Radiologische Massenvernichtungswaffen?

Bei einem Änderungsantrag zum Grundsatzprogramm (Kap. 8, Absatz 358) gab es Unklarheiten bei der Formulierung „radiologischen Massenvernichtungswaffen“. M.E. liegt hier in der Formulierung ein sachlicher Fehler vor, der korrigiert werden sollte.
Mit „radiologischen Massenvernichtungswaffen“ ist in der Regel eine sog. „Schmutzige Bombe“ gemeint. Wie unten (s. Wikipedia) richtig zitiert ist das jedoch keine Massenvernichtungswaffe und fällt daher aus der hier im Absatz angesprochenen Kategorien der „Massenvernichtungswaffen“ (= ABC-Waffen) heraus.

Wegen des offenkundigen Klärungsbedarfs dieser Frage ausführlich:

Vermutlich haben sich die Schreiber*innen sich hier bei Wikipedia orientiert, die zunächst zwar den Begriff erweitern „CBRN“ („R“ zusätzlich für „radiologisch“), danach aber erschreckend inkonsequent bei den ABC-Waffen bleiben. Zitat: „Der Begriff Massenvernichtungswaffe (englisch weapon of mass destruction, WMD) bezeichnet eine Kategorie bestimmter Waffen, die als besonders zerstörerisch angesehen werden und gravierende Auswirkungen auf Leben, Gegenstände und Umwelt haben. …. ‘radiologisch‘ bezeichnet andere Arten der radioaktiven Kontamination, vorrangig in Form einer radioaktiven Dispersionsvorrichtung (z.B. ‘schmutzige Bombe‘)“.
Der Begriff „MASSENvernichtungswaffen“ stammt m.E. von den Massen an Menschenleben, die dabei vernichtet werden. „Nach Hiroshima, Nagasaki und dem Ende des zweiten Weltkriegs fand sich der Begriff … in der ersten Resolution der Generalversammlung der gerade neu gegründeten Vereinten Nationen. Dort bezeichnet er „Atomwaffen und alle anderen Waffen, die zur Massenvernichtung genutzt werden“ können.“ (Quelle) Das wären bei einem großräumigen Einsatz Hunderte oder Tausende im Fall von C-Waffen, bei B-Waffen im worst case Hunderttausende oder Millionen, bei A-Waffen Zehn- bis Hunderttausende „Soforttote“ (ich weiß, makaber!).

Schmutzigen Bombe

Bei einer „Schmutzigen Bombe“ wäre die Anzahl „Soforttote“ sehr gering, wahrscheinlich Null, außer ggf. den direkten Opfer des Sprengsatzes. Ihren Schrecken bekommen die Waffen von der über Tage und Wochen (oder Monate und Jahre, je nach verwendetem Material) wirkenden Strahlung, die eine Evakuierung eines Stadtteils, einer Stadt oder Region (je nach Größe des Sprengsatzes) erzwingt. Eine Reinigung der Gebäude und Flächen ist wahrscheinlich nicht machbar. Schlimmstenfalls wäre die betroffene Region für Jahrzehnte (oder immer) unbewohnbar.
Entscheidend ist die sog. Halbwertzeit (=HWZ) der verwendeten Strahlungsmaterialien. Der am wahrscheinlichsten verwendete Stoff wäre Cobalt 60, HWZ = etwas über 5 Jahren. Co60 wird u.a. zur Sterilisierung oder Konservierung von Lebensmitteln, zur Materialuntersuchung (Durchstrahlungsprüfung) und in der Krebstherapie („Kobaltkanone“) verwendet und ist daher relativ leicht verfügbar.
Einige Kilogramm Co60 der Explosion in Beirut beigemischt hätte zur Folge gehabt, dass die Region Beirut 50 Jahre unbewohnbar wäre, die Anzahl Tote und Verletzte hätte sich allerdings vermutlich zunächst nicht erhöht. Im Moskau gab es 1995 einen versuchten Anschlag, wahrscheinlich von Tschetschenen durchgeführt. Allerdings blieb die Bombe ohne Zünder (ob als Warnung gedacht oder aus Dummheit ist m.W. bis heute nicht geklärt). Wäre die Bombe explodiert, wäre zumindest die Region um den Kreml ebenfalls für Jahrzehnte „gesperrte Zone“ geworden.

DU-Munition

Oft vermischt wird in der Diskussion auch immer wieder mit der sog. DU-Munition (aus dem Englischen für „hartes Uran“), u.a. im Kosovokrieg und den Golfkriegen von den USA eingesetzt. Sie sollen aufgrund der Härte Panzerungen durchschlagen und ist gleichzeitig eine „billige“ Methode, Uranschrott aus der Brennstoffproduktion zu beseitigen, der sonst teuer entsorgt werden müsste. Dass diese umgehend verboten werden muss, ist bei den Grünen unbestritten.
Um also abschließend gegenüber zu stellen:

  • Schmutzige Bombe: extrem hohe Sachschäden und Folgekosten, kaum Soforttote
  • Nukleare Bombe: Zehn- bis Hunderttausende von Soforttoten, extrem hohe Sachschäden und Folgekosten

DAHER passen die „radiologische“ Waffen NICHT in diesen Absatz.

Karl-W. Koch

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