Verschleppt, geschunden, getötet

Heidelberger wollen Gedenken an Zwangsarbeiter lebendig halten

Von Sabine Hebbelmann

Veranstaltung zum Gedenken an russische Zwangsarbeiter in Heidelberg am 9. Mai 2024

Veranstaltung zum Gedenken an russische Zwangsarbeiter in Heidelberg am 9. Mai 2024, © Sabine Hebbelmann

Am 28. August 1944 erhängten die Nazis auf dem Betriebsgelände der Fuchs-Waggonfabrik in Heidelberg fünf sowjetische Zwangsarbeiter. Ein Mahnmal erinnert an die Ermordung der jungen Männer.

Regelmäßig am 9. Mai, wenn in Russland und anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion der Sieg über Nazi-Deutschland gefeiert wird, sind unter den in Stahl gestanzten Namen der Ermordeten frische Blumen zu finden. Im vergangenen Jahr war es dem Heidelberger Friedensaktivisten Friedbert Boxberger ein Anliegen, mit einer Kranzniederlegung das Zeichen zu setzen, dass auch Einheimische an die Hingerichteten und mit ihnen an die tausenden ausgebeuteten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Heidelberg denken.

Vielfältige Beteiligung Friedensbewegter

Veranstaltung zum Gedenken an russische Zwangsarbeiter in Heidelberg am 9. Mai 2024

Veranstaltung zum Gedenken an russische Zwangsarbeiter in Heidelberg am 9. Mai 2024, © Sabine Hebbelmann

Dieses Jahr sind rund dreißig Menschen zur nachmittäglichen Gedenkstunde erschienen – die meisten aus der vielfältigen Heidelberger Friedensbewegung. Auch der Schöpfer des Mahnmals, Michael Lingrên, ist unter ihnen, ebenso Menschen, die aus Russland und der Ukraine stammen. Sie legten Kränze nieder.

„Das Erinnern hilft, die Schattenseiten unserer Geschichte zu bewältigen, die Opfer nicht totzuschweigen, sondern sie in Form dieses Mahnmals in unsere Mitte zu stellen und ihnen damit ein Stück Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen“, sagte Magdalena Melter.

Sie engagiert sich im Freundeskreis Heidelberg-Simferopol für ehemalige Zwangsarbeiter, die während des Zweiten Weltkriegs nach Nazi-Deutschland deportiert worden waren.

Spätes Gedenken

Am 8. Mai 2015 hatten IG Metall und Stadt das Mahnmal an die Öffentlichkeit übergeben. Leider sehr spät, wie Melter findet.

Der Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus war auch das Datum der ersten Kranzniederlegung im Vorjahr. Mit der Verlegung auf den 9. Mai war die Hoffnung verbunden, das Gedenken beider Seiten zu vereinen.

Melter beschrieb die grausame Szenerie: Achtzig bis hundert Zwangsarbeiter trommelten die Nazis herbei, damit sie dem abschreckenden Exempel beiwohnen. Fünf junge Männer mit Binden auf den Augen und Handschellen wurden zu den Galgen geführt. Ausnahmsweise mussten andere jugendliche Zwangsarbeiter die Exekution ausführen – eine besonders perfide Tat.

„Wir betreuen auf der Krim seit 35 Jahren ehemalige Heidelberger Zwangsarbeiter, mittlerweile vor allem die damals Minderjährigen, die mit ihren Müttern hier waren“ berichtete Melter. Die Stadt habe sich nicht dazu durchringen können, ehemalige „Ostarbeiter“ nach Heidelberg einzuladen. Vereinsmitglieder seien in die Bresche gesprungen und hätte einige von ihnen als Gäste in Heidelberg empfangen.

Auch Stolpersteine erinnern an die Zwangsarbeiter

Stolpersteine bei der Veranstaltung zum Gedenken an russische Zwangsarbeiter in Heidelberg am 9. Mai 2024

Stolpersteine bei der Veranstaltung zum Gedenken an russische Zwangsarbeiter in Heidelberg am 9. Mai 2024, © Sabine Hebbelmann

Boxberger regte noch zu einem Abstecher zu den Stolpersteinen ein paar Straßenzüge weiter an. Im Jahr 2013 wurden sie an dem Ort verlegt, wo die Galgen standen. Von ihrer Initiative erzählte Hildegard Lutz von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA): Sie hatte eine Patientin, die im Haus gegenüber gewohnt und die Hinrichtung beobachtet hatte. Die alte Frau erzählte ihr, sie könne seit Jahren nicht schlafen, da sie jeden Tag die jungen Männer vor sich sehe. Daraufhin hatte Lutz intensiv über die Zwangsarbeiter und ihr Schicksal geforscht und die Stolperstein-Initiative mit auf den Weg gebracht. Unabhängig davon hatten auch Mirko Geiger von der IG Metall und Prof. Dieter Ferentz, langjähriger Sprecher der VVN-Kreisvereinigung, zum selben Thema recherchiert.

Die 19 bis 21 Jahre jungen sowjetischen Zwangsarbeiter stammten aus Russland und der Ukraine. In der Sprache der Nazis waren sie sogenannte „russische Untermenschen“, die besonders schlecht behandelt wurden, berichtete Lutz. Die Nazis hätten die unterernährten Männer beschuldigt, aus einem Güterzug Lebensmittel entwendet zu haben.

Die Aktivistin berichtete auch über Hindernisse und Anfeindungen bei ihren Nachforschungen. Denn kein Gericht hatte die Täter je belangt.

Erinnerung auch in Zukunft lebendig halten

Die Teilnehmenden waren sich einig, das Gedenken als jährliche Veranstaltung weiterzuführen. Die Frage war: Soll man beim 9. Mai bleiben und damit zugleich das unterdrückte Gedenken an den Anteil der Sowjetunion an der Befreiung stärken? Oder gilt es, die Hoffnung auf einen offiziellen Gedenk- und Feiertag als Tag der Befreiung am 8. Mai zu betonen? Diese Frage blieb nach kurzer Debatte offen.

 

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