Die Gewaltspirale durchbrechen, den militärischen Rückzug einleiten!
Die Gewalt in Afghanistan nimmt dramatisch zu und fordert immer mehr Opfer. Mit dem Krieg sollten Terroristen bekämpft und Sicherheit geschaffen werden. Diese Ziele wurden verfehlt. Ein Ende der Eskalation der Gewalt ist nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil. Ein „Weiter so“ mit immer mehr Soldaten darf es daher nicht geben. Verhandlungen und Vereinbarungen können ein Weg sein, den Abzug verantwortbar zu gestalten und das Erreichte zu sichern.
Ungeachtet der ständigen Verschlechterung der Lage in Afghanistan, die alle mühsam erreichten Erfolge zu Nichte zu machen droht, hält die Bundesregierung an ihrem militärisch fixierten Kurs fest. Bundestagsabgeordnete, darunter Hans-Christian Ströbele, Winfried Herrmann, Sylvia Kotting-Uhl, Monika Lazar, Anton Hofreiter, Peter Hettlich, Irmingard Schewe-Gerigk und Harald Terpe, Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses wie Lisa Paus, Heidi Kosche, Dirk Behrendt, Stefan Ziller und zahlreiche Einzelpersonen rufen dazu auf „Den Krieg in Afghanistan zu beenden, die Gewaltspirale zu durchbrechen und den militärischen Rückzug einzuleiten“. Unterstützen Sie den Aufruf mit ihrer Unterschrift, sammeln Sie Unterschriften, verbreiten Sie den Aufruf!
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– Offener Brief von Winfried Nachtwei (MdB) an die InitiatorInnen … hier
— Antwort der Bundestagsabgeordneten Hans Christian Ströbele und Winne Hermann … hier
— Antwort einiger UnterstützerInnen des Aufrufes … hier
Nov 24 2008
Den Krieg in Afghanistan beenden!
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2 Kommentare
Lieber Winfried,
schönen Dank für die von Dir an uns gerichteten Fragen zum Aufruf zur Unterschriftensammlung zu Afghanistan. Unterdessen haben die Initiatoren der Unterschriftenliste, Winne Hermann und Hans-Christian Ströbele ja auch schon geantwortet.
Wir als Unterstützer möchten uns dem Schreiben der Initiatoren anschließen und um einige wenige Aspekte ergänzen. Wir sind der Meinung, dass viele Deiner Fragen bereits durch den Göttinger Beschluss, in dem Alternativen zum militärischen Engagement in Afghanistan aufgezeigt sind, beantwortet wurden. Wir sind auch der festen Überzeugung, dass zahlreiche Alternativen angesprochen, diskutiert und vorgeschlagen worden sind, gerade auch von Dir. Wir möchten ausdrücklich hervorheben, dass uns gerade auch dein Engagement bezüglich Afghanistan Aufforderung war und ist, uns ermutigt hat, den europäischen, den deutschen Anteil am Afghanistan Einsatz in den Blick der Öffentlichkeit zu rücken. Aber auch von Bundeswehrsprechern und Sprecher/innen der wenigen verbliebenen Hilfsorganisationen, auf die nicht nur wir uns beziehen, wurde die Notwendigkeit betont, die Prioritäten hin zu zivilen Mitteln zu verändern und es wurden immer wieder Vorschläge unterbreitet, wie das gehen könnte. Deshalb glauben wir, dass die von Dir aufgeworfenen Fragen, weitgehend beantwortet sind. Wir haben uns zur Unterstützung der Unterschriftensammlung entschlossen, weil die Befürchtung, die Umsetzung scheitere mangels Interesse an einem Strategiewechsel in der Bundesregierung, dem sich verfestigenden Glauben gewichen ist, eben dieses mangelnde Interesse und Verständnis für die Situation in Afghanistan in der Bundesregierung ist ein zentrales Hemmnis für die Notwendige Änderung der deutschen und europäischen Afghanistanpolitik.
Wir sind der festen Überzeugung, dass die Bundesregierung nicht freiwillig ihre Politik ändern wird, sondern dass dazu die öffentliche, kritische Diskussion verstärkt werden muss. Erst wenn die Waffen schweigen, der Terror und Selbstmordterror aber eben auch die zunehmend vollkommen undifferenzierten Angriffe, die wie in modernen Kriegen üblich, vor allem die Zivilbevölkerung treffen und zu Opfern machen, beendet werden, ist an eine hoffnungsfrohe Zukunft für Afghanistan zu denken. Wir sind geradezu entsetzt vom Vorgehen der OEF-Einsatzkräfte, die scheinbar für einen „getöteten Terroristen zehn getötete Zivilisten in Kauf“ nimmt. Wir befürchten, dass diese Form der Kriegführung von Nato und ISAF übernommen werden könnte, sollte das Oberkommando immer mehr unter US-Kontrolle gestellt werden.
Der letzte Absatz im Schreiben zur Unterschriftensammlung ab „Ein ‚Weiter so‘ …“ beschreibt erkennbar, worum es geht und was getan werden müsste. Das ist zwar die Kürzestfassung all dessen, was andernorts und von den verschiedensten Kenner/innen der Sachlage seit Jahren gefordert wird und wurde, geschuldet dem Stilmittel des Aktionsaufrufes.
Die große Mehrheit der Bevölkerung, wenn auch unterschiedlich intendiert, lehnt diesen Einsatz ebenso ab, wie sie den Irak-Krieg abgelehnt hat. Diese Ablehnung ist nicht zu verwechseln mit mangelnder Hilfsbereitschaft. Nach wie vor und trotz Krise sind die Menschen weiterhin ziemlich spendenfreudig, immer dann, wenn sie den Sinn und den Nutzen für die Menschen erkennen, denen geholfen werden soll. Da sind zum Beispiel Menschen in den vergangenen Jahren auf eigenes Risiko und auf eigene Kosten mit voll geladenen LKW nach Afghanistan aufgebrochen, um zu helfen. All das ist bekannt und die sinkende Hilfsbereitschaft für Afghanistan ist direktes Ergebnis der katastrophalen Politik, eben auch unserer europäischen Regierungen und last but first, der Bush-Regierung. Auch in der Zeit unserer GRÜNEN Regierungsbeteiligung meinen wir, wurden Fehler gemacht und unsere Beteiligung betreffend, sollten wir uns selbstkritisch damit auseinander setzen
Deine Fragen im Rahmen eines solchen Aktionsaufrufes beantworten zu wollen, würde den Aufruf letztlich zu einer umfangreichen Fachdiskussion „Wie weiter in Afghanistan“ machen. Dafür – diese Diskussion in unsere Partei zu tragen, dafür, diese Diskussion in die Gesellschaft zu tragen, hast gerade Du sehr viel beigetragen, haben gerade die Initiator/innen und die Unterstützer/innen des Aufrufes sehr viel getan. Diese Arbeit war unseres Erachtens bereits sehr erfolgreich. Auch auf die Gefahr hin, uns zu wiederholen: Was offenkundig noch fehlt, ist der Wille zur Umsetzung in der Bundesregierung.
Wir hoffen mit dem Aufruf zu erreichen, dass die Verantwortlichen den politischen Willen der Bevölkerung endlich ernst nehmen, statt ihn beständig zu ignorieren. Und der politische Wille ist unserer Meinung nach:
Endlich ernst zu machen mit der Hilfe für die Menschen in Afghanistan, dem Wiederaufbau und sie sollen das kriminelle Missverhältnis militärischen Auftrumpfens einerseits versus Bereitstellung ziviler Mittel andererseits, umkehren. Sie sollen endlich eine Strategie vorlegen, die den Einsatz von internationalen, Krieg führenden Militäreinheiten erkennbar, verantwortungsbewusst und in überschaubarem Rahmen beendet.
Drücken sich die Befürworter dieser Art von Militäreinsätzen weiter davor, eine solche Strategie zu entwickeln, wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein Abzug im Erfolg zu erwarten sein, sondern heillose und chaotische Flucht mit allen menschenverachtenden Folgen. Eben das wäre der Gipfel an Verantwortungslosigkeit. Dass dies keine abwegige Spekulation ist, darauf weisen etliche Militäreinsätze die so endeten, hin, nicht nur das Vietnam-Debakel für Frankreich und die USA, bzw. Afghanistan für die ehemalige UDSSR.
Der „Spiegel“ dieser Woche berichtet, dass sich der künftige US-Präsident, verkürzt gesagt, gewisse positive Seiten des ISAF – Einsatzes zu eigen machen möchte. Dies zumindest wäre ein Fortschritt. Darin liegt Chance und Hoffnung, dass sich ISAF nicht etwa in Richtung der OEF – und der NATO-Doktrin anpasst (was zu befürchten ist), sondern umgekehrt. Ob das am Ende nur taktische Lippenbekenntnisse der neuen US-Regierung bleiben, wissen wir heute noch nicht. Eines ist jedoch erkennbar – die Bundesregierung scheint diesen möglichen Kurswechsel noch nicht in ihre Überlegungen einzubeziehen. Die Bundesregierung in dieser Frage positiv zu beflügeln, könnte die Sammlung möglichst vieler Unterschriften unterstützen.
Dass du in den kommenden Monaten Eckpunkte für eine Erfolgs- und Abzugsstrategie mit der Bundestagsfraktion vorlegen möchtest, sehen wir als den richtigen und wichtigen Schritt für die Nahe Zukunft und wir bitten Dich, unseren Aufruf als einen Baustein zur Unterstützung für Deine Arbeit zu sehen.
Die innerparteiliche Auseinandersetzung seit dem Jahreswechsel 2005/2006, ging um die Frage, wie man die Bundesregierung zu einer Änderung ihrer Afghanistan – Politik bewegen kann. Die Differenzen in der Partei und Fraktion um diese Frage machten den Göttinger Sonderparteitag überhaupt erst nötig.
Deinen Vorschlag, unseren Aufruf weiterzuleiten – dem steht nichts im Wege, mach es, wir freuen uns darüber. Ergänzend zu dem Vorschlag möchten wir zusätzlich vorschlagen, zu prüfen, ob es der Bundestagsfraktion möglich wäre, eine Initiative auf den Weg zu bringen, den Menschen aus Afghanistan, die unsere Unterstützung haben und mehr Unterstützung für ihre Arbeit haben sollten, eine Reise nach Deutschland zu ermöglichen und den direkten, persönlichen Dialog zu organisieren. Eventuell wären für eine solche Initiative sogar parteiübergreifend Politiker/innen, aber auch Hilfsorganisationen, Kirchengemeinden und so weiter, zu gewinnen.
Peter Alberts, Ralf Henze, Karl-Wilhelm Koch, Simon Lissner, Barbara Richter, Matthias Schneider, Robert Zion (Unterstützer/in und Unterzeichner/in des Aufrufes „Den Krieg in Afghanistan beenden“
Offener Brief an die Erstunterzeichner-KollegInnen des Aufrufs „Den Krieg in Afghanistan beenden“
Verfasst von Winfried Nachtwei am 14. November 2008
Folgenden Offenen Brief an die Erstunterzeichner-KollegInnen des Aufrufs „Den Krieg in Afghanistan beenden“ verfasste Winfried Nachtwei:
Offener Brief an die Erstunterzeichner-KollegInnen des Aufrufs „Den Krieg in Afghanistan beenden“
(Winni Nachtwei, 14.11.2008)
Liebe Freundinnen und Freunde,
Eure Forderung, den Krieg in Afghanistan zu beenden, die Gewaltspirale zu durchbrechen und Verhandlungslösungen zu suchen, teile ich voll und ganz. Ich teile Eure Intention, dass es eine militärische Abzugsperspektive geben muss, dass ein Abzug verantwortbar zu gestalten und das Erreichte zu sichern ist. Diese Forderungen treffen zudem eine hierzulande weit verbreitete Stimmungslage.
Zugleich habe ich aber erhebliche Zweifel, ob Euer Aufruf die Lage in Afghanistan trifft, seine Forderungen den Menschen dort nutzen und einen Wegweiser raus aus der Gewaltspirale darstellen.
Ein Aufruf muss kurz sein. Er sollte auch klar sein. Deshalb einige Fragen zur Klärung:
– Warum schildert Ihr ausschließlich die in der Tat sehr beunruhigenden Entwicklungen in Afghanistan und übergeht völlig die Fortschritte und die Sicht der beim Aufbau engagierten AfghanInnen und Internationalen? Warum spielen für Euch weder afghanische demokratische Zivilgesellschaft noch Vereinte Nationen irgendeine erkennbare Rolle? Gerade Friedenspolitik braucht doch Blick für Chancen.
– Warum blendet Ihr die internen Konflikt- und Gewaltursachen sowie den enormen Gewalt„import“ aus den pakistanischen Grenzregionen aus? Wie sollen diese Gewaltpotenziale eingedämmt werden?
– Was ändern Eure Forderungen an den richtig benannten Riesenproblemen der schlechten Regierungsführung, der Macht von Warlords und Drogenbaronen?
– Warum beziehen sich sieben Eurer zehn Forderungen auf das Militärische, zwei auf Verhandlungen, eine auf den zivilen Aufbau? Setzt Ihr damit nicht eine Militärfixiertheit fort, wo das Interesse fast nur um Militärfragen kreist – und wo es für die primären Aufbaufragen nur Reste an Aufmerksamkeit und Engagement und kaum öffentlichen Druck gibt? (Die jahrelange Vernachlässigung der deutschen Polizeihilfe für Afghanistan auch durch die Innenpolitiker des Bundestages ist dafür ein krasses Beispiel.)
Wie lässt sich Druck machen für die notwendige Aufbauoffensive?
– Ist Euch bewusst, dass die Einsatzregeln und Einsatzpraxis von ISAF/Bundeswehr im Norden auf Selbstschutz und Schutz der Bevölkerung beschränkt sind und dass dort auf die Guerillakriegführung bewaffneter Kräfte ausdrücklich nicht mit Krieg geantwortet wird?
– Wie sollen afghanische Sicherheitskräfte zum Schutz der eigenen Zivilbevölkerung befähigt und ausgebildet werden, wenn hierfür nicht Tausende Ausbilder und Berater zur Verfügung stehen, wenn allein in 2007 ca. 1.000 Polizisten durch die bewaffnete Opposition getötet wurden?
– Was ist für Euch „verantwortbar“ und ein „überschaubarer Rahmen“? Zum Beispiel die Ankündigung der Niederländer, Ende 2010 ihre Lead-Rolle in der Süd-Provinz Uruzgan abgeben zu wollen (die dafür jetzt entwicklungspolitisch klotzen), z.B. die Kanadier, die in 2011 aus Kandahar abziehen wollen, z.B. das bei ISAF genannte Zieljahr 2013?
– Wenn nur NATO- und US-Truppen abziehen sollen: Was ist mit den 15 Nicht-NATO-Staaten wie Australien, Neuseeland, Singapur, Vereinigte Arabische Emirate, Jordanien, Österreich, Schweden, Finnland u.a., die bei ISAF dabei sind? Welches wären heute die infrage kommenden „neutralen“ Staaten – Pakistan, Indien, Indonesien? Wie lange sollen diese Truppen in Afghanistan bleiben?
Auf diese Fragen müsst Ihr schon genauere Antworten geben. Andernfalls bliebe von Eurem Aufruf nur die Botschaft „Hauptsache raus“, bliebe Euer so richtiges Wort von der „Verantwortbarkeit“ ein Lippenbekenntnis.
Die berechtigte und richtige Forderung nach einer militärischen Abzugsperspektive muss verknüpft sein mit einem politisch-militärischen Kurswechsel, mit einer Aufbauoffensive für realistische und ehrgeizige Ziele, mit Wille zum Erfolg. Ein Abzugsplan ohne Aufbau- und Erfolgsstrategie wäre verantwortungslos. Ich habe mir vorgenommen, dass wir in der Bundestagsfraktion in den nächsten Monaten Eckpunkte für eine Erfolgs- und Abzugsstrategie vorlegen.
Ich schlage Euch vor, dass Ihr Euren Aufruf an Menschen weiterleitet, die sich in Afghanistan für Aufbau, Friedensentwicklung und Menschenrechte einsetzen und sie um eine Stellungnahme vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen bittet. Ich könnte Euch viele nennen. Wir sollten unsere Afghanistanpolitik viel mehr im Dialog mit unseren vielen Freundinnen und Freunden in Afghanistan weiterentwickeln.
Mit solidarischen Grüßen
Euer Winni