Bericht: Ostermarsch 2024

Die Ostermärsche sind heute wichtiger denn je. Über das wachsende Selbstbewusstsein der Friedensbewegung gerade in Kriegszeiten berichtet auch die Tagesschau erstaunt. Welche Rolle unsere Partei in dieser Zeit einnehmen sollte, zeigt das Lob auf die Friedensfähigkeit unserer Mitstreiterin Ana Aigner vom Ostermarsch in Traunstein. Wir veröffentlichen ihre Rede im Sinne einer Einleitung für die Eindrücke von verschiedenen Ostermärschen mit Beteiligung von Grünen-Basismitgliedern.


Nicht kriegstüchtig, friedensfähig!

Mein Name ist Ana Aigner, und ich freue mich, dass ich heute für die Friedensinitiative sprechen darf. Ich beginne mit meiner Familie:

Mein sehr kriegstauglicher Großvater verlor im ersten Weltkrieg sein Bein. Mein Onkel verlor 1943 bei Sewastopol sein 24-jähriges Leben. Mein Vater verlor von 1944 bis 1949 in russischer Gefangenschaft fünf Jahre seiner Jugend. Ich bin jetzt 72 Jahre alt, und so lange hatte ich das Glück, im Frieden leben zu dürfen. Das hätte ich auch gern für meine Kinder und meine Enkel.

Aber jetzt ist das Ungeheuer wieder sehr nahe gerückt. Seit zwei Jahren tobt ein Krieg in der Ukraine, in dem unsere Regierung eine Seite mit Waffen unterstützt und die andere Seite leider eine Atommacht ist. Der Krieg eskaliert immer weiter, niemand weiß, wann unser Land hineingezogen wird. Die Welt-Untergangsuhr steht auf 90 Sekunden vor Mitternacht. Ich habe Angst.

Viele Jahre kam der Krieg nur in der Vergangenheit vor oder in der Ferne. Mir scheint, wir haben seinen Schrecken vergessen. Wie sonst könnte es sein, dass wir wieder von Kriegstüchtigkeit sprechen, von Heldentum, von Sieg. Davon, dass das Wort Pazifist*in wieder ein Schimpfwort geworden ist.

Ich möchte der Erinnerung nachhelfen.

Tod, Verstümmelung, Angst, Leid, Hunger, Not, Kälte, Flucht. Vertreibung.

Zerstörung von Städten, Infrastruktur, Kultur. Wohnungen, Krankenhäusern, Schulen, Universitäten, Kirchen, Museen, Denkmälern.

Krieg hinterlässt Traumata der Seele.

Bei den Soldaten, die in ständiger Todesangst leben und die töten müssen. Manche macht das grausam. Daher kommt es im Krieg zu Folterung, Vergewaltigung und Mord.

Und bei der Zivilbevölkerung, die das alles erleidet. Die Auswirkungen belasten noch die nächste und übernächste Generation. Sie zerstören die Gesellschaft und säen den Keim für Hass und für künftige Konflikte. Das betrifft alle Konfliktparteien.

Menschenrechte und Freiheit durch Kriegshandlungen verteidigen zu wollen, ist ein Widerspruch in sich. Der Krieg ist die schlimmste Menschenrechtsverletzung. Er setzt alle Menschenrechte außer Kraft. Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Das Recht auf Würde. Das Recht auf Wohnung. Das Recht auf Nahrung. Das Recht auf freie Meinungsäußerung. Das Recht auf Verweigerung des Kriegsdiensts. Im Krieg werden Soldaten zu Verbrauchsmaterial und Zivilistinnen zu Kollateralschäden. Auch das gilt für beide Seiten.

Der Krieg tötet alles Leben. Er hat einen großen Anteil an der Zerstörung des Planeten und befeuert die Klimakrise in einem ungeheuren Ausmaß. Krieg und Rüstung gehören zu den Hauptverursachern von Treibhausgasemissionen.

Allein der Kampfpanzer Leopard verbrennt hundert mal so viel Sprit wie ein SUV. Von Kampfjets und Kriegsschiffen gar nicht zu reden. Dazu kommen im Kriegsfall Brände, zerstörte, vergiftete und radioaktiv verseuchte Böden. Krieg ist Feuer.

Wenn wir bei der Rüstung das 2-Prozent-Ziel anstreben, geben wir das 2-Grad-Ziel bei der Begrenzung der Erd-Erhitzung auf.

Um mit Papst Franziskus zu sprechen: „Machen wir uns deutlich, dass der Krieg eine Niederlage für die Menschheit ist. Lasst uns verstehen, dass wir den Krieg besiegen müssen. Wir haben unsere Waffen vervollkommnet, unser Gewissen ist eingeschlafen. Wir haben ausgeklügelte Begründungen gefunden, um uns zu rechtfertigen. Als wäre es etwas Normales, fahren wir fort, Zerstörung, Schmerz und Tod zu säen. Gewalt und Krieg sprechen die Sprache des Todes.“

Deshalb will ich nicht kriegstüchtig sein. Was aber kann uns helfen, friedensfähig zu werden? Was kann die beiden Kriege, die uns grade täglich die Nachrichten füllen, endlich beenden? Und die mehr als 200 weiteren bewaffneten Konflikte auf der Welt?

Waffen nicht. Sie sind das Problem, nicht die Lösung. Statt den Waffen zu vertrauen, vertraue ich lieber den Menschen.

Mehr als den Militärs vertraue ich den Diplomat*innen. Diplomatie ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Die meisten Kriege werden durch Verhandlungen beendet. Dabei ist eine neutrale Vermittlerin nötig, der beide Seiten vertrauen. In dieser Rolle hätte ich meine Regierung gern gesehen.

Zweitens vertraue ich dem Recht. Dem Völkerrecht, der Charta der Vereinen Nationen, dem Internationalen Gerichtshof. Der Krieg zwischen Russland und Ukraine und ebenso der Krieg zwischen Israel und Gaza erfüllen uns mit Empörung. Wir suchen nach dem Schuldigen und geraten darüber selbst in Streit. Ich bin froh, dass im Zusammenhang mit beiden Konflikten Anklage vor dem Internationalen Gwerichtshof erhoben wurde. Ich werde die Urteile respektieren und fordere ich auch meine Regierung auf, das zu tun und das internationale Recht und den Internationalen Gerichtshof in jeder Hinsicht zu unterstützen und zu stärken.

Für ein starkes Völkerrecht ist es nötig, dass sich alle Staaten daran halten, auch Russland, auch die USA und auch Europa. Es kann nur ein Völkerrecht für alle geben.

Um zum dritten Mittel der Friedensfähigkeit zu kommen, zitiere ich noch einmal Papst Franziskus: „Der Stärkste ist der, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt, der den Mut hat, die weiße Fahne zu hissen und zu verhandeln.“

Damit grüße ich die Friedensfähigen aller Länder. Die mutigen Menschen, die in Frieden leben wollen. Die sich für den Frieden engagieren, die demonstrieren. Die sich Panzern entgegenstellen stellen und Straßenschilder verdrehen. Die die Methoden Gandhis und Martin Luther Kings anwenden und weiterentwickeln. Die Kriegsdienstverweigerer und die Fahnenflüchtigen. Die, die NEIN sagen. Die wahren HeldInnen. Das Schlusswort gebe ich an solche Helden aus vier verschiedenen Ländern:

Yurii Sheliazhenko, Kriegsdienstverweigerer und Friedensaktivist aus der Ukraine: „Nur tiefgreifende globale Veränderungen werden den Krieg beenden, und ich glaube, dass die weltweite Friedensbewegung diese Veränderungen auch bewirken kann.“

Oleg Bodrov, Friedensaktivist aus Russland: „Meiner Meinung nach ist es notwendig, dass die neue Generation der Bürger Russlands und der Ukraine sich weigert, sich gegenseitig zu töten.“

Osama Ellewat, Exsoldat und Friedensaktivist aus Palästina: „Krieg ist kein Schicksal. Wir können einen anderen Weg wählen.“

Rotem Levin, Exsoldat und Friedensaktivist aus Israel: „Das System will, dass wir Feinde sind. Aber wir haben uns entschieden, Freunde zu sein.“

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit!

(Ana Aigner, Traunstein 30.3.2024)


Hamburg

 

(Fotos: Reinhard Schwandt)

In Hamburg demonstrierten am Ostermontag rund 2.000 Menschen für Abrüstung und den Stopp von Waffenexporten. Auch der NDR berichtete darüber. Mit vielen sorgfältig gestalteten Transparenten von Stadtteil-Initiativen, Jugendgruppen, Gewerkschaften und Parteien war der Demo-Zug so kreativ und offensiv wie lange nicht. Auch ein sehr lebendiger Palästina-solidarischer Block war Teil der Demonstration. Wir waren mit einer Hand voll pazifistischer Grüner dabei. Unsere Grünen-Plakate aus den 1980ern kombiniert mit Slogans wie „Zivilcourage statt Staatsräson“, „Frieden ist Freiheit“ und „Gleichheit ist Freiheit“ regten Diskussionen an.

Die Überraschung und Freude vieler früherer Grünen-Sympathisanten war groß, dass diese Positionen bei den Grünen noch und wieder neu vertreten werden. Die Gegendemonstration mit Deutschland-, NATO- und Ukraine-Fahnen war mit wenigen Dutzend Personen sehr klein, machte aber mit der Warnung vor einem russischen Angriff auf Deutschland deutlich, gegen welche Politik mit der Angst wir den Pazifismus heute zur Geltung bringen müssen.


Heidelberg

(Foto Mauerbild: Friedbert Boxberger)

Mitglieder des Friedensbündnis Heidelberg gedachten am Ostersamstag all der Kriegsopfer, die der „Wertewesten“ auf dem Gewissen hat. Demo-Schilder in Form von Gedenktafeln erinnerten an Afghanistan, Syrien, Irak, Libyen und weitere Länder, in denen „militärische Operationen“ Tod, Leid und oft auch desolate Regierungen hinterlassen haben.

Die Tafeln bildeten eine stumme und eindringliche Klage gegenüber der lauten und allgegenwärtigen Kriegspropaganda, die mit der haltlosen Leugnung von Verantwortung, der Anmaßung moralischer Überlegenheit und der Dämonisierung der jeweiligen Gegner einhergeht.

Wie auch gerade jetzt bei der mit bedingungsloser deutscher Unterstützung betriebenen Vernichtung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen, die als „humanitäre Katastrophe“ bezeichnet wird, als wäre sie ein Naturereignis.

Die meisten von Krieg und Flucht Betroffenen stammen aus islamischen Ländern, umso erfreulicher war es, dass sich auch viele Musliminnen und Muslime am diesjährigen Ostermarsch beteiligten.

Ein Imam sprach sich gegen Gewalt und Hass und für Frieden aus und ein Palästinenser berichtete von seiner Heimat, dem Westjordanland: Checkpoints, illegale Siedlungen, Besatzung, hunderte getöteter Palästinenser und tausende Gefangene allein in den vergangenen Monaten. Er fragte: „Wie können wir Frieden zwischen Palästina und Israel realisieren, wenn Ungerechtigkeit herrscht?“

Eine „Grüne Linke“ hatte den Aufruf zum Heidelberger Ostermarsch namentlich gezeichnet und den Rucksack geschmückt mit einem palästinensischen Mauerbild und dem Cover der damals noch kritischen NATO-Broschüre der Grünen von Juli 1988 mit dem Titel „Militärblock West – To be or NATO be“, das Anlass zu verwunderten Nachfragen gab.

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