*Zunächst ein paar Hintergrundinformationen zur Finanzmarktkrise:*
Ich war Mitglied der Bundestagsdelegation zur Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank, die am vergangenen Wochenende, genauer gesagt von Donnerstag bis Montag in Washington war. Neben der Jahrestagung selbst hatten wir Gelegenheit mit Vertreterinnen und Vertretern des Senats, des Repräsentantenhauses, der Zentralbank („Fed“) und der amerikanischen Bankenaufsicht (SEC) zu sprechen. Darüber hinaus gab es diverse Treffen mit deutschen Bankenvertreterinnen und -vertretern.
Wir haben tatsächlich die größte Finanzmarktkrise seit 80 Jahren und die allgemeine Einschätzung auf der Tagung war, dass eine globale Wirtschaftskrise nicht nur droht, sondern die Anfänge bereits sichtbar sind. Die Frage ist nur, wie stark diese Krise wird und wie lange sie dauert. In Deutschland befand sich die Konjunktur schon ohne Finanzmarktkrise in einem Abschwung, der also noch verstärkt wird.
Die USA hatten bekanntlichermaßen ein 700 Mrd. $-Rettungspaket beschlossen, mit dem so genannte „faule“ (toxic) asset aufgekauft werden sollten, um der Krise her zu werden. Dieses Paket hatte allerdings bisher keinen Effekt, die Börsenkurse sind nach wie vor weiter gesunken. Die Ursache liegt darin, dass zentrale und grundlegende Fragen der Umsetzung nicht geklärt waren. So konnten uns die VertreterInnen der oben genannten Organisationen z.B. weder sagen, welche Arten von Wertpapieren gekauft noch wie diese bewertet werden sollen. Das liegt daran, dass das Paket zwar dann im zweiten Versuch vom Parlament beschlossen wurde, die Umsetzung aber in den Händen des Finanzministeriums liegt – also genau das, was wir jetzt auch gemacht haben – und bis Ende letzter Woche aufgrund der noch nicht geklärten Fragen nicht umgesetzt war. In der letzten Woche gab es darüber hinaus eine Veränderung bei der Stoßrichtung des Pakets, und zwar deswegen, weil die Briten mittlerweile den Weg der Teilverstaatlichung von Banken gegangen sind. Das lief dort so, dass das Eigenkapital der 8 größten Banken vom Staat erhöht wurde und die entsprechenden Aktien in Staatsbesitz übergegangen sind. Bei einer Rede am Freitag morgen letzter Woche, deutete Bush das erste Mal an, dass auch die USA diesen Weg gehen würden und Re-Kapitalisierung/ Verstaatlichung war dann auch Bestandteil der gemeinsamen Erklärung der G7-Finanzminister am gleichen Tag.
Darüber hinaus wurde immer mehr deutlich, dass die Finanzmarktkrise dazu führt, dass die Banken sich so wenig trauen, dass der Geldmarkt, bei dem sich die Banken untereinander Geld leihen, nicht mehr funktioniert. Neben der Teilverstaatlichung/ Re-Kapitalisierung ist es deshalb sinnvoll, dass der Staat durch Bürgschaften die Rückzahlung von Geldmarktkrediten. Offensichtlich ist der Staat der einzige Akteur, der solche Finanztransaktionen Zeit glaubwürdig absichern kann.
Am vergangenen Wochenende wurde dann in der Bundesregierung offenbar fieberhaft daran gearbeitet, die gemeinsame Erklärung der G7-Minister sowie die Vereinbarungen auf dem EU-Treffen am Sonntag umzusetzen, was dann zur Vorlage eines Gesetzentwurfes der Regierung am Montag führte. Dieser Gesetzentwurf enthielt die genannten beiden Punkte. Allerdings war die genaue Umsetzung überhaupt nicht beschrieben, sondern soll durch Verordnungen des Bundesfinanzministeriums ohne Zustimmungspflicht des Bundestags erfolgen. Außerdem wimmelte der Gesetzentwurf von diversen Kann-Vorschriften, so ist nicht wie in Großbritannien und den USA geplant, das der Staat bestimmt, welche Banken (teil-)verstaatlicht werden sollen und welche Art von Beteiligung der Staat im Gegenzug dafür bekommt. Diese Mängel führten dann zu einer zunächst kritischen Bewertung des Entwurfs durch die Bundestagsfraktion.
In den letzten Tagen wurde dann unter Hochdruck von allen Fraktionen daran gearbeitet, Verbesserungen und Konkretisierungen zu erreichen. Das ist allerdings nur zum Teil gelungen, weswegen wir dann vor der schwierigen Entscheidung standen, wie wir abstimmen sollten. Auf der einen Seite stand, dass das Rettungspaket nicht nur notwendig ist, sondern sowohl in die richtige Richtung geht als auch den notwendigen Umfang hatte. Auf der anderen Seite standen die berechtigten Kritikpunkte an den fehlenden Konkretisierungen und vor allem der mangelnden Parlamentsbeteiligung bei der Konkretisierung. Letztlich haben wir uns in der Fraktion für ein geschlossenes Nein entschieden. Es gab allerdings einige, zu denen ich auch gehörte, die mit einem Nein Bauchschmerzen hatten oder sich sogar eine Enthaltung vorstellen konnten. Ich habe deshalb mit Gerhard Schick folgende persönliche Erklärung verfasst, um zu verdeutlichen, dass wir dem Paket grundsätzlich zustimmen, warum wir aber trotzdem dagegen stimmen. Diese Erklärung wurde von insgesamt von 16 Kolleginnen und Kollegen unterschrieben:
*/Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zu einem „Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsgesetz – FMStG):/*
Wir befinden uns in einer historischen Situation. Es gibt die größte Finanzmarktkrise seit 80 Jahren – und eine weltweite ökonomische Krise steht uns wahrscheinlich noch bevor. Diese außergewöhnliche Situation macht sowohl bei den Notenbanken als auch bei Parlament und Regierung außergewöhnliche staatliche Reaktionen notwendig, um eine weitere Zuspitzung der Krise zu verhindern, deren Konsequenzen kaum absehbar sind. Der vorliegende Gesetzentwurf ist nach Art der Maßnahmen sowie in deren Dimensionen eine solche außergewöhnliche Reaktion, eine Notmaßnahme in schwieriger Zeit. Sie abzulehnen bedarf auch dann, wenn eine Reihe von Fragen im Beratungsprozeß aufgrund der hohen zeitlichen Dringlichkeit offengeblieben sind und in vielen Einzelfragen Bedenken bestehen, einer besonderen Rechtfertigung.
Zur Verhinderung einer weiteren Verschärfung der Finanzkrise sind zur Zeit vor allem zwei Dinge notwendig: Erstens braucht es einen umfassenden Rettungsansatz, der eine glaubwürdige Strategie der Rettung einzelner Institute sowie eine Stabilisierung der Interbankenmärkte umfasst. Geeignet dazu sind insbesondere eine Zuführung von Kapital an Banken mit Liquiditäts- oder Solvenzschwierigkeiten in Form von Teilverstaatlichungen, wie sie z.B. in Großbritannien vorgenommen wurden, eine Garantie für Geldmarktkredite in Form von Bürgschaften sowie ggf. eine Übernahme so genannter „fauler“ (toxic) Assets durch den Staat. Alle drei Maßnahmen sind Bestandteile des Pakets der Bundesregierung. Zweitens muss dieser Rettungsansatz, wie wir seit Monaten fordern, europäisch und international koordiniert erfolgen. Auch dieses ist mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erfüllt, nachdem die Bundesregierung lange in völliger Fehleinschätzung der Situation auf einen nationalen Alleingang setzte. Das heißt: Vom Grundsatz her unterstützen wir die Bundesregierung bei ihrem Vorgehen.
Aus zwei Gründen stimmen wir aber gegen den Gesetzentwurf:
1) Im Gesetzentwurf stimmen zwar die Überschriften. Wesentliche Punkte sind aber nicht geregelt, z.B. in welcher Form und unter welchen Bedingungen die Rekapitalisierung stattfindet. Damit bleiben chaotische und ungeeignete Einzelmaßnahmen möglich, wie sie bisher das Krisenmanagement der Bundesregierung gekennzeichnet haben. Ohne die Klärung dieser und anderer Regeln ist die Wirkung des gesamten Rettungspakets aber gefährdet. Das ist auch ein wesentlicher Grund, warum das 700 Milliarden $ Paket der USA bisher noch keinen sichtbaren Effekt hatte. Insbesondere wäre eine klare Festlegung erforderlich, dass die Rekapitalisierung in erster Linie durch Teilverstaatlichung erfolgen und bei der Übernahme von Anteilen auch das Stimmrecht ausgeübt werden soll. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass eine Rettung langfristig erfolgreich ist und das Interesse der Allgemeinheit gewahrt wird, die nun in hohem Maße zur Übernahme von Risiken gezwungen ist. Im günstigsten Fall – und wenn die Regelungen entsprechend getroffen werden – ist es nämlich durchaus denkbar, dass der zu gründende Fonds am Ende nur ein geringes Defizit hat oder sogar einen Überschuss entsteht, weil die Anteile an den Banken sowie die Wertpapiere an Wert gewinnen und durch die Garantievergabe Einnahmen entstehen.
2) Der vorliegende Gesetzentwurf überträgt die Verantwortung genau denjenigen, die nicht nur im Vorfeld eine Vermeidung der Krise durch eine falsche Politik versäumt, sondern auch seit Ausbruch der Krise im Juni 2007 ein konsequentes und europaweit sowie international abgestimmtes Gegensteuern mit dem Hinweis auf eine geringe Betroffenheit Deutschlands abgelehnt haben. Erst jetzt, viel zu spät, erfolgt ein europäisch und international abgestimmtes Krisenmanagement. Erst jetzt, nachdem bereits eine Reihe von einzelnen Rettungsmaßnahmen in Deutschland umgesetzt wurde, gehen Bund und Länder zu einem systematischen Rettungsansatz über. Erst jetzt werden Änderungen in der Finanzaufsicht in Aussicht gestellt, die von uns seit Monaten gefordert werden. Die Klärung nahezu aller Umsetzungspunkte soll durch Verordnungen des Finanzministeriums und der Regierung geschehen, denen das Parlament nicht mehr zustimmen muss, so dass der Gesetzgeber nicht die Möglichkeit hat, darauf noch irgendeinen Einfluss zu nehmen. Aufgrund der genannten und weiterer Fehler der Bundesregierung im Krisenmanagement sowie einer mangelhaften und teilweise wohl falschen Information des Parlaments ist deutlich, dass die Voraussetzungen für einen derart weitreichenden Vertrauensvorschuss nicht gegeben sind. Diese Entmachtung des Parlaments zugunsten der schon bisher nicht überzeugenden Krisenmanager ist angesichts eines Volumens von nahezu 500 Milliarden € nicht hinnehmbar.
Bei aller Dringlichkeit der Maßnahmen: Wenn der Bundestag heute ablehnt, – das zeigt das Beispiel des US-Kongresses, der erst einer zweiten deutlich modifizierten Fassung des Rettungsplans zustimmte – bleibt Zeit, um die genannten und zahlreiche andere Fehler zu korrigieren und dann mit einer verbesserten deutschen Umsetzung an der international koordinierten Rettungsaktion teilzunehmen. Unsere Fraktion war dazu in den vergangenen Tagen bereit. Diese Bereitschaft endet nicht mit der heutigen Abstimmung.
Gerhard Schick, Wolfgang Strengmann-Kuhn, Alexander Bonde, Kerstin Andreae, Ute Koczy, Thilo Hoppe, Anna Lührmann, Priska Hinz, Krista Sager, Irmingard Schewe-Gerigk, Brigitte Pothmer, Biggi Bender, Harald Terpe, Josef Winkler, Ulrike Höfgen, Rainder Steenblock
Wolfgang Strengmann-Kuhn