Kein Wahlkampf auf Kosten von Flüchtlingen und Schutzsuchenden!
„Deutschland ist und bleibt ein Einwanderungsland. Menschen kommen aus unterschiedlichen Gründen zu uns. Deshalb braucht es eine echte Willkommenskultur.“ (Grünes Wahlprogramm 2025, S. 126)
In der vorletzten Woche ließ die CDU im Bundestag ihren Fünf-Punkte-Plan mithilfe der AfD abstimmen. Angeblich für sichere Grenzen und gegen illegale Migration. Gleich zwei Tage später legte sie sogar einen Gesetzentwurf dazu vor: das sog. „Zustrombegrenzungsgesetz“, das quasi die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl beinhaltet. Das war nicht nur ein Tabubruch im Hinblick auf eine bislang ausgeschlossene Zusammenarbeit mit der AfD. Es war vielmehr die Setzung eines rechten Wahlkampfthemas, mit dessen Hilfe die CDU rechts und rechtsextrem Wählende für sich mobilisieren wollte. Die Umfragewerte zeigen, wie gut die Rechnung von Merz und Co. dabei aufging. Damit hat die Union Migration bewusst zu einem der wichtigsten Wahlkampfthemen gemacht.
Der CDU-Antrag reagierte angeblich auf die Gewalttat eines Mannes in Aschaffenburg. Das geplante Gesetz hätte die Tötung eines Kindes durch den psychisch erkrankten Mann wohl kaum verhindern können. Vielmehr muss es mehr Therapieangebote für traumatisierte und labile Geflüchtete geben. Viele fachlich ausgewiesene Kriminolog*innen waren sich einig: Die im „Zustrombegrenzungsgesetz“ geforderte Begrenzung des Familiennachzugs würde sich sogar nachteilig auf Integration und psychische Stabilität Asylsuchender auswirken. Und auch die Kirchen fanden sehr deutliche Worte: Dieses Gesetz würde nur die Lage von Schutzsuchenden erschweren, die Forderungen seien populistisch.
Wie reagiert die grüne Bundesspitze?
Die grüne Bundesspitze wies deutlich auf den „Dammbruch“ hin, den Merz und die CDU/CSU damit begangen hatten. Inhaltlich, wohl als Koalitionsangebot an Merz, veröffentlichte das Team Habeck via Bildzeitung eine „Sicherheitsoffensive“ als 10-Punkte-Programm. Es erstaunt sowohl bezüglich der Sprachwahl – vor allem in der Wahlkampf-Flyer Fassung – wie auch bei den vorgeschlagenen Maßnahmen.
Im grünen Wahlprogramm heißt es: „Wir wollen eine funktionierende und pragmatische Flucht- und Migrationspolitik. Dafür wollen wir wissenschaftliche Expertise stärker in politische Entscheidungen einbeziehen und ein beratendes Gremium mit Expert*innen aus Wissenschaft, Forschung, der kommunalen Praxis und mit Betroffenen einrichten.“ (S. 127) und „Wir stellen uns gegen reine Symbolpolitik und einen Kurs der Asylrechtsverschärfungen, die nur zu Lasten der Schutzsuchenden gehen und Integration behindern.“ (S. 129) Der Flyer aber strotzt vor „Law-and-Order“-Begriffen, die die Durchsetzung von Regierungsmacht betonen, dabei aber das Soziale auslassen. Beispiele sind „Haftbefehle“, „Vollstreckungsoffensive“, „Bundespolizei“, „(Kooperations)pflicht“, „irreguläre Migration“ oder „überwachen“.
Auch andere Begriffe sind problematisch: Das Team Habeck spricht von „Eindämmung“, als würde es sich um eine undefinierte Masse, nicht aber um einzelne Menschen mit den verschiedensten Schicksalen handeln. Der polizeifachliche Terminus „Gefährder“* suggeriert, dass es sich um eine rechtlich abgrenzbare Menschengruppe handele. Habeck nivelliert im Flyer Unterschiede zwischen den verschiedenen „Gefährder“gruppen stark: Schutzsuchende mit psychischen Erkrankungen stehen neben Islamisten, Extremisten und Schwerkriminellen. Die Begriffe „Beschleunigung“, „schnell“, „Klarheit“, „automatisch“, „auf einen Klick“ oder „konsequent“ erzeugen ein Bild von einfacher Unterscheidbarkeit zwischen erwünschten und nicht erwünschten Migrant*innen.
Erwünschte oder unerwünschte Migrant*innen?
Tatsächlich ist eine solche Unterscheidung mehr als schwierig, oft schlicht nicht machbar. Mehr Personal für die Bundespolizei kann nicht schaden, auch eine modernere Ausrüstung. Aber auch damit sollte sich nicht so einfach erkennen lassen, ob ein Mensch in Zukunft eine Gefahr darstellen kann. Die Beamten werden nicht einmal erkennen, inwiefern jemand – psychisch erkrankt oder nicht – empfänglich für Radikalisierung ist.
Es stellt sich aber folgende Frage: Woher soll das Personal kommen, mit dem die Behörden die Asylverfahren ohne Abstriche bei den Rechten von Asylsuchenden beschleunigen können? Die Forderungen bauen eine Schein-Sicherheit auf. Einzeltaten, wie die von Aschaffenburg, lassen sich so nicht deutlich besser verhindern. Auch deutsche Staatsangehörige verüben immer wieder solche Taten. Vielmehr ist zu erwarten, dass es zu mehr falschen Verdächtigungen kommt und der rechtsfreie Raum – auch für Abschiebungen – erweitert werden soll.
Und das Papier schürt eher Ängste und wirkt nicht versachlichend: Es suggeriert erstens, dass „irreguläre Migration“ ein echtes Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung darstelle. Zweitens sei ihre Unterbindung einfach möglich. Und drittens wären „alle“ Probleme (Anschläge, Tötungsdelikte …) damit gelöst. Auf diese Art wird rassistischen und populistischen Ideen Platz eingeräumt!
Was ist zu tun?
Was hätte die grüne Bundesspitze tun können? Sie hätte erst die Tat von Aschaffenburg genau analysieren und auf dieser Basis die Gesetzesinitiative der Union zurückweisen sollen. So hätte sie das Manöver von CDU/CSU aufdecken und das Thema im Wahlkampf entzaubern können. Sie hätte auf diese Weise deutlich darauf hinweisen können, dass hier auf Kosten einer Gruppe von Menschen Wahlkampf gemacht wird, die unser aller Unterstützung benötigen.
Es hätte dadurch auch darauf hingewiesen werden können, dass das in der Bevölkerung definitiv vorhandene Verlangen nach „Sicherheit“ ursächlich wenig mit Migrant*innen, sondern vielmehr mit diffusen Zukunfts- und sozialen Abstiegsängsten zu tun hat. Das ist ein Thema, das durch die neoliberale Politik eines Friedrich Merz noch an Brisanz gewinnen wird. Bei diesem Thema sollten die Grünen unbedingt Position beziehen und sich nicht in an einem Überbietungswettbewerb beteiligen. Denn wir haben gute Konzepte, den Ängsten der Menschen zu begegnen: eine gerechte Gesellschaft für alle, die die Ursachen für Armut bekämpft und Teilhabe gewährleistet. Sowie eine Politik, die ihrer internationale Verantwortung gerecht wird: das heißt den Klimawandel eingrenzt wie auch jede andere Form der Fluchtursache bekämpft.
Durch die Initiative des 10-Punkte-Wahlprogramms zur „Sicherheitsoffensive“ ist also nichts gewonnen, weder inhaltlich noch wahlkampftaktisch und im Hinblick auf unsere Demokratie erst recht nicht.
Vielleicht ein Blick auf die GJ?
Die Vorschläge der Grünen Jugend (siehe den von ihr erstellten 10-Punkte-Plan) hätten insofern von der Bundesspitze begrüßt werden sollen, da sie die grundlegenden Probleme in der Migrationspolitik richtig benennen und viel näher an unserem Regierungsprogramm, dem erst 2020 beschlossenen Grundsatzprogramm und dem Asylbeschluss der BDK in Wiesbaden sind.
So beschreibt die GJ unter anderem:
- die aktuelle Rechtslage: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das Grundrecht auf Asyl ist nicht verhandelbar. … Wir verteidigen das Grundrecht auf Asyl und stehen zu unseren völkerrechtlichen Verpflichtungen wie der Genfer Flüchtlingskonvention, dem subsidiären Schutz und der europäischen Menschenrechtskonvention. …“
- die nötige Unterstützung der Kommunen: „Die Kommunen brauchen dafür endlich ausreichend Unterstützung des Bundes. … Integration gelingt dort, wo der Wohlfahrtsstaat für alle da ist. Das heißt: mehr Kita-Plätze, Geld für Schulen und ausreichend bezahlbarer Wohnraum. Die Bedürfnisse von Menschen dürfen nicht in Konkurrenz zueinander stehen.“
- unseren Rechtsstaat: „Abschiebungen sind keine Bestrafung. … In Kriegs- und Krisengebieten drohen Folter, Gewalt oder der Tod. … Menschen, die Straftaten begehen, müssen dafür geahndet werden und ihre Strafe hier verbüßen. Mit Diktaturen und Terrorregimen zu verhandeln und Menschen in anderen Ländern Gewalttätern und Willkür auszusetzen, kann keine Lösung sein.“
- die Ursachen in der Außenpolitik: „Dazu gehört weiterhin die Unterstützung von Kurd*innen und ein Ende der Waffenlieferungen an die Türkei. Ein zweiter Grundpfeiler ist eine gerechte Klimapolitik. Die Klimakrise ist schon heute eine der größten Fluchtursachen – Tendenz steigend.“
- die unabdingbare Notwendigkeit einer ausreichenden psychologischen Unterstützung für alle: „Dazu gehört die Übernahme von Sprachmittlung von gesetzlichen Krankenkassen und die finanzielle Absicherung von Strukturen wie psychosozialen Zentren, die niedrigschwellig und mehrsprachig besonders mit traumatisierten Menschen arbeiten.“
- und vor allem die alltägliche Gewalt, über die niemand redet, die aber die Taten von Aschaffenburg und Magdeburg völlig in den Schatten stellt und genau dieselben Hintergründe hat, nämlich dass sich Menschen nicht sicher fühlen: „Frauen, weil jede 4te Frau Opfer von häuslicher Gewalt durch ihren Partner oder Expartner wird. Queere, jüdische und von Rassismus betroffene Menschen, weil die Angriffe rechter Gewalt auf einem Rekordhoch sind.“ Auch auf die alltäglichen Gewalttaten – leider offenbar nicht nur von psychisch Gestörten – gegenüber Geflüchtetenunterkünften und die Gefahr von rechtsextremen Anschlägen wird ausdrücklich hingewiesen.
Wir sind eine Menschenrechtspartei – und dazu müssen wir uns ohne Wenn und Aber bekennen.
Namen der Verfasser*innen: Kathrin Weber, Sabine Hebbelmann, Janine Ivancic, Claudia Laux, Karl-W. Koch, Detlef Wilske
* Der Terminus wurde durch Äußerungen von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble 2007 bekannt, der damit u.a. Hooligans bezeichnete.