von Horst Schiermeyer via facebook Grüne Linke, 23.9.2013
Warum ist es uns nicht gelungen, unsere Potentiale auszuschöpfen und diejenigen Wähler zu unserer Wahl zu motivieren, die z.B. bei den LTW in BaWü und Niedersachsen erstmals grün gewählt haben (von den z.T. krassen Stimmverlusten sowohl in einigen Hochburgen als auch bei uns in Sachsen ganz zu schweigen …)?
Der Umstand, dass die wirtschaftliche Lage relativ gut ist, es keine Wechselstimmung gab und angeblich 77 % unserer Wähler dem (Irr-)Glauben anhängen, Deutschland sei im Krisenumfeld bei Merkel in guten Händen, spielt eine wichtige Rolle. Eigene Fehler spielen eine andere. Dazu ein paar Gedanken:
(1.) Die WAHLKAMPAGNE, die von den „Hirschen“ organisiert war, blieb weitgehend wirkungslos, um die eigenen Wählerpotentiale zu mobilisieren. Gegen die Plakatmotive hatte ich Anfang Juli aus ost-regionaler und Alterssicht (geduzt werden mag auch nicht jeder) meine Bedenken geäußert. Die Kampagne hat offensichtlich auch anderswo nicht funktioniert.
(2.) GEGENWIND VON INTERESSENVERBÄNDEN
These: Unser Programm ist von einigen Interessenverbänden in diesem Jahr sehr ernst genommen worden: Energiewirtschaft wg. Energiewende, Private Krankenversicherungen wg. Bürgerversicherung, Interessenverbände der Reichen und Hochverdienenden wg. unserer Steuerpläne, Agrarindustrie wg. ökologischer Landwirtschaft.
Ich sehe Parallelen zur Situation 1998, als rot-grüne Perspektiven eine realistische Gefahr für viele Lobbys wurde und plötzlich Themen hochgepuscht wurden, die jahrelang im Programm standen wie die 5 Mark pro Liter Benzin, aber vorher niemand interessiert hatten. Inzwischen haben wir 15 Jahre Erfahrung mehr, aber anscheinend auch noch nicht viel dazu gelernt.
Das Wahlprogramm ist offensichtlich nicht darauf geprüft worden, wo besonders starker Gegenwind von Interessenverbänden zu erwarten ist, wo dies uns gefährlich werden kann und welche GEGENSTRATEGIEN sich dazu entwickeln lassen. So gab es gegen die Kampagen der PKV unter ihren Mitgliedern (darunter die meisten Beamten und Besserverdienenden, von denen z.B. in BaWü 30 % grün gewählt hatten) keine Gegenkampagne, zur Steuerpolitik gab es eine, die aber gut versteckt war, zur Energiewende gab es eine, die wohl auch nicht ausreichte. (was mich dabei immer wieder wundert, ist, dass grüne Politiker wie Jürgen Trittin, die sich in jungen Jahren intensiv mit unserer kapitalistischen Gesellschaftsordnung auseinandergesetzt haben, mit „Klasseninteressen“ und mit der Ausübung von Macht, ein paar Jahrzehnte später den Eindruck erzeugen, als würde alles nur im Parlament entschieden – entweder man bereitet sich auf eine gesellschaftliche Auseinandersetzung richtig vor oder man lässt sie …)
(3.) Im vergangenen Jahr haben wir die Chance verpasst, in der EURO(PA)KRISE deutlich Zeichen zu setzen für eine vernünftigere und solidarischere Europapolitik und gegen den Merkel-Schäuble-Kurs (s. die von Jürgen Trittin auf dem Sonderländerrat durchgedrückte Mehrheit für den Merkel-Kurs). So spielte auch die Verbindung von Klima- und Euro-Politik („Europäischer Green New Deal“) im Wahlkampf überhaupt keine Rolle.
(4.) Ebenso spielt unser originäres Thema KLIMA und UMWELT in den letzten Monaten kaum eine Rolle. Dabei luden die Wetterunbilden dieses Jahres (Winter bis April, Hochwasser, tropische Hitzetage) gerade dazu ein, sie zu thematisieren und zu bebildern.
(5.) „PÄDOPHILIE-DEBATTE“: Wir haben 2 zentrale Fehler gemacht:
- Die Beauftragung von Franz Walters Institut mit der Aufarbeitung der innergrünen Diskussion der frühen 80er Jahre um die Straffreiheit für „gewaltfreie und einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern“: Statt diese Aufarbeitung wissenschaftlich anzugehen und zu veröffentlichen, haben Walter und Klecha ein läppisches Detail (dass Trittin für ein Kommunalwahlprogramm v.i.s.d.P. gezeichnet hat) eine Woche vor der Wahl medial als Skandal inszeniert, was viele unserer lockereren Sympathisanten weiter verunsichert haben dürfte.
- Unsere Reaktion war viel zu defensiv. Statt offensiv zu erklären, worüber denn eigentlich in den 80er Jahren in breiten Teilen der Öffentlichkeit einschließlich der Grünen diskutiert wurde, gab es zum Teil an Peinlichkeit grenzende „Gedächtnislücken“ und Entschuldigungen.
Anmerkungen zu GRÜNEN PERSPEKTIVEN:
In der „taz“ vom 23.09. las ich:
„Das rot-grüne Lager ist Geschichte. Rot-Grün wird es in Zukunft, wenn überhaupt, nur mit dem Osten und Protestwählern geben., deshalb steht nun eine grundlegende Veränderung der Spielregeln an. Die Grünen werden sich öffnen müssen: Richtung Union ODER Linkspartei.“
An der Einschätzung wird in Bezug auf die Bundesebene wohl was dran sein – bis auf ein Wort. Es muss heißen:
„Die Grünen werden sich öffnen müssen: Richtung Union UND Linkspartei.“
1998 war das grüne Wahlergebnis enttäuschend, wir kamen aber trotzdem in die Regierung und konnten einiges in Bewegung bringen (anderes hat uns „bewegt“ wie Unterstützung von Kriegen und Agenda 2010). Die damalige rot-grüne Koalition galt noch als „Projekt“. Das ist inzwischen nüchterner Betrachtung gewichen. So nüchtern sollten wir auch an daran gehen, falls in Berlin oder auch in Wiesbaden die Frage von Regeierungsbeteiligung an uns herangetragen wird. Die gesellschaftspolitischen Reizthemen der „Linken“ wie Bundeswehr, Rente, Mindestlohn spielen auf Landesebene kaum eine Rolle. Falls das linke Personal in Hessen politikfähig ist, schiene mir das Ausloten einer „r2g“-Regierung als sinnvoll. Auf Bundesebene wäre das gegenwärtig wohl eher unrealistisch.
Merkel hat sich in den vergangenen Jahren als sehr flexibel gezeigt. Daher halte ich es für sinnvoll auszuloten, ob eine Regierung in existenziellen Politikbereichen eine grüne Handschrift tragen könnte (z.B. Deutschland wieder zu einer führenden Klimaschutz-Land zu machen) und ob die anderen Politikbereiche aus grüner Sicht halbwegs verträglich gestaltet werden könnten.
Für größere Teile der grünen Mitgliedschaft und für viele WählerInnen wäre dies nur schwer verträglich. Anders sähe dies aus, wenn wir durch eine gleichzeitige Öffnung zu den „Linken“ auf Landesebene signalisieren würden, dass wir weiterhin eine Partei sind, für die auch Solidarität und Gerechtigkeit zentral ist.