Hiroshima und Nagasaki – ungeahndete Kriegsverbrechen

Karl-W. Koch, Simon Lissner (6.8.2022)

Die beiden bislang weltweit größten einzelnen Terroranschläge fanden am 6. und am 9. August 1945 in Japan statt, durchgeführt von amerikanischen Soldaten, angeordnet vom US-Präsidenten Harry S. Truman, Nachfolger des am 12. April 1945 verstorbenen Franklin D. Roosevelt. Die geschätzte Zahlen an Todesopfer und Verletzten der Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki im August 1945 waren in der Summe ca. 200.000 getötete Japaner*innen  und ca. 130.000 Verletzte.[1] Die beiden Städte waren dem Erdboden gleich gemacht. Anders als bei den – völlig zu Recht – durchgeführten Kriegsverbrecherprozessen in Deutschland musste sich bis heute dafür niemand verantworten.

Tod den Unmenschen?

Eine Rolle spielte dabei die Sicht der Amerikaner auf Japan: Auf die „Dehumanisierung“ der Japaner während des Krieges hat schon 1992 James Weingartner[2] hingewiesen. Ihre fanatische Kampfesweise und ihr brutaler Umgang mit Gefangenen machten sie in den Augen der US-Soldaten zu Unmenschen. Amerikanische Soldaten schändeten vielfach die Leichen gefallener Japaner oder verwendeten abgeschlagene Köpfe als Trophäen. Diese Entmenschlichung machte offenbar auch vor dem Weißen Haus nicht halt.[3] Truman teilte diese Einschätzung,  behauptete jedoch immer wieder, sein Einsatzbefehl habe sich ausschließlich auf rein militärische Ziele bezogen: „Diese Waffe wird gegen Japan eingesetzt werden […], so dass militärische Objekte, Soldaten und Seeleute die Ziele sind, jedoch nicht Frauen und Kinder. Auch wenn die Japaner Wilde sind – rücksichtslos, gnadenlos und fanatisch -, so dürfen wir als Führer der Welt für die gemeinsame Wohlfahrt diese schreckliche Bombe weder auf die alte noch auf die neue Hauptstadt abwerfen.“ Und in seinen  Memoiren schrieb er erneut: „Als ich meine diesbezüglichen Weisungen erteilte, machte ich es zur Bedingung, dass die Bombe als Kriegsmittel im Rahmen der Landkriegsordnung einzusetzen sei.“[4] Die Opfer waren jedoch fast ausschließlich Zivilist*innen. Aber selbst der Friedensnobelpreisträger Obama hatte sich bei seinem Besuch in Hiroshima 2016 nicht – wie teilweise erwartet – für den Einsatz entschuldigt.[5]

Kann man historisch über den „Nutzen“ der Bomben noch streiten?

Laut  Truman war die Absicht das Ende des Zweiten Weltkriegs zu beschleunigen.  Eine Landinvasion amerikanischer Truppen, mit womöglich langen und verlustreichen Schlachten, sollte vermieden werden. Zuvor war bereits in der Nacht vom 9. auf 10. März 1945 Tokio flächendeckend angegriffen worden. Dabei  verloren schätzungsweise 100.000 Menschen ihr Leben. Bei der Bombardierung von Japans Hauptinseln wurden weitgehend die bis dahin noch übrig gebliebene Infrastruktur der Kriegs- und Rüstungsindustrie zerstört.  Bereits nach der – tatsächlich für die USA sehr verlustreichen – von Japan verlorenen Schlacht um Okinawa war das Land vollkommen eingekreist, seine Flotte war zerstört, die Luftabwehr gegen die US- Bomber machtlos.  Schon 1950, noch zu Trumans Amtszeit also,  bestätigte öffentlich Trumans ehemals engster Mitarbeiter, Admiral William D. Leahy: „Meiner Meinung nach war der Gebrauch dieser bestialischen Waffe in Hiroshima und Nagasaki keine besondere Unterstützung im Krieg gegen Japan.“[6]

Der Einsatz der 2., also der Nagasaki-Bombe war zudem völlig überflüssig: Japans Regierung und Kaiser hatten schlicht nicht die technischen und organisatorischen Möglichkeiten, die Kapitulation innerhalb der drei Tage zu vermitteln.

Test am „Lebenden Objekt“

Wie die ZEIT bereits 2009 recherchierte, war ein Aspekt der Bombe auf Hiroshima für die US-Regierung, das „best-mögliche Ergebnis“ beim Einsatz einer Atombombe zu erzielen, also die Anzahl der Opfer zu „maximieren“: [Zitat ZEIT] „Kommandant Paul Tibbets flog ein Tarnmanöver über Hiroshima und warf die Bombe erst im zweiten Anflug.“ Hiroshi Hasegawa hat schriftliche Berichte von militärischen Beobachtern am Boden ausgewertet und mit Überlebenden gesprochen, die bestätigen: [Zitat ZEIT] „Der B-29-Bomber flog Hiroshima nicht, wie in seiner offiziellen „Field Order“ angegeben, direkt an. Die … Enola Gay umkreiste Hiroshima stattdessen zunächst einige Male, woraufhin in der Stadt Alarm ausgelöst wurde. Dann flog sie weiter nach Osten und kreiste über Harimanada, nahe der Stadt Okayama. Erst danach flog sie über das japanische Binnenmeer zurück nach Hiroshima, um gegen 8.15 Uhr die Bombe … abzuwerfen. Dieses Tarnmanöver habe dafür gesorgt, meint Hasegawa, dass die Menschen in Hiroshima nicht in den Schutzräumen saßen, sondern völlig überrascht wurden. Das habe die Zahl der Opfer in Hiroshima stark erhöht … Hasegawa glaubt, dass Tibbets dieses Tarnmanöver nicht eigenmächtig oder spontan flog, sondern in vollem Einklang mit den Forderungen seiner Vorgesetzten handelte: Die damalige US-Militärführung und auch Präsident Harry Truman hätten den Atombombenabwurf wie ein „Experiment“ durchgeführt …[7]

Woran scheiterte die Kapitulation?

Dabei ist heute – geschichtlich belegbar – völlig klar, dass beide Einsätze unnötig und überflüssig waren: Japan hatte den Krieg verloren und verhandelte bereits um eine Kapitulation. Einziger wesentlicher Streitpunkt bei der Kapitulation war die Frage des Fortbestehen des Kaiserreiches: „Die Potsdamer Deklaration stellte Japan ein Ultimatum. Es wurde die Entwaffnung der japanischen Armee, die Besatzung des Landes und die Rückgabe aller Territorien, die Japan seit dem ersten Weltkrieg erobert hatte, festgesetzt. Der Status des Kaisers wurde nicht garantiert.“ [8] Entgegen dem ausdrücklichen Rat führender amerikanischer Japankenner und Offiziere enthielt die am 27. Juli an Japan gerichtete Kapitulationsaufforderung der Alliierten also keinen Hinweis auf die Zukunft des Kaiserhauses.[9]

Als erster bekannter Historiker stellte Gar Alperovitz in den 1960er Jahren die militärische Begründung infrage. Schon vor dem Einsatz hat der US-Oberbefehlshaber im bereits besetzten Deutschland, Dwight D. Eisenhower , seine Abneigung gegen den Einsatz der neuen Bombe geäußert, wie er später schrieb: „Japan suchte zu diesem Zeitpunkt bereits einen Weg zu kapitulieren – mit einem möglichst geringen Gesichtsverlust.[10] Bird und drei andere auf Atomfragen spezialisierte Historiker von verschiedenen US-Universitäten bestätigen in ihren Forschungen zu dem Thema, dass die Atombomben weder notwendig und gerechtfertigt waren.[11]

Die Fortführung des Kaiserreiches sah Japan als unverhandelbar an (und bekam dies letztlich tatsächlich zugestanden). Das Bestehen der Alliierten auf der bedingungslosen Kapitulation verhinderte so ein baldiges Ende des Pazifikkrieges.

Was waren die wirklichen Ziele der Bombenabwürfe?

  1. Das wirkliche Ziel sei gewesen, so die US-Historiker Alperovitz und Coulmas, die Sowjetunion vom weiteren Vorrücken in Fernost abzuschrecken und ihr die Überlegenheit der USA zu demonstrieren. Dem schon potentiell als kommender Gegner angesehenen Verbündeten UdSSR sollten also die Möglichkeiten der USA im Fall einer militärischen Konfrontation aufgezeigt werden durch den Einsatz der neuen Waffe. Das Gegenteil war allerdings der Fall: Gerade durch Hiroshima wurde das UdSSR-Atomprogramm unter Stalin schlagartig wieder hochgefahren.[13]
  2. Im Fall Nagasaki sollte unbedingt auch die zweite – völlig anders konstruierte – Bombe[14] im Einsatz getestet werden.[15]
  3. Rache für Pearl Harbour[16]

Fazit

Über Hiroshima und Nagasaki zu sprechen, ohne die Hintergründe und vor allem die Verantwortlichen zu benennen, die den Einsatz der Atombombe befohlen haben, kommt einer Verhöhnung der Opfer gleich, zumal deren Kinder und Kindeskinder bis heute an den nuklearen Spätfolgen dieser barbarischen Kriegsführung, u.a. auch an der Ausgrenzung als „Hibakusha“[17] leiden.

Weitere Quellen:

[1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1086264/umfrage/geschaetzte-zivile-todesopfer-und-verletzte-in-hiroshima-und-nagasaki/

[2] https://en.wikipedia.org/wiki/James_J._Weingartner

[3] https://www.zeit.de/online/2009/35/atombombe-hiroshima/komplettansicht

[4] https://www.heise.de/tp/features/Die-US-Legende-ueber-Hiroshima-und-Nagasaki-3401920.html

[5] https://www.tagesspiegel.de/politik/75-jahre-nach-hiroshima-entschuldigen-werden-sich-die-usa-fuer-den-atombombenabwurf-nicht/26068526.html

[6] https://www.welt.de/print-welt/article686023/Warum-vergluehte-Hiroshima.html

[7] https://www.zeit.de/online/2009/35/atombombe-hiroshima/komplettansicht

[8] https://www.dw.com/de/japans-versp%C3%A4tete-kapitulation/a-18644860

[9] https://www.sueddeutsche.de/politik/hiroshima-die-kapitulation-der-moral-1.915169

[10] https://www.zeit.de/online/2009/35/atombombe-hiroshima/komplettansicht

[11] https://taz.de/Die-USA-75-Jahre-nach-Hiroshima/!5705679/

[13] https://www.mdr.de/geschichte/ddr/kalter-krieg/sowjetunion-russland-atom-bomben-waffen-udssr-100.html

[14] Hiroshima-Bombe: Spaltmaterial Uran, Nagasaki: Plutonium

[15] https://www.geo.de/wissen/23157-rtkl-atombombenabwurf-vor-75-jahren-angriff-auf-nagasaki-als-die-fat-man-zehntausenden

[16] https://www.heise.de/tp/features/Die-US-Legende-ueber-Hiroshima-und-Nagasaki-3401920.html

[17] https://de.wikipedia.org/wiki/Hibakusha

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1 Kommentar

    • Reiner Hennig auf 10. August 2022 bei 20:41
    • Antworten

    Danke für diesen interessanten Hintergrundbericht.
    Er zeigt, wie der Krieg auch in Demokratien zu verbrecherischen Handlungen führt, die auch Jahrzehnte später mehrheitlich nicht gebührend aufgearbeitet werden.
    Von den Internierungen japanischstämmiger (und in geringerem Umfange deutsch- und italienischstämmiger) US-Bürger auf amerikanischem Boden abgesehen.
    Die Entmenschlichung des Feindes, in diesem Fall der Japaner, lässt auch die schlimmsten Maßnahmen als zwingend notwendig und gerechtfertigt erscheinen. Und demokratische Institutionen, und an deren Vorhandensein kann im Falle der USA niemand ernsthaft zweifeln, sind nicht per se Garanten für Aufklärung und Aufarbeitung staatlicher Verbrechen.
    Wichtiger noch ist, Lehren für das Hier und Jetzt zu ziehen. Noch ist die allgemeine Mehrheitsauffassung im aktuellen Ukraine-Krieg, dass „die Russinnen und Russen“ es nicht anders verdient haben, wenn sie unter den Sanktionen leiden, solange sie sich nicht gegen Putin erheben.
    Wer die Geschichte kennt, weiß: die Deutschen haben sich leider selbst dann nicht gegen Hitler erhoben, als schon sehenden Auges Deutschland in Trümmern, in Schutt und Asche lag….
    Was also, wenn wir Russland nicht in die Knie zwingen mit den bisherigen Sanktionen und die russische Bevölkerung nicht gegen den Verbrecher Putin und seine Clique aufbegehrt, sondern mit dem alltäglichen Überleben beschäftigt ist?
    Wollen wir zu noch härteren, schneller spürbaren, vermeintlich „effektiveren“ Maßnahmen greifen, von denen sich Russland „todsicher“ nicht mehr erholt?
    Es kann einem wahrlich angst und bange werden.

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