Die Dialektik von Freiheit und Gleichheit – für eine linke Grundrechtepartei

Ludger Volmer formulierte in seinem Buch „Die Grünen“ am Ende das Ziel einer Avantgardepartei. Es ging dabei nicht um die russische Revolution, aber schon den Anspruch, dass Grüne es sind, die Themen setzen und entwickeln können, die mit ihren Impulsen dazu beitragen, dass für die Zukunft (ein Wort, welches unser Wahlprogramm betont) Ziele und darauf aufbauend Konzepte entstehen.
Dieses Ziel entspricht nicht der Ausrichtung an einer (vermeintlich „Neuen“) Mitte und dem einer „Volkspartei“, die Wahlen eher durch Konformismus denn durch Infragestellung der in der Gesellschaft zirkulierenden Identitäten begegnet.

Leider stellte Ludger Volmer einige Jahre zuvor die Idee einer linken Partei jedoch als Gegenkonzept zu einer Bürgerrechtspartei dar. Seiner Wahrnehmnung, diese Themen wären maßgeblich für die Beerdigung sozialer Grundfragen gewesen, beschreibt zwar historisch einen Zusammenhang, zeigt aber nicht seine Notwendigkeit auf.
Beide Konzepte, das einer linken Umverteilung, zu Zeiten von Ludger Volmer noch mit dem Anspruch einer tatsächlichen gesellschaftlichen Umverteilung nach unten, die sicherlich nicht den Selbstanspruch gehabt hätte, dass sich für 90% nichts ändert, sondern eher, dass die bisher schlechter gestellten 50 % +x besser dastehen sollten, verbleibt dennoch eine Verteilungsdebatte. Sie egalisiert und hofft nur, kann aber nicht nachweisen, dass hierdurch Menschen beginnen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und sich um ihre Freiheit zu bemühen.
Das Konzept der „Bürgerrechtspartei“ ist in zweifacher Hinsicht von vorne herein Mist: Erstens sind die Bürger eben im Wort männlich, andererseits sind die Bürgerrechte eben die politischen Grundrechte der „Bürger“ und nicht der übrigen Menschen, die gelegentlich durchaus auch ohne Pass politische Rechte besitzen. Der bessere Begriff ist hier „Grundrechtepartei“. Dies klingt auch weniger so, als würden soziale Grundrechte ausgeblendet. In diesem
Ansatz ist das Individuelle, der subjektive Ansatz, der die Neue Linke anders als die alte Linke ausmacht, auch ansprechbar.
Freiheit fehlte als Zielbestimmung in unserem Wahlkampf. Zwar fand sich die Behauptung, wir würden für die größtmögliche Freiheit in
sozialer Verantwortung eintreten, aber unser Programm schrieb in der Sprache des Komparatives, des Durchgerechneten, der Nichtinfragestellung unserer Gesellschaft.
Das Versprechen, was die Mitte einfordert, um zu wählen, ist den Freiheitsgrad der Gesellschaft so zu beschränken, dass sich eben möglichst wenig ändert. Solange diese Position in einer der (vermeintlich) drei linken Parteien ein Gewicht besitzt, wird sich auch wenig ändern, denn Angela Merkel modernisiert die CDU bereits zur modernen Volkspartei, die diesen Platz einnehmen kann.
Unsere eigenen Steuerpläne sind dennoch notwendig, da eine Gesellschaft eben nicht unbegrenzt auseinanderdriften kann. Dass die
Primärverteilung im Kapitalismus Ergebnisse bringt, die ihn selbst gefährden, und daher die Steuern dies rückverteilen müssen, ist
jahrzehntelang von CDU und FDP akzeptiert worden. Momentan reicht nur die innergesellschaftliche Solidarität schlicht nicht mehr für die
Aufrechterhaltung einer Gesellschaft.
Mit Links hat dies aber fast nicht zu tun, sondern eher mit Verantwortung und Ehrlichkeit. Dies alleine reicht Menschen, die die heutige krisengeschüttelte Welt nicht für die beste alle Welten halten, aber nicht aus. Diese wollen eine moderne Welt, sie
interessiert Freiheit. Häufig reduziert sich dies auf libertäre Freiheitsvorstellungen, bei denen Freiheit eben nur auf subjektiver
Ebene gedacht wird. Dies ist in einer sozial atomisierten zerfallenden Gesellschaft auch zu erwarten. Schon der Freiheitsbegriff
des Liberalismus hat hier mehr zu bieten, hält Menschen für verantwortungsfähig und lehnt daher Dogmen und staatliche Lösungen ab,
wenn die Menschen dies auch selbst tun können. Er ist allerdings blind gegenüber dem herrschenden Kapitalverhältnis.
Und diese Wählergruppen gibt es. Sie sind aber definitiv an einer Stelle nicht: In der „Mitte“ der deutschen Gesellschaft. Sie sind aber
durchaus bürgerlich, können auch religiös motiviert sein, nur eben nicht konservativ, unpolitisch, formalistisch oder konformistisch.
Max Horkheimer kam in seinen Studien zu dem durchaus deprimierenden Ergebnis, dass in der zerfallenden Gesellschaft des Spätkapitalismus
Freiheit und Gleichheit sich in letzter Instanz ausschließen. Dies finde ich weniger tragisch, mich interessiert ein Reich der Freiheit
mehr als eines der Gleichheit.
Er hat aber nie geschrieben, dass in einer Gesellschaft die Ungleichheit so groß sein kann, dass die Beteiligung großer
Gesellschaftsgruppen ausfällt. Und mehr versprach unser Programm nicht.
Verärgert waren viele wohl weniger über uns als über unsere Nachricht, dass die jetzige Verteilung langfristig so nicht aufrechterhaltbar ist.
Ansprechende und klare Konzepte für eine moderne Gesellschaft, im Zeitalter von Geheimdienstskandalen die Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit mit sozialen Fragen zusammen denkt, fehlte.
Wir gelten und gerieren uns häufig als die besseren Menschen. Auch wenn unser postmaterielles Milieu bereit ist, häufig freiwillig Verzicht zu üben, schlägt dieser Vorbildcharakter meist auf uns zurück. Wir sollten verstärkt die anderen dazu zwingen, zu erklären, wie ihrer Meinung nach Zukunft funktionieren soll, wie Recht aussehen, wieviel Biosphäre noch existiert soll. Das gute Zureden hat bekanntermaßen politisch noch nie funktioniert.
Allerdings beschädigen wir uns selber, wenn wir einen Eiertanz wie bei der Debatte um Pädophilie aufführen, wenn Distanzierungen Grüner weit
über das hinausgehen, was überhaupt Sachlage ist. Wenn wir anstreben wollen, auch einmal Innen- oder JustizministerInnen stellen zu können, dann ist zwar die biographische Integrität unserer Leute ebenfalls entscheidend, aber zentraler ist, dass diese ausschließlich gemäß Rechtsgrundsätzen und/oder Gesetzen handeln. Und auch jederzeit bereit sind, diese öffentlich zu verteidigen. Und auch zu sagen, wann sie sich geirrt haben. Aber vor allem, wie sie sich irrten.
Für das von mir skizzierte Ziel einer linken Grundrechtepartei, die neue Themen öffnet und statt auf die Mitte der Gesellschaft auf die
Gruppen zielt, die eine Veränderung wünschen, bitte ich um Eure Unterstützung. Und dafür, nie wieder einen Komparativ in unseren Programmen lesen zu müssen.
Werner Hager

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