Zukunft statt Aufrüstung: FAQ

Unter dem Eindruck des völkerrechtswidrigen unmenschlichen Angriffs der russischen Armee unter Präsident Putin auf die Ukraine sollen im Moment des Schocks eine weitreichende Militarisierung Deutschlands und massive öffentliche Mittel für die Rüstungsindustrie durchgesetzt werden.
Der Vorschlag von Olaf Scholz und Christian Lindner, ein „Sondervermögen Bundeswehr“ von 100 Milliarden Euro grundgesetzlich zu verankern und den Verteidigungshaushalt auf über 2% der Wirtschaftsleistung zu erhöhen, wäre eine Zäsur in der Nachkriegsgeschichte.
Die Unterstützung dieses Vorhabens durch Bündnis 90 / Die Grünen schien bis vor kurzem undenkbar. Es widerspricht eklatant unseren Parteigrundsätzen und unserem aktuellen Wahlprogramm, das sich klar gegen eine Aufrüstung ausspricht („Abrüstung und Rüstungskontrolle bedeuten global mehr Sicherheit für alle“). Weil die angekündigte erhebliche Aufrüstung klar von unserer bisherigen Parteilinie abweicht, verlangen wir eine Urabstimmung aller Mitglieder über diese Frage.
Hier sind einige unserer Gründe gesammelt.

  1. Zusammenarbeit für nachhaltige Entwicklung ist im Interesse aller!
  2. Zivile Sicherheit
  3. Kein neuer Burgfrieden!
  4. Warum das NATO-2%-Ziel versagt
  5. Kampf um Demokratie und Freiheit – oder Geopolitik?

Zusammenarbeit für nachhaltige Entwicklung ist im Interesse aller!

Der verschwenderische Umgang mit den Ressourcen dieser Erde befördert Konflikte um Nahrung, Wasser und Rohstoffe und heizt das Klima an.

Verschiedene Szenarien sind denkbar:

  1. Mit dem Drohpotential ihres Waffenarsenals – oder gar mit dessen Einsatz – setzen mächtige Nationen allein oder im Bündnis mit anderen ihre Interessen durch. Konflikte werden verstärkt, Wettrüsten geht auf Kosten wichtiger Zukunftsaufgaben, das Sicherheitsversprechen ist trügerisch. Welche Lebenschancen ein Mensch hat, hängt stark davon ab, wo er geboren wird.
  2. Menschen auf der ganzen Welt möchten in Frieden und Würde leben. Faire Handelsbeziehungen und Lieferketten tragen global zur Einhaltung der Menschenrechte und zu mehr Gerechtigkeit bei. An der Lösung von Konflikten beteiligen sich die Beteiligten auf Augenhöhe. Der Entstehung von Krisen und Konflikten wird aktiv vorgebeugt.

In der „Einen Welt“ hängt alles mit allem zusammen. Sicherheit und Lebensqualität lassen sich nicht abgeschottet wie auf einer Insel realisieren. Besser investiert als in massive Aufrüstung wären die Milliarden weltweit in nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit, die Bekämpfung von Armut und Hunger und die Transformation zu einer klimaverträglichen Gesellschaft.

Dafür gibt es vielversprechende Ansätze, wie das Netzwerk „Lösungen für eine nachhaltige Entwicklung“ der Vereinten Nationen.[1] Den Weg einer weltweiten Transformation zu einer klimaverträglichen Gesellschaft ohne Nutzung fossiler Brennstoffe und Atomenergie beschreibt das Gutachten „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“.[2] Der „Paritätische“ hat Grundsätze[3] einer umfassenden Entwicklungszusammenarbeit entwickelt, die solidarisch, inklusiv, emanzipatorisch ist. Viele weitere Beispiele lassen sich leicht finden.

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Sustainable_Development_Solutions_Network, [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Welt_im_Wandel_%E2%80%93_Gesellschaftsvertrag_f%C3%BCr_eine_Gro%C3%9Fe_Transformation, [3] https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Schwerpunkte/Internationale_Kooperation/Positionierung_Entwicklungszusammenarbeit_Paritaetischer_Gesamtverband.pdf

 


Zivile Sicherheit

Wir treten der Verengung der sicherheitspolitischen Debatte auf militärische Sicherheit entschieden entgegen. Erfahrungen militärischer Auslandseinsätze, wie zuletzt in Afghanistan und Mali, zeigen: Der Glaube an die Wirksamkeit militärischer Gewalt ist ein Mythos.

Bei der Klimakrise ist weitgehend klar, welche Rolle die Lebensweise, gerade in den westlichen Industriestaaten, spielt. Eine Erklärung der Ursache von Krisen und Konflikten in Richtung eigener statt externer Verantwortung ist ein Schlüssel zu ihrer Lösung. Es gilt, Freund-Feind-Denkmuster und den Fokus auf die Wahrung nur eigener Interessen zu überwinden.

Als Forum für Dialoge und friedliche Lösungen im Fall von Konflikten muss die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) deutlich gestärkt werden.

Die Initiative ‚Sicherheit neu denken‘ (SND) zeigt Wege auf, wie Deutschland zu einem Übergang von einer militärischen zu einer zivilen Sicherheitspolitik bis zum Jahr 2040 beitragen kann. Das Szenario wurde im Auftrag der Evangelischen Landeskirche in Baden von einer Arbeitsgruppe mit Vertreter*innen verschiedener bundesweiter Friedensorganisationen entworfen.

Dass sich die militärische Sicherheitspolitik in einer Sackgasse befindet, wurde spätestens bei der diesjährigen Münchener Sicherheitskonferenz deutlich. Mit Bezug auf deren düsteren Bericht empfiehlt SND einen Perspektivwechsel.

Wissenschaftliche Untersuchungen untermauern die Wirksamkeit ziviler Sicherheitspolitik. Zum Beispiel weist die globale Studie „Wie Frieden gewonnen wird – von zivilem Widerstand zu dauerhafter Demokratie“ zivilen Widerstand als Schlüsselfaktor bei 50 von 67 Transformationen autoritärer Staaten zwischen 1972 und 2005 nach.

In unserem Wahlprogramm (S. 245 ff.) finden sich mit konkreten Maßnahmen unterlegte Ziele, die es wert sind, weiterverfolgt zu werden:

  • Deutschland soll bei der politischen Entschärfung von Konflikten und in der zivilen Konfliktbearbeitung auf globaler Ebene eine treibende Kraft werden.
  • Unterstützung lokaler zivilgesellschaftlicher Konzepte und Akteur*innen in der Friedensförderung, Ausbau des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) und Stärkung des Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) sowie die Friedens- und Konfliktforschung
  • Die Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ wollen wir um einen Aufbauplan mit zivilen Planzielen ergänzen und den Auswärtigen Dienst für dessen heutige Aufgaben fit machen.
  • Die personellen und finanziellen Mittel für zivile Krisenprävention sollten gezielt erhöht und durch eine Reform des Zuwendungsrechts langfristig planbarer werden.
  • Wir wollen eine permanente und schnell einsatzbereite Reserve an EU-Mediator*innen und Expert*innen für Konfliktverhütung, Friedenskonsolidierung und
    Mediation aufbauen.
  • Wir wollen mehr ressortgemeinsame Analysen, Krisenfrüherkennung und Projektplanung, eine engere Abstimmung mit internationalen Partner*innen sowie einen angemessen ausgestatteten Fonds „Krisenprävention, Konfliktbewältigung und Friedensförderung“.

 

Weiterhin ist es wichtig, widerstandsfähige Strukturen schaffen, zum Beispiel durch

  • beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien
  • faire Handelsbeziehungen und Lieferketten
  • Stärkung der Demokratie
  • sichere und widerstandsfähige IT- Infrastrukturen

Anlässlich der Entscheidung der Bundesregierung, mitten im Ukrainekrieg ausgerechnet den Etat für das Entwicklungsministerium zu kürzen, appellierte Brot für die Welt an den deutschen Bundestag, mehr Mittel für Entwicklungsfinanzierung zur Verfügung zu stellen, auch um die Agrar- und Ernährungssysteme durch Umstellung auf Agrarökologie krisenfester zu machen.

Nicht zu vergessen: Wenn wir langfristig eine Politik des Ausgleichs und der Verständigung mit Russland anstreben, dürfen wir die Brücken in die Zivilgesellschaft und Kontakte in Forschung und Kultur nicht abbrechen.

 


Kein neuer Burgfrieden!

Der Erste und der Zweite Weltkrieg waren erhebliche Zivilisationsbrüche, die von deutschem Boden
ausgingen. Mit dem Gaskrieg und einem starken Ausgreifen der Kriegshandlungen auf die Zivilbevölkerung
stellte der Erste Weltkrieg eine bis dato ungekannte Entgrenzung dar. [1] Diese wurde im Zweiten Weltkrieg
noch übertroffen, indem allein in der Sowjetunion, wo die Wehrmacht einen besonders brutalen
Vernichtungsfeldzug gegen die Zivilbevölkerung führte, über 27 Millionen Menschen ums Leben gebracht
wurden.[2] Beide Kriege wurden durch ausgeprägte Feindbild-Propaganda vorbereitet und gerechtfertigt. Der Sieg der „deutschen Kultur“ über die zaristische[3] bzw. „jüdisch-bolschewistische“ Barbarei4 waren jeweils zentrale Elemente des dafür konstruierten Gut-Böse-Schemas.

Die NS-Führung hatte in den 1930ern mit millionenfachem Mord und Folter in den Konzentrationslagern
die Opposition weitestgehend ausgeschaltet, um die Bevölkerung zur Mitwirkung am faschistischen
Angriffs- und Vernichtungskrieg zu bewegen.[5] Viele bedeutende Intellektuelle und Künstler waren 1939 als Kriegsgegner bereits ausgewandert. Anders war die Lage 1914 im Vorfeld des Ersten Weltkriegs: Damals
war es dem deutschen Kaiser gelungen, die Bevölkerung durch Konsensstiftung in einem „Burgfrieden“
hinter seiner Kriegspolitik zu vereinen.[6] Zwar war das repressive Klima der Kaiserzeit gegenüber
oppositionellen – liberalen, pazifistischen, sozialistischen – Kräften alles andere als harmlos. Eine
Massenrepression wie später durch Gestapo und SS hatte Kaiser Wilhelm jedoch nicht nötig, denn mit der
Führungsebene der Sozialdemokratie setzte sich die bedeutendste Oppositionskraft ebenfalls öffentlich für
die Ermöglichung des Krieges ein – wohl wissend, dass es überwiegend ihre eigene Wählerschaft war, die
in den Schützengräben dem Vormachtstreben der Eliten des Kaiserreichs geopfert würde.

Einzig Karl Liebknecht stimmte im Dezember 1914 gegen die berüchtigten Kriegskredite.[7] Sein Beispiel
beweist, dass die Unterwerfung der fortschrittlichen gesellschaftlichen Kräfte unter den preußischen
Militarismus und Nationalismus nicht alternativlos war, sondern Aufklärung und Widerstand möglich: gegen
Androhung von Repression; gegen Verwirrung durch den Aufruf zur Landesverteidigung; gegen
opportunistisches Streben nach einer Verbesserung der Lage der deutschen Bevölkerung auf Kosten im
Krieg unterjochter Nachbarländer.

Auch heute besteht Anlass zum Misstrauen, wenn ein massives Förderpaket für die deutsche
Rüstungsindustrie unter Verweis auf eine russische Gefahr Hals über Kopf im Grundgesetz verankert werden soll. Ein neuer Burgfrieden steht der Aufklärung über Konfliktursachen, Akteure und Friedensursachen entgegen und wir als Grüne wollen uns dafür nicht hergeben!

„Merkwürdigerweise sind die Psychosen, in denen die Massen einzelnen zu schaden bereit sind, nicht viel
häufiger als die in denen sie sich selber schaden, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich denke an
Eroberungskriege. Meine Abgeneigtheit würde mich natürlich nicht davor bewahren, mitmarschieren zu
müssen. Aber, anders als alle andern, sähe ich dem Mann, auf den ich mit dem Messer auf dem Gewehr
zulaufe, leider keinen Feind, sondern einen armen Teufel. Ich würde nicht imstande sein, zu glauben, er
habe vor, mir irgendwelche Erzgruben oder Kohlenbergwerke zu rauben, schon weil ich selber keine besitze.
[…] Ich würde an der Selbstlosigkeit derer zweifeln, die an all den Kriegsgeräten verdienen und an dem
Verantwortungsgefühl der Staatsmänner und Generale, nur weil sie selbst, dazu benötigt, Schlächtereien
zu organisieren, nicht die Zeit und Muße finden, sich daran persönlich zu beteiligen…“ Bertolt Brecht: Eine
Befürchtung (aus den 1940ern)

[1] Leonhard, Jörn: Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs, München 2014.
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Tote_des_Zweiten_Weltkrieges, abgerufen am 4.4.2022.
[3] https://cdn.prod.www.spiegel.de/images/3e422b00-0001-0004-0000-
000000735840_w1528_r1.472620050547599_fpx33.93_fpy49.96.jpg;
https://www.dhm.de/fileadmin/medien/lemo/images/96003685.jpg;
https://www.dhm.de/fileadmin/medien/lemo/images/20051682.jpg; https://berlin.museum-digital.de/singleimage?imagenr=53433
[4] https://www.dhm.de/lemo/bestand/objekt/sieg-oder-bolschewismus-1943.html
[5] Dazu auch Weisenborn, Günther: Der lautlose Aufstand. Bericht über die Widerstandsbewegung des deutschen Volkes 1933-1945,
Hamburg 1953.
[6] https://www.dhm.de/lemo/kapitel/erster-weltkrieg/innenpolitik/burgfrieden.html, abgerufen am 4.4.2022.
[7] https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/arbeiterbewegung-vorm-ersten-weltkrieg-karl-liebknecht-bleibt-der-abstimmungfern/10222014-3.html, abgerufen am 4.4.2022

 


Warum das NATO-2%-Ziel versagt

Das Nato 2%-Ziel war eine politische Zielgröße, die jedoch als Messverfahren für den Leistungsvergleich weitgehend versagt. Zum einen, weil jedes Nato-Mitglied eine andere Berechnungsgrundlage benutzt, zum anderen, weil die aufgewendeten finanziellen Ressourcen gerade keine Aussage über Effizienz, Kohärenz oder eine angemessene verteidigungspolitische Ausrichtung zulassen.

Unter strukturellen Defiziten und fehlender strategischer Priorisierung fordert das 2%-Ziel de facto dazu auf, Steuergelder zu verschwenden. Besser wäre ein Indikator, der die Effizienz im Finanzmitteleinsatz erkennbar macht, z.B. die Anzahl von vollausgestatteten, einsatz- und durchhaltefähigen Einheiten einschließlich unterstützender Kräfte pro vergleichbarem Budgetanteil. (https://www.gruene-linke.de/wp-content/uploads/2022/03/Umsetzung_Budgetzuwachs_EP14-1.pdf)

Zur Entstehungsgeschichte und rechtlichen Bindungswirkung der 2%-Zielvorgabe der NATO für den Anteil der nationalen Verteidigungsausgaben am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt hat der wissenschaftliche Dienst des Bundestages 2017 eine Kurzinformation herausgegeben. (https://www.bundestag.de/resource/blob/505886/e86b5eecc480c0415bff0d131f99789f/wd-2-034-17-pdf-data.pdf)

Darin heißt es u.a.:

Eine erste Festschreibung dieser 2%-Zielvorgabe in einem NATO-Dokument erfolgte mit der Ministerial Guidance vom 7. Juni 2006.

Auf dem NATO-Gipfel 2002 in Prag wurden die baltischen Staaten, Bulgarien, Rumänien und die Slowakei eingeladen, Mitglieder der Allianz zu werden. Eine Bedingung war es, „genügend Ressourcen“ in die Verteidigung zu investieren. Der Richtwert für jeden Aspiranten lautete 2 % seines BIP. Der Gerechtigkeit halber sollten aber auch jene Staaten, die der NATO bereits angehörten, dieses Ziel anstreben. Damals war Peter Struck Verteidigungsminister.

Festgeschrieben wurde das 2%-Ziel noch einmal 2014 beim NATO-Gipfel in Wales. Das war nach der Annexion der Krim und dem Kriegsausbruch in der Ukraine. Als Bundesaußenminister anwesend war auch SPD-Politiker Frank-Walter Steinmeier.

Auf dem NATO-Gipfel vom 4. bis 5. September 2014 in Wales verpflichteten sich

  • diejenigen Mitgliedstaaten der Allianz, die den Richtwert der NATO von Ausgaben von mindestens 2% ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung erreichen, darauf hinzuzielen, dies weiter zu tun,
  • sowie diejenigen Bündnispartner, deren Anteil vom BIP für Verteidigungsausgaben gegenwärtig unter diesem Richtwert liegt, die Verteidigungsausgaben nicht weiter zu kürzen, sondern die realen Verteidigungsausgaben im Rahmen des BIP-Wachstums zu erhöhen und sich innerhalb von zehn Jahren auf den Richtwert von 2% zuzubewegen, um ihre NATO-Fähigkeitenziele zu erreichen und Fähigkeitslücken der NATO zu schließen.

Politik- und Rechtswissenschaftler sind sich einig, dass die 2%-Zielvorgabe der NATO für die Höhe der nationalen Verteidigungsausgaben als Anteil vom Bruttoinlandsprodukt keine rechtliche Bindungswirkung entfaltet.

Anlage: Überblick über den Anteil der Militärausgaben am Bruttoinlandsprodukt in den NATO-Staaten von 2015 bis 2021.


Kampf um Demokratie und Freiheit – oder Geopolitik?

Eine Schwarz-Weiß-Zeichnung ist seit Beginn der Ukraine-Krise im Jahr 2013 zu beobachten. Die Kritik vieler Zuschauer an einer einseitigen Darstellung zugunsten der Maidan-Bewegung hatte 2014 sogar den ARD-Programmbeirat alarmiert. [1]

Tatsächlich kann man sich fragen, was es mit Förderung von Demokratie zu tun hat, wenn sich die EU hinter Aufständische stellte, die einen demokratisch gewählten Präsidenten stürzen wollten.

Wie stark sich vor allem die USA in innerukrainische Verhältnisse einmischten, zeigt der heimliche Mitschnitt eines Telefonats der US-Diplomatin Victoria Nuland mit dem US-Botschafter in Kiew, wenige Wochen bevor Präsident Wiktor Janukowytsch fliehen musste. Es ging darum, wer der neuen Regierung angehören sollte. Nuland erwähnte, die USA hätten bisher fünf Milliarden Dollar in den Regime Change in der Ukraine investiert. [2]

Auslöser der Maidan-Proteste war die überraschende Erklärung der ukrainischen Regierung, das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union vorerst nicht unterzeichnen zu wollen. Die EU und die Ukraine sollten aus Gründen der nationalen Sicherheit die Folgen des Abkommens zunächst gemeinsam mit Russland besprechen.

Der damalige Ministerpräsident der Ukraine, Nikolai Asarow, sagte später in einem Interview:

„Heute ist das vollkommen klar. Das Hauptziel der europäischen Politiker war die Umsetzung amerikanischer Vorgaben, um alles zu unternehmen, dass die Ukraine geopolitisch nicht in die euro-asiatische Zollunion Russland-Kasachstan-Weißrussland eintritt. Und insbesondere die Verbindung zwischen der Ukraine und Russland zu schwächen. Und damit auch indirekt einen Konflikt zwischen der Ukraine und Russland zu begründen.“ [3]

Nach dem Sturz der Regierung besetzten Bewohner in der Ostukraine ebenso Rathäuser und Behörden wie die Maidankämpfer – es kam zum Bürgerkrieg. Die Übergangsregierung hat daraufhin die aus den rechten Maidankämpfern rekrutierte neugegründete Nationalgarde auf die Rebellen gehetzt. Die eigene Armee war wohl nicht dafür zu begeistern, auf die eigene Bevölkerung zu schießen.

Die meisten der Opfer im Bürgerkrieg gab es laut OECD auf der pro-russischen Seite. Laut Amnesty International hatte die Ukraine die Rechtsextremisten nicht im Griff und Straftaten wurden erst gar nicht verfolgt. Als Minsk II umgesetzt werden sollte haben die rechten Bataillone das Parlament angegriffen. Da fragt nicht nur die deutsche Bundesbehörde BPB, ob die rechten Milizen nicht die informelle Macht in der Ukraine haben. [4]

Wenn Selenskyj frei handeln könnte, wäre die Ukraine vermutlich auf einem besseren Weg. Er hätte den Bürgerkrieg beendet und Minsk II umgesetzt. Dass er es nicht gemacht hat, ist kein Zeichen dafür, dass er nicht will, sondern dass er nicht kann.

Dabei behindern nicht nur ukrainische Nationalisten eine diplomatische Lösung. Schon vor dem russischen Einmarsch sind die USA nicht gerade durch ernst zu nehmende diplomatische Bemühungen zur Verhinderung des Krieges aufgefallen. Und auch jetzt scheint die US-Strategie nicht auf erfolgreiche Friedensgespräche zu zielen, sondern auf einen Abnutzungskrieg mit vielen weiteren Opfern.

Auch wenn unsere Regierungsvertreter:innen stets die enge Abstimmung und Geschlossenheit der westlichen Partner betonen, bleibt der Eindruck, dass sich die USA mit ihren eigenen geopolitischen Interessen gegenüber den Europäern durchsetzen.

Immerhin erreichen die Vereinigten Staaten durch „Putins Krieg“ gleich mehrere Ziele: Trennung von Deutschland und Russland, die europäischen Natoländer rüsten auf und stehen geschlossen wie nie hinter der Atommacht USA, Europa wird neuer Exportmarkt für Flüssiggas, ohne billiges russisches Gas gewinnen die USA gegenüber Europa an Wettbewerbsfähigkeit.

 

[1] https://www.spiegel.de/kultur/tv/ard-streit-um-ukraine-berichterstattung-a-993304.html

[2] Bis heute ist das Gespräch als Mitschnitt auf Youtube abrufbar. „Nuland diskutierte seinerzeit den von der US-Regierung unter Präsident Barack Obama gewünschten Umbau der ukrainischen Regierung im Zeichen der Maidan-Revolte. Den angeblich eher EU-freundlichen „Klitsch“ (Vitali Klitschko] wolle man nicht als Premier, sondern „Jats“ – Arsenij Jazenjuk. Der habe genug Erfahrung zum Regieren. Die Vereinten Nationen, nicht die EU-Zentrale, sollten helfen, die gewünschte Konstellation zu bewirken, denn – wie die abgehörte Nuland sagte – „du weißt schon … Fuck the EU!“ (Victoria Nuland ist zurück: „Fuck the EU“, Der Freitag 17/2022]

[3] https://www.welt.de/politik/ausland/article124612220/Fuck-the-EU-bringt-US-Diplomatin-in-Erklaerungsnot.html, https://www.freitag.de/autoren/konrad-ege/fuck-the-eu-victoria-nuland-ist-zurueck, https://www.zeit.de/2015/20/ukraine-usa-maidan-finanzierung/seite-2, https://www.deutschlandfunk.de/abkommen-mit-eu-gestoppt-ukraine-rueckt-naeher-an-russland-100.html, https://www.heise.de/tp/features/Ohne-Hilfe-der-USA-haette-es-keinen-Staatsstreich-gegeben-3492309.html

[4] https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine/276568/analyse-bewaffnete-freiwilligenbataillone-informelle-machthaber-in-der-ukraine/?fbclid=IwAR21S_zvjfqFUya6EVWE6buT2MjnadB5dlWe0v1fZbNTxO07CbKCphaNUso, https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/ukraine-regierung-hat-rechtsextreme-nicht-unter-kontrolle

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