BDK-Antrag: Hohe Schutzstandards bei Arzneimittelstudien erhalten

Die Menschenwürde ist in der Forschung unverhandelbar

Medizinische und pharmazeutische Forschung kann Leben retten. Sie sind notwendige Voraussetzung für die Erforschung, Entwicklung und Zulassung neuer Medikamente und Erkenntnisse. Gerade weil wir uns der hohen Bedeutung klinischer Studien für den medizi­ni­schen Fortschritt im Dienste der Menschen und für den Forschungsstandort Deutschland bewusst sind, ist es wichtig den ethischen Kompass nicht zu verlieren und die Sicherheit der Patientinnen und Patienten stets in den Vordergrund zu stellen. Ein hohes Schutzniveau an Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit ist für die Probanden und Patienten unverzichtbar.
Medizinische und pharmazeutische Forschung beruht u.a. auch auf Versuchsreihen, in denen neue Präparate Menschen verabreicht werden, um die Wirksamkeit, aber auch die Risiken zu testen. Todesfälle und schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen bei pharmazeutischen Reihenstudien in Frankreich oder in Großbritannien belegen, dass die Teilnahme an derartigen Studien mit einem schweren Gefahrenpotential für Leben und Gesundheit, sowie zuweilen auch schweren wirtschaft­lichen Folgen für betroffene Probanden und ihren Angehörigen verbunden sind.
Deswegen dürfen nach unserer Überzeugung die Risiken solcher Versuchs­reihen ausschließlich volljäh­rigen Menschen auferlegt werden, die bei klarem Verstand nach umfassender und nachweisbarer Aufklärung und ohne Zwang einwilligen, sie zu tragen.
Wir lehnen es dagegen ab zuzulassen, dass die Risiken einer medizinischen oder phar­ma­ko­­logischen Forschungsreihe für Gesundheit und Leben Mitmenschen auferlegt werden, die aus medizinischen oder rechtlichen Gründen nicht fähig sind, über sich Entscheidun­gen zu treffen, oder diese Entscheidung für sich selber bei klarem Verstand nicht für Zeiträume getroffen haben, in denen sie nicht mehr bei klarem Verstand sind.
Die Einwilligung von Betreuern, Vormündern oder Erziehungsberechtigten genügt uns als Einwilligungsgrundlage nicht. Diese weitreichende Entschei­dung über die Gefährdung fremden Lebens oder Gesund­heit zu treffen ist für uns aus­schließlich in den Fällen akzeptabel, wenn im Einzel­fall ein akut vom Ableben bedrohter und herkömmlich austherapierter Mensch von der Anwen­dung ungeprüfter Methoden oder Arzneimittel unmittelbar profitie­ren kann und die Anwendung für ihn eine medizinische Chance darstellt.
Bisher ist eine sogenannte fremdnützige Forschung an nichteinwilligungs­fähigen Erwachsenen nach dem Arzneimittelrecht ausgeschlossen. Diese Regelung darf nicht aufgeweicht werden und ist auch auf Minderjährige zu erstrecken.
Die hohen Schutzstandards, die es in Deutschland bei klinischen Studien momentan für nichteinwilligungsfähige Erwachsene gibt, insbesondere hinsichtlich der Würde des Menschen und seiner körperlichen Unversehrt­heit, dürfen nicht verwässert werden. Bereits 2013 hat sich der Bundestag (Drucksache 17/12183) dazu ausgesprochen, dass in solchen Fällen das Schutzniveau für diese Personen zu erhalten ist. Von dieser Haltung darf nicht abgewichen werden.
Das Grundrecht auf Menschenwürde verpflichtet zudem den Gesetzgeber und die vollziehende Gewalt, allgemeinverbindliche Normen zu erlassen, die den Schutz der Menschenwürde bestmöglich gewährleisten.
Der Staat muss also nicht nur selber Eingriffe in die Würde der Menschen unterlassen, sondern muss – auch durch seine Gerichte – darauf hinwirken, dass sowohl die öffentliche Gewalt wie auch private Dritte die Menschen­wür­de eines jedes einzelnen Menschen achten.  Deshalb sind wir der Auffassung, dass eine Instrumentalisierung von Patientinnen und Patienten nicht mit den Grundrechten der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der Charta der Grundrechte der EU vereinbar ist.
Erwägungen zur Bedeutung des Forschungsstandortes Deutschland und Interessen der Industrie haben angesichts des Gewichtes des Menschen­würde­begriffs zurück zu stehen.
Die Menschenwürde ist universell. Die Würde des Menschen ist nicht auf Deutschland beschränkt. Ausgehend von dieser Überzeugung lehnen wir es auch ab, dass Unterneh­men oder Forschungseinrichtungen unter Verletzung der Menschenwürde medizinische Versuche ohne ausdrück­liche, nachweisbare Einwilligung der Betroffenen in anderen Ländern unternehmen.
Wenn die Unantastbarkeit der Menschenwürde aufgeweicht wird, ist ein rechtlicher und ethischer Dammbruch die unmittelbare Folge. Dem kann von unserer Seite aus nur ein glasklares NEIN entgegengehalten werden!
Eine Entmachtung der Stellung unabhängiger Ethikkommissionen bei der Bewertung und Genehmigung des Designs von Versuchsreihen lehnen wir ab. Ablehnende Stellung­nahmen von Ethikkommissionen müssen auch weiterhin zwingender Ablehnungsgrund von Anträgen auf Studien bleiben. Würde die starke Stellung der Ethikkommissionen im Verfahren aufge­weicht, würden internationale Standards der ärztlichen Ethik unter­schrit­ten werden können. Wir setzen uns dafür ein, dass auch in Zukunft die Ethikkommissionen vollumfänglich ihre Aufgaben erfüllen können, die Forschung in ethischer und rechtlicher Hinsicht zu beraten, zu kontrol­lieren und zu beaufsichtigen und so die Rechte und die Sicherheit der Probandinnen und Probanden im Sinne der Deklaration von Helsinki zu schützen.
Alle unerprobten neuen Medikamente sind als „high-risk“ zu deklarieren, um die maxi­male Sicherheit in Versuchsprotokollen zu erzwingen. Beim Auftreten unerwarteter Nebenwirkungen müssen sofort alle weiteren Schritte gestoppt werden.
In der Verordnung (EU) Nr. 536/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 wird die Regelung der Bedingungen des Scha­dens­ersatzes gegenüber Prüfungsteilnehmern der nationalen Gesetz­gebung zugewiesen. Nach derzeitiger Rechtslage unterliegen die Probandinnen und Probanden bei Schädigung der kaum erfüllbaren Beweispflicht und die obligatorischen Pro­bandenversicherungen decken nur Körperschäden der Probandinnen und Probanden, nicht jedoch Schäden von Sekundärgeschädigten oder Schmerzensgeld ab.
Wir fordern zur Verbesserung des Schutzes der Probandinnen und Probanden die Festlegung einer gesetzlichen Kausalitätsvermutung, sowie die Einbeziehung Sekundär­geschädigter, die Erweiterung des Schutzes von Probandenver­sicherungen auf Schmerzensgeld und die Anpassung der Haftung bei klinischen Versuchen an die Haftung nach § 84 AMG.
Wir streben zudem in Ergänzung der bereits bestehenden haftungsrecht­lichen Voraussetzungen eine Umkehr der Beweislast bei juristischen Aus­einander­setzun­gen um Schadensersatz an, sobald die derzeit nicht vor­han­denen europarechtlichen Voraussetzungen für eine solche Beweislast­umkehr geschaffen sind.
Trotz der bestehenden strengen Regelung mit einem hohen Schutzniveau für Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer ist Deutschland bei der Anzahl klinischer Studienprojekte führend in Europa. Das in Deutschland bestehende und grundrechtlich gebotene Niveau zum Schutz der Prüfungsteilnehmerinnen und Prüfungsteilnehmer ist kein Hindernis für erfolgreiche Forschungsvorhaben; es ist eine Grundvoraussetzung. Die international anerkannten ethischen Grundsätze für die Forschung am Menschen dürfen deshalb auch in Zukunft nicht infrage gestellt werden.
 
Thomas Dyhr (KV Barnim)
UnterstützerInnen:
Kerstin Dehne (KV München),
Anna Mebs (KV Kitzingen),
Sven Giegold (KV Düsseldorf – MdEP),
Ute Koczy (KV Lippe – ehem. MdB)
Nathalie Konias (KV Euskirchen – Mitglied im Landesvorstand NRW),
Thomas Schäfer (KV Bremerhaven – Mitglied im Landesvorstand Bremen),
Monika von der Brüggen (KV Frankfurt am Main),
Jan Erdmann (KV München),
Uwe Rottermund (KV Höxter),
Lothar Winkelhoch (OV Gummersbach),
Andreas Knoblauch (KV Salzgitter),
Dorothea Martin (KV Barnim),
Mike Kess (KV Oder-Spree),
Peter Rauscher (Stadtverband Augsburg),
Judith Libuda (KV Uelzen),
Andreas Kubesch (KV Calw),
Claudia Laux (KV Bernkastel-Wittlich),
Hubert Nowak (KV Rottweil),
Dr. Rudolf Beyer (KV Altenkirchen),
Dr. Isolde Riede (KV Bodenseekreis),
Catrin Fabricius (KV Pankow von Berlin),
Frank Neumann (KV Barnim),
Christina Dyhr (KV Barnim),
Kerstin Täubner-Benicke (KV Starnberg),
Gianina Zimmermann (KV Main-Taunus Kreis),
Sören Landmann (KV Trier Stadt),
Mathias Raudies (KV Marzahn-Hellersdorf),
Hermann Brendieck (Kreisverband Kleve),
Catherine Kern (KV Hohenlohe),
Walter Wandtke (KV Essen),
Dieter Flohr (KV Fürth-Land),
Ina Sinterhauf (KV Coburg-Stadt),
Emmerich Huber (KV Forchheim),
Birgit Ohrenschall-Reinhardt (KV Uelzen),
Leo Neydek (KV Rhein-Lahn),
Ulli Reichardt (KV Kreisfrei – LV Berlin),
Ralf Henze (KV Odenwald-Kraichgau),
Ramona Halbrock (KV Darmstadt-Dieburg),
Barbara Poneleit (KV Forchheim),
Susanne Hilbrecht (KV Dithmarschen),
Ingrid Bäumler (KV Mayen-Koblenz),
Susanne Scherer (KV Aschaffenburg-Land),
Inka Seidel (KV Marzahn-Hellerdorf, Berlin),
Klemens Griesehop (KV Pankow/Prenzlauer Berg, Berlin),
Oliver Münchhoff (KV Charlottenburg-Wilmersdorf, Berlin)
Karlheinz Wolf (KV Marzahn-Hellerdorf, Berlin),
Thomas Kremling (KV Barnim),
Michael Gleich (KV Magdeburg),
Julia Scharf (KV Marzahn-Hellersdorf, Berlin),
Anna Neuhof (KV Altenkirchen),
Katrin Donath (KV Altenkirchen),

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1 Kommentar

  1. Die Entstehungsgeschichte dieses Antrags und welche Gedanken ihn tragen, ist unter https://www.thomas-dyhr.de/?p=6919 beschrieben.

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