Brief der unterzeichnenden InitiatorInnen und AntragsstellerInnen der Göttinger Sonder-BDK 2007 zu Afghanistan
Das Abstimmungsverhalten der grünen Bundestagsfraktion in der Abstimmung zur Entsendung von AWACS-Flugzeugen nach Afghanistan halten wir, die unterzeichnenden InitiatorInnen und AntragsstellerInnen der Göttinger Sonder-BDK 2007 zu Afghanistan, für inhaltlich falsch, durch den Göttinger Beschluss in keiner Weise abgedeckt und politisch für ein schädliches Signal. Wir haben Hochachtung und danken den neun grünen Abgeordneten, die mit Nein gestimmt haben. Wir verstehen nicht, warum die 30 zustimmenden grünen Abgeordneten sich nicht wenigstens enthalten konnten, um die Beschlusslage der Partei zu repräsentieren und den nachvollziehbaren Wunsch vieler, u.a. Winni Nachtweis, nach einem einheitlichen Auftreten der grünen Fraktion in dieser Frage zu erfüllen. Die sich enthaltenden Abgeordneten waren dazu in der Lage, auch ihnen danken wir.
Wir gestehen zu: Die Entsendung der AWACS ist keine entscheidende militärische Eskalation für die Bundeswehr in Afghanistan. Sie macht aber Deutschland zu einem entscheidenden Akteur der militärischen Luftraumordnung und bindet damit die Bundeswehr noch einmal enger an die von uns einmütig abgelehnte „Operation Enduring Freedom“ (OEF). Zwar erfüllen die AWACS auch (!) zivile Aufgaben. Diese wären aber auch mit anderen Hilfsmittel zu bewältigen. Und sie erfüllen nun einmal auch, und das in erster Linie, militärische Koordinierungsaufgaben!
Betont wird, dass die AWACS nicht geeignet wären, Zielidentifizierung am Boden zu leisten. Das ist richtig, aber nicht die entscheidende Frage. Zu diesem Zweck hat die Bundeswehr ja bereits die Tornados in Afghanistan. Statt der Bundesregierung ohne ausreichende Debatte und ohne Not ein weiteres Mandat mehrheitlich zu genehmigen, hätten wir von einer effektiven grünen Opposition im Bundestag verstärkte Bemühungen erwartet, die Tornados wieder zurück zu holen. Dies ist unsere klare Beschlusslage. Wir erkennen nicht, dass das von der Fraktion mit ausreichendem Engagement in der Öffentlichkeit vertreten wurde. Mit AWACS und Tornados gemeinsam ist Deutschland nun einer der Hauptakteure für die militärische Kontrolle des Luftraums in der Region, übrigens weit über Afghanistan hinaus. Natürlich sind wir damit weiter in diesen Krieg hineingezogen, und natürlich sieht ein Strategiewechsel, der auf zivile Stabilisierung statt militärischer Kontrolle baut, völlig anders aus.
Wir gestehen zu, dass es einen Bedarf an verbesserter ziviler Luftraumüberwachung in Afghanistan gibt. Eine zivile Aufbaustrategie muss darauf zielen, eine solche Infrastruktur dauerhaft am Boden und in den Händen des afghanischen Volkes selbst aufzubauen. Natürlich wird mit der Übernahme dieser Funktion durch das Militär diese für die Zukunft Afghanistans wichtige Investition in nachhaltige Infrastruktur weniger intensiv betrieben werden. Auch deswegen hätten wir uns eine grüne Opposition erwartet, die die Bundesregierung in die richtige Richtung drängt, statt immer noch als „Regierung im Wartestand“ kurzsichtige Entscheidungen mit abzunicken.
Der gültige Beschluss von Göttingen lautet formelhaft: „Ohne Strategiewechsel kein Mandat“. Aus dem Zusammenhang ergibt sich, dass damit ein Strategiewechsel zu einem zivilen Aufbau statt zu einem Kriegsmandat gemeint ist. Die neue Obama-Adminstration verfolgt sicher nicht mehr die gleiche Strategie wie die Bush-Regierung. Die neue Stategie der USA ist aber immer noch eine militärische Kriegsstrategie, die auf Vernichtung des Gegners und einen militärischen Sieg ausgelegt ist.
Wir sehen in den Ankündigungen des Strategiewechsels genauso positive Signale (Unbedingte Anweisung, „Kollateralschäden“ in der Zivilbevölkerung zu vermeiden und im Zweifelsfall nicht zu schießen) wie negative (massive Erhöhung der Truppenanzahl, Ausrichtung auf einen militärischen Siegfrieden). In der deutschen Öffentlichkeit verhindert derweil eine lächerliche Diskussion, ob der „Krieg“ denn auch „Krieg“ heißen darf, die viel wichtigere Frage nach der Ausweitung der kämpfenden Aktivität der Bundeswehr. Dabei nennt selbst Verteidigungsminister Jung den Afghanistan-„Einsatz“ zwar nicht Krieg, spricht aber neuerdings von „Gefallenen“.
Die Lage ist nach wie vor sehr unübersichtlich, wir erkennen Strategieänderungen, aber keine belastbaren Anzeichen für einen Strategiewechsel in unserem Sinne. Deswegen ist die Zustimmung der Grünen zu einer Mandatsverlängerung der bestehenden Mandate in unseren Augen nicht von unserer Beschlusslage gedeckt. Die Zustimmung zu einem weiteren Mandat ist daher noch viel weniger vertretbar.
Nicht nachvollziehen können wir, wenn nun in offiziellen Stellungnahmen der Fraktion und Winni Nachtweis betont wird, diese jetzige Entscheidung sei kein Präjudiz für eine Verlängerung des ISAF-Mandats im Dezember. Wir wünschen uns eine einheitliche Afghanistan-Politik der grünen Bundestagsfraktion. Wer im Juli ein neues Mandat mit installiert, wird im Dezember nicht das gesamte Mandat ablehnen. Dies wäre das genaue Gegenteil. So gewinnen wir das Vertrauen der friedensbewegten Menschen und der WählerInnen sicher nicht zurück.
Peter Alberts, KV Münster
Karl-W. Koch, KV Vulkaneifel
Robert Zion, KV Gelsenkirchen
Ralf Henze, KV Odenwald-Kraichgau
Richard Janus, RV Eisenach