokraten, Anarchisten, Kommunisten, Sozialisten) gegen die Franco-Truppen heroisieren. Bekanntlich endete die Schlacht mit einer Niederlage der Anti-Faschisten und hohen Verlusten auf beiden Seiten. Und was ist mit dem sowjetischen Widerstand gegen Hitlers Truppen? Hätte man die hohe Zahl von Kriegsopfern nicht dadurch verhindern können, dass man den „Führer“ ungehindert nach Moskau marschieren lässt?

Vielleicht steckt hinter solchen Forderungen aber auch das folgende Motiv: Mensch will den politischen Schaden für die eigene Person begrenzen. Denn mit jeden Tag wird deutlicher, dass mit dem Bild, das man sich von Putin gemalt hat, etwas nicht stimmt.

Viertens: Die wenig glaubwürdig wirkende Demut derjenigen, die sich vom Faschisten und Nationalisten im Kreml getäuscht fühlen und sich nun zu dessen politischen Opfern erklären, nervt. In diesem Zusammenhang sehr beliebt: Die Vergesellschaftung von Verantwortung und politischer Blindheit: „Ich war nicht der einzige, der sich in Putin getäuscht hat!“ „Das hat doch kaum jemand geahnt, dass Putin in die Ukraine einfallen würde!“

Weil man es nicht ahnen wollte?

Es gab es einen massiven Truppenaufmarsch – nicht auf russischem Territorium, sondern auch an der belarussisch-ukrainischen Grenze, wodurch die Distanz zur Hauptstadt Kiew verkürzt wurde. Und diese Truppen konnte man nicht so einfach zurückpfeifen, ohne einen politischen Erfolg zu verbuchen. Was Putin unter einem solchen versteht, hatte er wiederholt erklärt, stieß in Kiew und beim „Westen“ erwartungsgemäß auf Ablehnung und war deshalb nur mit Krieg zu haben.

Noch einmal Greg Yudin: „Ich warne schon seit zwei Jahren vor diesem Krieg. Aber viele Expert*innen haben die Gefahr eines großen Krieges abgetan – nicht, weil sie inkompetent wären, sondern, weil sie von falschen Grundannahmen ausgingen.“

Auch war klar, ich wiederhole mich, dass die NATO die Ukraine nicht verteidigen würde. Die Bereitschaft, wegen der Ukraine eine direkte militärische Konfrontation zwischen Russland und der NATO zu riskieren bzw. einen großen Krieg in Europa, tendierte in Washington, London, Paris und Berlin gen Null.

Und dann war da noch Putins völkische Vision vom großrussischen Reich und „Eurasien“. Was diese implizierte, damit haben sich Gregor Gysi und andere nie ernsthaft beschäftigt. Im Gegensatz zu Putins rechtsnationalen und rechtsextremen Fans in Deutschland, die den Autokraten viel besser verstanden. Der Rechtsextreme Jürgen Elsässer wusste spätestens 2014, auf wessen Seite Putin in Europa steht. Aus Elsässers Ankündigung einer „Compact“-Sonderausgabe zu Putin, die 2014 erschien: „Lesen Sie Putin im Original! Wir haben seine großen Reden und Interviews auf Deutsch übersetzt! Rede vor dem Bundestag 2001, Ansprache auf der Münchner Sicherheitskonferenz zur Neuen Weltordnung, ARD-Interviews nach dem Georgien-Krieg, Reden zur Krim und zum ukrainischen Faschismus 2014, Referate zum Gender Mainstreaming auf dem Valdai-Forum, zur Bedeutung der Eurasischen Wirtschaftsunion – und sensationell: Über den Versailler Vertrag als Ursache des Zweiten Weltkrieges!“.

Woher die Begeisterung der deutschen und europäischen Rechtspopulisten und Rechtsextremen für Putin rührte, wurde aber nie ernsthaft erörtert. Vielleicht redete man nicht darüber, um nicht die eigene unkritische Verteidigung des Autokraten politisch zu beschmutzen. Vielleicht aber auch, weil man den Übergang von der Sowjetunion zur Russischen Föderation nicht wirklich mitbekommen hatte. Der Sowjetunion ging es um die Zementierung eines Status Quo. Von „Revolutionsexport“ konnte man kaum reden. Putin will Grenzen verschieben und reaktionäre Veränderungen in den westlichen Gesellschaften.

Putins massive Unterstützung für rechtspopulistische und rechtsextreme Bewegungen in Europa war ebenfalls kaum ein Thema, wurde eher wie eine Fußnote behandelt. Hier hat bei einem Teil der Linken ihr vorgeblicher Antifaschismus komplett versagt. Und er versagt weiterhin.

Wagenknecht fand den Brexit irgendwie gut, weil er in der EU die Verhältnisse zum Tanzen brachte. Wie Putin war sie an einer Schwächung der EU interessiert. Trump fand sie ganz okay, weil dieser Putin-freundlich war und die USA aus Europa zurückziehen wollte. Was schon die Weimarer Rechte forderte… Dass Trump ein Faschist ist….geschenkt! „Der Feind meines Feindes….“ Und wer der Hauptfeind ist, darin waren sich Wagenknecht und Putin einig. Der stand nicht im eigenen Land, sondern in Washington.

In der Forderung nach einem Rückzug der USA aus Europa trifft sich ein Teil der Linken mit den Rechtsextremen.

Hier sind neben Wagenknecht insbesondere der notorische Israel-Hasser und Querfrontler Dieter Dehm, für den Antisemitismus erst mit Auschwitz beginnt, und „Eurasien“-Fan Alexander Neu zu nennen. Für Neu, ein Putinist reinsten Wassers (auch wenn es um die Souveränität der Ukraine geht), betrachtet Deutschland mehr oder weniger als eine Kolonie der USA und träumt mit Putin (und Jürgen Elsässer) von einem antiamerikanischen Bündnis „von Lissabon bis Wladiwostok“ bzw. einer von Moskau geleiteten eurasischen Union.

Eine von vielen Hausaufgaben für die Linke: Beschäftigung und Auseinandersetzung mit den rechten Traditionen des deutschen Antiamerikanismus. Und: trennt Euch von den Wagenknechten. Schaut man sich verschiedenen Positionen an, dann sind die außenpolitischen Differenzen innerhalb der Linkspartei größer als in jeder anderen Partei. Das muss mensch doch nicht aushalten.

Fünftens: Wenn Gysi und Co. den russischen Überfall verurteilen, darf ein Verweis auf den Kosovo-Krieg und die „NATO-Osterweiterung“ nie fehlen. Die NATO habe damals den Kosovo völkerrechtswidrig von Serbien abgetrennt bzw. einen völkerrechtswidrigen Krieg geführt. Was will Gysi uns damit sagen? Dass Putin ohne diesen Krieg der NATO, der sich vor 23 (!!!) Jahren ereignete, die Ukraine niemals überfallen hätte? Dass Putin lediglich kopiert, was ihm die NATO vorgemacht hat? Geht es noch unpolitischer?

Gysi: „Ich bin fertig mit Putin“. Warum erst jetzt? Warum nicht „bereits“ nach Grosny und Aleppo, wo mensch bereits erkennen konnte, dass die russische Kriegsführung von größtmöglicher Brutalität geprägt ist, dass die Entgrenzung von Gewalt zu ihrem Wesen gehört, quasi Teil einer Doktrin ist. Warum war Gysi mit Putin noch nicht fertig, als Russland die Krim besetzte und annektierte und zu Gunsten der Separatisten im Donbass intervenierte?

Zur „NATO-Osterweiterung“: Dieser Begriff nimmt die ost-, mittel- und südosteuropäischen Staaten, die nach dem Ende des Kalten Krieges der NATO beitraten, als souveräne Akteure mit eigenen Sicherheitsinteressen nicht ernst. Sie werden zu willenlosen und von den USA instrumentalisierten Objekte degradiert, die man nach Lust und Laune hin und herschieben kann.

Sechstens: Gemeingefährlich ist eine weitere Verirrung: „Bürgerliche Demokratie ist auch nicht besser als Faschismus!“ Donald oder Hillary? Egal! Nein, lieber Donald, die Hillary ist zu Putin-kritisch. Macron oder Le Pen? Egal! Rebellion von links oder Rebellion von rechts? Auch egal! Hauptsache Unruhe und Destabilisierung der herrschenden Verhältnisse. Siehe die manchmal extrem platte Solidarität mit den französischen „Gelbwesten“, wo antisemitische und rechtsextreme Tendenzen geflissentlich ignoriert wurden. Ganz anders verhielt mensch sich im Falle des ukrainischen Widerstands gegen die russische Invasion. Da wurde – zu Recht! – sehr genau hingeschaut.

Mensch darf sich die Denke der Wagenknechte vielleicht so vorstellen: Wenn die Leute rechtspopulistisch oder rechtsextrem wählen, ist das nicht schlecht – denn es dokumentiert eine Ablösung von den „liberalen Eliten“ und die Existenz eines „Protestpotentials“ gegen „die da oben“. Außerdem sind nationalistische Rechte in der Regel antiamerikanisch eingestellt. Jetzt muss mensch diese Leute nur noch ins eigene Lager hinüberziehen. Hierzu bedarf es einer gewissen Anpassung an gesellschaftspolitische Vorstellungen, die fortschrittsfeindlich sind. Nur klappt dies nicht. Die Denke der Wagenknechte verseucht die Linke. Aber die Wähler bevorzugen das Original gegenüber der Kopie.

Dass Demokraten und Linke in Deutschland, Frankreich und auch in der Ukraine erheblich größere Spielräume besitzen als in Russland – auch egal! Auch hier versagt ein Teil der Linken in ihrem antifaschistischen Anspruch.

Siebtens: Auch mir geht Andrij Melnyk, der ukrainische Botschafter, manchmal auf den Zwirn. Seine Ausführungen in Sachen Asow Regiment („mutige Kämpfer“, die man „nicht dämonisieren sollte“) sind – gelinde formuliert – fragwürdig. Wenn das Asow Regiment immer wieder ein Thema ist, hat Melnyk sich dies auch selber zuzuschreiben. Problematisch ist auch Melnyks Verehrung des NS-Kollaborateurs und Kriegsverbrechers Stepan Bandera, im WK2 Führer der radikal antisemitischen OUN-B, die sich an Juden-Pogromen beteiligte.

Andrij Melnyk twitterte am 3. April: „Weder die Russen, noch die Deutschen haben das Recht zu bestimmen, wen die Ukrainer als Helden verehren. Stepan Bandera und Hunderttausende meine Landsleute kämpften sowohl gegen Hitler, als auch gegen Stalin für den ukrainischen Staat. Lasst uns in Ruhe mit euren Belehrungen.“ Natürlich darf Melnyk alleine entscheiden, wer sein Nationalheld ist. So wie ich alleine entscheiden darf, wie ich seine Wahl finde. Und ob ich diese seine Wahl mit den Werten, für die die EU angeblich steht, kompatibel halte.

Einige Zeilen aus der Feder von Sigmount A. Königsberg, Beauftragter gegen Antisemitismus der Jüdischen Gemeinde zu Berlin: „Die allermeisten von uns, so auch ich, stehen solidarisch zur Ukraine und unterstützen sie in ihrem Kampf um ihre nationale Souveränität. Das kann aber nicht bedeuten, dass kritiklos alles befürwortet werden kann, was ukrainische Vertreter verlautbaren. Ich kann nicht schweigen, wenn Mörder, Verbrecher und Antisemiten zu Helden hochstilisiert werden. Hier keine Belehrung, sondern ein Hinweis aus ganz persönlicher Sicht: Milizionäre der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) übernahmen nach dem Einmarsch Nazi-Deutschlands in Lwiw/Lwow/Lemberg am 30. Juni 1941 zum Teil die Kontrolle über die Stadt. Statt aber Menschen vor Übergriffen zu schützen, heizten sie den Antisemitismus an und waren maßgeblich an Pogromen beteiligt: Die Juden Lembergs wurden misshandelt und einem für viele tödlich ausgehenden Spießrutenlauf ausgesetzt. Allein an diesem Tag wurden über 100 Menschen erschlagen und unzählige verletzt. Meine eigene Familie, mein Vater und meine Großeltern waren all dem ausgesetzt. In den darauffolgenden Tagen trieben Banderas Leute Tausende Juden in die Hände der Einsatzgruppe C der deutschen Sicherheitspolizei, die sie dann ermordeten. Ich kann nicht schweigen, wenn Mörder, Verbrecher und Antisemiten zu Helden hochstilisiert werden. Zur OUN und ihren Anführern bleibt mir nur eines zu sagen: Jimach Schemo weSichro – mögen ihre Namen und die Erinnerungen an sie getilgt werden.“

Das Problem der Melnyk-Debatte: Einige Kritiker nehmen den Botschafter zum Anlass, die russische Kriegsführung zu verharmlosen und der Erzählung von einer De-Nazifizierung der Ukraine ein Moment von Wahrheit zu unterstellen. Diese Erzählung dient aber einzig und allein dem Zweck, die Brutalität des militärischen Vorgehens zu legitimieren.

Es sind aktuell leider häufig die Falschen, die sich am Thema Antisemitismus im ukrainischen Widerstand abarbeiten. Beispielsweise der Linken-MdB Andrej Hunko. Mensch würde ihm ja zuhören, wäre er nicht als Putinist und Freund der ostukrainischen Separatisten diskreditiert. Und als Politiker, der beim Thema Antisemitismus schon mal beide Augen zudrückt, wenn es ihm recht ist.

2015 bescherten Andrej Hunko und Wolfgang Gehrke, damals ebenfalls MdB der Linken, dem Separatistenführer Alexander Sachartschenko mit einem Besuch im Rathaus von Donezk einen Propagandaerfolg. Hunko und Gehrke hatten 84.000 Euro für medizinische Hilfsgüter gesammelt, die dann in Russland gekauft wurden und von Hunko und Co. in die von den Separatisten beherrschten Gebieten geschafft wurden. Der „Tagesspiegel“ schrieb: „Eine Begegnung mit Separatistenchef

Alexander Sachartschenko war nach Darstellung von Gehrcke und Hunko nicht geplant. Aber man wollte ihr nicht ausweichen – und wich ihr auch nicht aus. Wie nun den Warlord nennen? Den Begriff Präsident wollten die beiden Linken-Politiker vermeiden, aber auch die im Westen übliche Bezeichnung ‚Separatist‘. Gehrcke entschied sich für ‚Aufständische‘ – den zunächst verdutzenden Sachartschenko beruhigte er mit dem Hinweis, dass der Begriff ‚Aufständische‘ ihm als Linken angeboren sei, ‚weil wir uns immer so fühlen‘. Man verstand sich ganz offenbar nicht so schlecht.“ Puh, ist das peinlich. Das klingt nach einem durchaus gewollten Schulterschluss.

Alexander Sachartschenko kam 2018 bei einem Anschlag ums Leben. Sachartschenko wurden schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Er selbst prahlte damit, seine Einheiten würden täglich bis zu fünf ukrainische „subversive“ Personen festnehmen. „Das Centre for Release of Captives nimmt an, dass im Dezember 2014 über 632 Menschen von separatistischen Kräften illegal gefangen gehalten wurden“ (Wikipedia). Sachartschenko war ein homophober Antisemit und Rechtsextremist. Die Rechtsextremen von der ukrainisch-nationalistischen Partei Prawyj Sektor sind eigentlich seine Gegner, aber Sachartschenko war positiv beeindruckt, wie deren Schläger „die Schwulen in Kiew verprügelt haben. Mir wurde klar, dass der Prawyj Sektor ganz normale Männer wie wir sind“.

Mit dem Donbass wollte er sich der Eurasier nicht zufrieden geben. Auch nicht mit der Einnahme von Kiew, ja nicht einmal mit Berlin. „Man muss darüber hinausgehen und ganz Britannien als solches nehmen. Das ganze Unglück unseres Schicksals als Russen, das sind die Angelsachsen.“ Bezüglich der „Entnazifizierung“ der Ukraine differierte Sachartschenko mit Putin, denn er war der Auffassung, das Problem der Ukraine sei, dass Kiew von „armseligen Vertretern des jüdischen Volkes“ regiert würde.

2019 schlug Hunko den ukrainischen Blogger Ruslan Kotsaba für den Aachener Friedenspreis vor. Hunko hatte sich mit seinem Kandidaten, der zu diesem Zeitpunkt wegen seines Widerstands gegen die ukrainischen Streitkräfte in der Ostukraine im Knast saß, aber nicht wirklich beschäftigt. Vielleicht war es aber auch so: Kotsabas Antisemitismus war ihm scheißegal. Entscheidend war für ihn allein dessen Nähe zu den ostukrainischen Separatisten. Kotsaba hatte behauptet, der Konflikt in der Ostukraine sei ein reiner Bürgerkrieg, an dem russische Staatsbürger kaum beteiligt seien. Hunko war ein YouTube-Video aus dem Jahre 2011 entgangen (???), in dem sein Kandidat Folgendes zum Besten gegeben hatte: „Also wahrscheinlich erinnern sich Juden an diese Periode mit Trauer, als sie wie die Schafe hinliefen und hier zu Tausenden erschossen wurden und dabei bloß von einem oder zwei Menschen mit Maschinenpistolen bewacht wurden. Sie konnten doch allein mit ihrer Masse jeden Konvoi zerquetschen. Aber sie spürten es, dass sie eine gewisse Strafe büßen mussten. Dafür nämlich, dass sie den Nazismus heranzüchteten, den Kommunismus in der Zivilisation heranzüchteten, Lenin, Marx, Engels heranzüchteten, all diese Blancs [laut einiger Antisemiten der wahre Name von Lenin, Anm. d. Red.], Trotskys, Zinowiews, diese Stalins, diese Hitlers und so weiter.“

Hunko verurteilte Kotsabas Ausführungen, behauptete aber, sein Kandidat habe sich geläutert und hielt an dessen Nominierung fest.

Wer über das Asow-Regiment spricht, darf über die ostukrainischen Separatisten, die Kadyrow-Truppen, den „Kadyrowzys“, und die „Gruppe Wagner nicht schweigen. Laut ZDF und Recherchen ukrainischer Menschenrechtsorganisationen verschleppten prorussische Separatisten seit 2014 in Donezk und Luhanski mindestens 4.000 Menschen in geheime Foltergefängnisse.

Ramsan Kadyrow, Putins Marionette in Grosny und Mann fürs ganz Grobe, ist ein Islamist, Faschist und perverser Sadist, der bei Folterungen in Tschetschenien auch schon mal selber Hand anlegt. Seine „Kadyrowzys“ sind geschulte Kriegsverbrecher, Mord- und Foltermaschinen. Nach dem Beginn des Einmarsches in die Ukraine, schickte Kadyrow seine „Kadyrowzys“ mit dem Auftrag in die Ukraine, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu töten. Es heißt, dass diese von ukrainischen Sicherheitskräften eliminiert wurde. Es gibt in diesem Krieg also auch noch positive Nachrichten.

Als Kriegsverbrecher wurden auch die Mitglieder der „Gruppe Wagner“ ausgebildet, ein rechtsextremes russisches „Sicherheitsunternehmen“. Gründer der Gruppe ist Dmitri Utkin, ein russischer Unternehmer, Ex-Soldat und Neonazi, der sich die Siegrunen der Waffen-SS sowie den Reichsadler mit Hakenkreuz tätowieren ließ. Sein nome de guerre ist „Wagner“, in Anspielung auf Richard Wagner, Antisemit und Hitlers Lieblingskomponist. Bei ihrem Einsatz in der Ukraine trug Utkins Einheit Helme, die den Helmen der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg nachgeahmt sind. Utkin Tätowierungen: die Siegrunen der Waffen-SS als Kragenspiegel und einen Reichsadler mit Hakenkreuz auf der Brust. Putin „entnazifiziert“ die Ukraine also mit Hilfe von Neonazis…

In einer Sache hat Melnyk im Übrigen völlig Recht. Es ist eine schlechte deutsche Tradition, die Existenz von Länder, die zwischen Deutschland und Russland liegen, zu ignorieren. Für Matthias Platzeck sind die Russen „unsere Nachbarn“, was geographisch nur zutrifft, wenn man die Existenz von Polen und Tschechien leugnet. Und hinter diesen Ländern die Existenz der Ukraine, Weißrusslands und der baltischen Republiken. Im WK1 wollte man einen „polnischen Grenzstreifen“ erwerben und Polen und die baltischen Provinzen zu Protektoraten umformen. Im Hitler-Stalin-Pakt negierte man dann komplett die Eigenständigkeit dieser Länder. Auch Teile der Linken (der Rechtsextremen sowieso) tun sich damit schwer, dass es zwischen Deutschland und Russland Staaten mit eigenen Interessen gibt. So ging es in den letzten Jahren häufig ausschließlich um russische Sicherheitsinteressen. Beim NATO-Beitritt der baltischen Republiken war es ähnlich. Deren berechtigte Angst vor einer russischen Intervention (in den drei Staaten gilt es russische Minderheiten – Lettland ca. 30 Prozent, Estland ca. 25, Litauen knapp 10) wurde mehr oder weniger ignoriert.

Nachklapp zum Long Read:

Zwei Artikel aus den letzten Tagen legen nahe, dass Scholz etwas eher als andere begriffen hatte, mit was wir es in Moskau zu tun haben. Aber dass auch er Nord Stream 2 als „privatwirtschaftliches Projekt“ bezeichnete, obwohl auf der anderen Seite ein Staatsunternehmen agierte, von dem seit Jahren bekannt war, dass es für das Putin-Regime unterwegs ist, bleibt unverändert grotesk.

Der „Tagesspiegel“ berichtet, dass Scholz mit Andrea Nahles 2018 die Entscheidung traf, Sigmar Gabriel als Außenminister abzulösen. Der Grund: Heiko Maas, Gabriels Nachfolger, stand nicht im Ruf, „gute Verbindungen zu Putin-Freund Gerhard Schröder zu haben. Gabriel hatte trotz der Annexion der Krim auf den Bau der erst jetzt gestoppten Ostseepipeline Nord Stream 2 gepocht. Und sich immer wieder mit Gazprom-Vertretern getroffen. (….) Maas machte härtere Aussagen im Verhältnis zu Russland: Putin arbeitete auf vielen Ebenen an der Schwächung der Europäer, durch finanzielle Hilfe für Rechtspopulisten und –extreme in EU-Ländern, durch Propaganda in EU-Länder.“

Der folgende Satz ist schwer verstörend: „In der SPD stieß dies (!!!) auf Empörung.“ Es ist das, was ich seit Jahren am wenigsten verstehe: wie man vor Putins Bündnis mit Rechtspopulisten und Rechtsextremen die Augen verschloss. Gilt auch, ich habe es bereits erwähnt, für Teile der Linken (Gysi). (Die Rolle von Wagenknecht und Co., der sog. RT Deutsch-Fraktion, muss mensch hier nicht noch einmal erörtern, die hatten mit diesem Bündnis nicht das geringste Problem.)

Die „Zeit“ berichtet, wie sich Scholz Anfang Januar 2022 mit vier profilierten Russland-Experten traf. Diese sind überrascht, „dass sich Scholz weniger für den aktuellen Truppenaufmarsch interessiert. Er fragt nach dem russischen Kolonialismus, nach Putins Geschichtspolitik, dem russischen Faschismus.“ Im Kopf des Kanzlers hatte es offenbar endlich geklingelt.

Weiter geht es mit einem Gespräch, dass Scholz mit einigen Journalisten Mitte Februar 2022 im Flugzeug führt. Scholz kommt „mehrfach auf Putins historische Abhandlung zu sprechen. Kann es sein, dass es Putin gar nicht um den Status des Donbass, die Nato-Osterweiterung oder Rechte für russischsprachige Ukrainer ging – sondern um ein imperiales Projekt? Scholz war der Zweifel anzumerken, die Verstörung eines rationalen Politikers, der auf die Macht von Ideologien und nationalen Mythen prallt. Auf Phänomene, die die deutsche Politik überwunden glaubte.“ Seinem Berater Jens Plötner ergeht es ähnlich: „Auch er versteht sich als kühler Analytiker. Ideologien scheinen ihm fremd, erst recht der Gedanke, dass man im 21. Jahrhundert einen Krieg darum anzetteln könnte. Jetzt öffnen sich Scholz, Plötner und Co. langsam dem Gedanken, dass dieses Undenkbare doch denkbar sein muss, und beeilen sich, ein Verständnis dafür zu entwickeln – ZUR ÜBERRASCHUNG JENER EXPERTEN, DIE DAVOR SEIT JAHREN WARNEN.“

Ich bin kein Experte. Aber wie mensch nicht wahrhaben wollte, wer da im Kreml reagiert, wie mensch hinwegsah, wenn Putin brutale Kriege führte und Diktatoren wie Kadyrow, Assad und Lukaschenko unterstütze, Marie Le Pen finanziell unter die Arme griff, die Trumpisten und die Brexiteers unterstützte – das werde ich nie verstehen und auch nie akzeptieren. Wo war da der innere Kompass?

Ich habe diese Geschichte schon mal erzählt, muss sie aber noch einmal erzählen, weil sie mir das Ausmaß von Verwirrung und Verirrung drastisch vor Augen führte. 2016 stellte Claus Leggewie in Münster sein Buch „Anti-Europäer – Breivik, Dugin, al-Siri“ vor. Im Anschluss an seinen Vortrag bemängelte eine Zuhörerin, dass Leggewie nicht über den US-amerikanischen Krieg ums Öl in Syrien gesprochen habe.

Ein gutes Jahr zuvor hatte sich Folgendes zugetragen: „Am 30. September 2015 griff Wladimir Putin auf Seiten seines Verbündeten Assads ein, mit seiner Luftwaffe verhalf Russlands Präsident den von iranischen Verbänden unterstützten syrischen Truppen zu Sieg um Sieg im Kampf gegen die Aufständischen. Homs, Ost-Aleppo, Ost-Ghouta, Daraa – das Vorgehen war stets gleich: Russische und syrische Jets zerbombten die Infrastruktur, Hubschrauber warfen Fassbomben über Wohngebieten ab. Und immer wieder tauchten schockierende Bilder im Netz und in den Abendnachrichten auf. Kinder und Erwachsene lagen tot da, mit Schaum vor dem Mund. Menschen mit Verätzungen wurden in provisorischen Kliniken mit Wasser abgespritzt. Und auch wenn Damaskus jedes Mal die ‚Terroristen‘ beschuldigte, die Angriffe gestellt oder selbst begangen zu haben, deuteten alle Indizien darauf hin, dass es Assads Truppen selbst waren, die Chlorgas oder sogar Sarin eingesetzt hatten.

(…)

Nachdem der US-Geheimdienst berichtete, dass Assad den Einsatz von Chlorgas für die Offensive auf Idlib bereits genehmigt habe, warnte der US-Präsident seinen syrischen Amtskollegen öffentlich vor einem Einsatz chemischer Kampfstoffe. Dann weitete er diese Warnung aus und schrieb auf Twitter, die USA würden auch auf eine Offensive mit herkömmlichen Waffen reagieren. Wenige Tage später klingt diese Drohung nun ziemlich anders: Auch bei einem Chemiewaffeneinsatz müsse es nicht notwendigerweise ein militärischer Gegenschlag sein. Ökonomische Sanktionen, heißt es aus dem Weißen Haus, wären auch eine Möglichkeit.“

Obamas „Krieg ums Öl“ – so sah er aus… Und sein Nachfolger? Der wollte die Nato auflösen.

Dietrich Schulz-Marmeling, in den 1980ern in der Friedensbewegung aktiv, u.a. als Vertreter der Bundeskonferenz Autonomer Friedensgruppen (BAF) im bundesweiten Koordinationsausschuss der Bewegung, und diverse Veröffentlichungen zur Nato, zum Nordirlandkonflikt etc. 1987/88 wissenschaftl. Mitarbeiter bei der Bundestagsfraktion der Grünen. Seit den frühen 1990ern vorrangig Autor von Büchern über Fußball, in denen es immer wieder auch um die politische und soziale Geschichte des Spiels geht. Mitinitiator der Kampagne boycottquatar2022. In den letzten Jahren zaghafte Rückkehr zu ausschließlich politischen Texten, u.a. für Jungle World, analyse & kritik, Blätter für deutsche und internationale Politik und Prager Frühling.

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