Töten für Frankreichs Nuklearindustrie

Am 18.4.2011 starb Tavrez Sejkar, Atomgegner, in Jaitapur (Indien).

Wie gewöhnlich ist den deutschen Medien ein solcher Vorfall allenfalls eine Kurzmeldung wert, wobei natürlich nichts weiter an Informationen verbreitet wird, als die Stellungnahme, wie sie dem Polizeibericht zu entnehmen ist. Angeblich hätte am Rande einer Demonstration ein gewaltbereiter und teilweise bewaffneter „Mob“ ein unterbesetztes Polizeirevier gestürmt, um es zu plündern und in Brand zu stecken. Selbstredend hat der getötete Atomgegner in diesen Meldungen keinen Namen. Beim Versuch, den „Mob“ zu zerstreuen, sei nach dem vergeblichen Einsatz von Gummigeschossen und Tränengas in Notwehr scharf geschossen worden, so in etwa gleichlautend die Informationen im Morgenmagazin (ARD/ZDF), aber auch diversen deutschen Printmedien.

Eine Nachricht also, die man kopfschüttelnd zur Kenntnis nimmt und „abhakt“. Oder aber, man schaut einmal genauer hin, gerade weil dies aus dem fernen Indien berichtet wird, zumal aus einer Gegend an der Küste, einem Fischerdorf im Distrikt Ratnagiri.

Weshalb wird aus einem scheinbar nicht wirklich bedeutenden Dorf für die Menschheit überhaupt berichtet? Bei näherer Betrachtung kommt man natürlich zu einem anderen Schluss. Knüppel, Tränengas, Gummigeschosse und tödliche Schüsse in dieser scheinbar unbedeutenden Gegend lohnen sich. Mit anderen Worten, es geht um einen Nuklearstandort für französische ERP-Druckwasserreaktoren, von denen man bis zu sechs in Indien bauen will, und zweie sollen die Region beglücken, in der eben jener junge Mann an tödlichen Polizeischüssen sterben musste.

Der Wert des Auftrags liegt laut „Handelsblatt„, online vom 7.12.2010 bei sieben Milliarden Euro. Eingeschlossen sei auch die Lieferung des benötigten Urans und mit dem Bau soll bereits 2011 begonnen werden. Ab 2018 sollen die ersten Reaktoren ans Netz gehen. Ein strammes Zeitfenster also, das der französische Staatspräsident und Industrievertreter Nicolas Sarkozy mit seiner Klinkenputzertruppe von sieben Ministern und fast 70 Unternehmensvertretern für die vom Auftrag profitierende AREVA (90% in der Hand des Staates) aushandelte.

Zuvor hatte Sarkozy den unbegrenzten Zugang Indiens zur „friedlichen“ Nutzung der Atomenergie gefordert. Das ist ja nicht ganz unproblematisch, gehört Indien doch zu den Ländern, die den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichneten und außerdem Atomenergie zu ganz und gar nicht friedlichen Zwecken bereits nutzt. Es stehen sich bewaffnet mit Atomwaffen die Gegner Indien und Pakistan gegenüber und fuchteln die ganze Welt bedrohend, regelmäßig mit diesen Waffen gegeneinander herum.

Konzernchefin Anne Lauvergeon sprach denn auch von einem historischen Abkommen. Und da ist natürlich noch viel mehr drin. Indien bezieht derzeit gerade einmal 3-5 % seines Energiebedarfes aus Atomkraftwerken (Anzahl 19, siehe „Stern online“ v. 22.3.2011). Diesen Anteil aber möchten Premierminister Manmohan Singh und die Staatspräsidentin Pratibha Patil erheblich steigern.

Ach ja AREVA. Dieser Staatskonzern ist einschlägig bekannt. Alles, was in diesem Zusammenhang mit dem Atomdesaster in Fukushima (Japan) an „Unzulänglichkeiten“ (um nicht zu sagen: Schweinereien) über den japanischen Energiekonzern TEPCO bekannt wird, brachte auch AREVA in die Schlagzeilen. In den Uranabbaugebieten an denen AREVA beteiligt ist, bedrohen die Arbeitsbedingungen die Gesundheit von 80.000 Menschen, die dort leben (Rianne Teule, Strahlenschutzexpertin der Umweltorganisation Greenpeace in einem Interview mit „Spiegel online“ vom 2.4.2010). Und selbstredend steht der Konzern unter Korruptionsverdacht (dito v. 7.4.2011).

Unbedeutender Mob gegen AKW in Indien?

Natürlich. Uns hier im fernen Deutschland wird unter ferner liefen ein Märchen aufgetischt, welches den Tod von Tavrez Sejkar fast schon als „folgerichtig“ erscheinen lässt. Gerade auch friedliche deutsche AKW-Gegner/innen werden hinzufügen, dass dieser Tod sinnlos war und vor allem, Gewalt, zumal ziellose (Erstürmung eines Polizeireviers), abzulehnen ist. Aber auch das dürfte sich alsbald als eine einseitig gewünschte Sichtweise heraus stellen. Wenige Stunden nach dem Tod des jungen AKW-Gegners verlangen seine Eltern und die Opposition eine gründliche Untersuchung. Sie lehnten die Übergabe der Leiche ab und forderten eine Autopsie, berichtet India Today online am 19.04.

Die Pläne der indischen Regierung zum Ausbau der Atomenergie stoßen bereits seit Längerem überall auf Widerstand. Die indische Anti AKW Bewegung ist alarmiert und in den betroffenen Regionen fürchten die Menschen um ihre Lebensgrundlage, zum Beispiel Fischfang. Selbstredend gilt auch für den Distrikt Ratnagiri und den Standort der AREVA Reaktoren: Sie sollen in ein Erdbebengebiet mit Tsunami-Gefahr gebaut werden.

Diesen Plan gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen, dazu sind dem indischen Staat alle Mittel recht, die einem harten Atomstaat zu Gesichte stehen. Und davon macht er reichlich Gebrauch, mitunter eben auch tödlich. So berichtet Anil Singh (Times News Network, vom 29.10.2010 in der Übersetzung von Einar Schlereth) von Massenprotesten gegen dieses Projekt. 3.000 Dorfbewohner übten sich in zivilem Ungehorsam und verlangten ihre vorläufige Verhaftung (Jail Bharo Aktion, „Füllt die Gefängnisse im Protest“, gewaltfreie Kampftaktik, die auf Mahatma Gandhi zurück geht). Sprecher der Vereinigung „Rettet Konkan-Konkan“ erklärten, dass sie Repressionen der Regierung nicht tolerieren würden. Die Polizei war gegen den friedlichen Protest waffenstarrend mit 300 Mann angerückt.

Manmohan Singh reitet den Tiger. Unzulänglich ausgerüstet wird er den Tiger kaum bändigen. Die tödliche Mahnung von Fukushima in den Wind zu schlagen, ist mehr als nur leichtsinnig.
 

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