Ein notwendiger Kommentar zur BDK in Rostock, Oktober 2009

Liebe Freundinnen und Freunde,
in diesem Schreiben möchten wir uns auf die in der Partei strittigen Fragen konzentrieren und die Beschlüsse der Delegierten in eben diesen strittigen Fragen kommentieren. Während hinsichtlich der Bewertung des Klimawandels und der Atomtechnologie Differenzen eher marginaler Natur sind, bleiben Afghanistan und unsere Positionierung in der Opposition auf der Tagesordnung. Auch wenn die zu den beiden strittigen Fragen gefassten Beschlüsse aus unserer Sicht in die richtige Richtung weisen, gehen wir nicht davon aus, dass damit die Diskussionen beendet sein werden. Dranbleiben ist unsere Empfehlung.
Klimawandel
Wenn auch die Positionen hinsichtlich des Klimawandels und der Atomtechnologie weitgehend unstrittig sind, so wurde auch deutlich, dass die Partei die Sensibilität in ihren Reihen erhöhen muss. Die drohenden Gefahren durch die Versäumnisse der Vergangenheit aber auch weitere verlorene Jahre durch das Schwarz-Gelbe Gruselkabinett Merkel-Westerwelle („Wachstumsbeschleunigungsgesetz“!) mahnen an: Wir müssen unsere Kampagnenfähigkeit innerhalb und außerhalb der Parlamente erhöhen und den engen Schulterschluss zu allen Menschen suchen, die die Gefahren erkannt haben. Der Gastreferent zeichnete ein Lagebild, dass geeignet ist, die schlimmsten Befürchtungen zu übertreffen. Ging die Generation 50+ noch davon aus, dass der Klimawandel ihre Generation eher marginal betrifft, hat diese Generation als Mitverursacher der Katastrophe gute Chancen, die Folgen noch zu erleben – und damit allen, auch persönlichen, Grund, den Ursachen den entschiedenen Kampf anzusagen. Das 2º Ziel ist innerhalb der nächsten 5-7 Jahre bei gleichbleibender unökologischer Lebensweise nicht mehr einzuhalten, gleichwohl muss es unterboten werden, sollen die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Klimawandels beherrschbar bleiben
Afghanistan
Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Partei mit dem aktuellen Beschluss die Einschätzung und die Forderungen des außerordentlichen Parteitages von Göttingen (2007) bestätigt hat. Wir begrüßen, dass nunmehr die Notwendigkeit der Erstellung eines Abzugsplanes erkannt ist und Übereinstimmung darüber herrscht, dass der Krieg in Afghanistan beendet werden muss. Wir begrüßen, dass die offizielle Regierung Afghanistans als Teil des Problems benannt wird. Insbesondere die Bewertung des Wahlbetruges als solchen und die Bewertung des Luftangriffes als Teil einer katastrophalen militärischen Eskalation, lassen sich nicht anders lesen.
Die militärisch beschränkte Politik der Bundesregierung wird von der Partei mit überwältigender Mehrheit abgelehnt. Eine Zustimmung zu einer weiteren Mandatsverlängerung und möglicherweise Mandatserweiterung, auch ISAF, durch GRÜNE Abgeordnete, im Winter 2009, wie sie die Bundesregierung verlangen wird, ist inakzeptabel vor dem Hintergrund des aktuellen Beschlusses.
Wir wissen, dass viele Parteifreund/innen den aktuellen Beschluss für nicht weitgehend genug halten. Die GRÜNE JUGEND, die InitiatorInnen von Göttingen und die GRÜNE Friedensinitiative forderten in weitergehenden Anträgen einen Abzugstermin bereits im Jahr 2010, bzw. 2011. Wir sehen, dass für diese Position einiges spricht. Der Beschluss der BDK (Exit-Strategie in 2010, Beginn des Abzugs in der kommenden Legislatur) schließt aber auch nicht aus, sich für einen früheren Zeitpunkt des Abzugs einzusetzen. Die sich rapide verschlechternde Lage in Afghanistan duldet keinen Aufschub. Unsere Abgeordneten stehen in der Pflicht, im Rahmen des zu entwickelnden Abzugsszenarios den Zeitpunkt gründlich zu prüfen. Die Findung des richtigen Zeitpunktes muss nun Ergebnis einer ehrlichen Bilanz sein.
Eine Empfehlung an die Abgeordneten hinsichtlich des Abstimmungsverhaltens, dieses mit NEIN festzuschreiben, wie ebenfalls in weitergehenden Anträgen u.a. von der BAG Frieden und Internationales gefordert, wurde von der Mehrheit der Delegierten nicht übernommen.
Dennoch meinen wir, dass der Beschluss der BDK (nicht zustimmen) auch in dieser Hinsicht kaum den Interpretationsspielraum zulässt, ein JA, also Zustimmung zur Politik der schwarz-gelben Bundesregierung, sei durch den Parteitagsbeschluss gedeckt. Daher ist die Fraktionsführung gefragt, den u.a. von H.-C. Ströbele, W. Nachtwei und vielen anderen geäußerten Wunsch nach einer geschlossenen Abstimmung in der Fraktion nun auch Taten folgen zu lassen. Also: geschlossene Enthaltung oder geschlossenes Nein. Wobei eine Enthaltung der Fraktion unserer Ansicht nach ein ziemlich schiefes Signal in die Öffentlichkeit senden würde, denn immerhin besteht bei uns nun der Konsens, dass ein „Weiter-so“ in ein Desaster führen wird. Bei einem drohenden Desaster enthält man sich eben nicht, sondern setzt ein klares Signal der Umkehr. Dies ist für uns die eigentliche Gewissensfrage.
Mit Unverständnis und Bedauern nehmen wir zur Kenntnis, dass sowohl gegen den Antrag der GRÜNEN JUGEND, der BAG Frieden als auch den Antrag der GRÜNEN Friedensinitiative die Gegenreden von Parteifreunden gehalten wurden, die im innerparteilichen Spektrum als „Linke“ gelten. Selbstverständlich haben sowohl Frithjof Schmidt als auch Jürgen Trittin jedes Recht, sich für ihre Position einzusetzen. Ebenso verständlich wäre aber auch, dass sich Teile der Antragssteller/innen hintergangen fühlen könnten.
Wir wissen, dass die Stimmen der Befürworter/innen des Militäreinsatzes ohne wenn und aber nicht verstummen werden. Im Gegenteil. Wir rechnen damit, dass diese Stimmen vor der Bundestagsentscheidung wieder lauter werden. Auch im Vorfeld der BDK bestand die ernste Gefahr, dass der Beschluss von Göttingen revidiert wird. Vor diesem Hintergrund und auch weil wir im Vorfeld genügend Druck ausgeübt haben, schafft der Beschluss der BDK nun mehr Klarheit und definiert die Aufgaben der Partei.
Die Menschen in Afghanistan wünschen Frieden und Sicherheit. Wir setzen uns für Hilfe beim zivil-gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufbau ein. Die Waffen müssen schweigen. Die Menschenrechte gelten für alle, Doppelstandards und Doppelmoral lehnen wir entschieden ab. Die Rechte der Frauen sind unveräußerlich. Unsere Herzen und Köpfe sind bei den Menschen in Afghanistan, die diese Ziele teilen.
Der Rostocker Beschluss bestätigt den Weg der Vernunft, den wir seit Göttingen beschritten haben.
GRÜNE Partei in der Opposition
Die Ausgangslage für die Wahlen in NRW ist so schlecht nicht. Die Bundestagswahl hat unserer Partei das beste Ergebnis seit ihrem Bestehen beschert. In zwei Bundesländern regiert GRÜN mit Schwarz, bzw. mit Schwarz-Gelb, in einem Rot-Grün. Im Bund und in allen anderen Ländern sind wir in der Opposition. In Hessen und Thüringen gab es zwar rechnerische Mehrheiten für Rot-Grün-Rot bzw. Rot-Rot-Grün. Diese Konstellation einer Mehrheit Links von CDU/CSU und FDP konnte sich aus viel diskutierten Gründen nicht in Regierungen materialisieren. Land auf Land ab kommt es zu dramatischen Verschiebungen innerhalb des konservativ-bürgerlichen Spektrums der Gesellschaft. CDU und CSU verlieren seit 15 Wahlen stetig Wähler/innen in dramatischem Umfang. Die FDP ist die große Nutznießerin. Dies vor allem deshalb, weil die SPD ihre Anziehungskraft in die konservative Mitte ebenso eingebüßt hat, wie sie bereits erdrutschartig nach Links verlor. Beide großen Volksparteien, besonders aber die SPD, bedienen das anschwellende Lager der Nichtwähler/innen. Unübersehbar ist auch, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse auf künftige Polarisierungen, heftige Interessenkonflikte und damit auf ein Ende des gesellschaftlichen und sozialen Ausgleichs zusteuern. Die Verzweifelten, aber wenig glaubwürdigen Versuche, insbesondere der FDP, nicht als Partei der „sozialen Kälte“ dazustehen, die Stärkung der sozialen und liberalen Flügel in der CDU und CSU sind Reaktionen auf die sich abzeichnenden gesellschaftlichen Verwerfungen. Diese Reaktionen sollten nicht missverstanden werden. Der bürgerliche Konservativismus bleibt deshalb Diener seiner Herren. Grundlegender Gesinnungswandel ist nicht zu erwarten.
Der in den Milliardenschulden-Sumpf gerittene Haushalt wird dramatische Einsparungen verlangen. Dies wird die Bedürftigen und politisch Schwächsten in unserer Gesellschaft treffen. Die Verteilung der Mittel hält unmissverständlich die Richtung. Gewinne werden privatisiert. Verluste werden rücksichtslos verstaatlicht. Business must go on! Ob Energiepolitik, ob Sozialpolitik oder Demontage des Rechtsstaates, ja, egal wohin wir schauen: Schwarz-Gelb setzt auf die altbekannte Dogmen aus den Fünfziger Jahren und auf reaktionäre Klientel-Steinzeitpolitik.
Wenn Westerwelle einen britischen Journalisten maßregelt, in Deutschland spreche man Deutsch um dann in seiner Antrittsrede zum Außenminister fortzufahren, er werde „neue Maßstäbe“ für die deutschen Interessen in der Welt setzen, muss dies von der Welt als freche Drohung verstanden werden.
Die Ausgangslage vor der BDK bezüglich unserer Position in der Opposition ließ befürchten, dass sich Stimmen durchsetzen würden, die den mehr oder weniger bedingungslosen Anschluss an das bürgerliche Mitte-Rechts-Lager forderten (also Befürwortung von Koalitionen CDU/CSU/GRÜNE, oder CDU/CSU/FDP und Grüne). Eine große Zahl Landes- und Kommunalpolitiker/innen brachten einen entsprechenden Antrag ein.
So sehr wir eine solche Forderung auch aus kommunalpolitischer Sicht nachvollziehen können. Eine solche Öffnung ist politisch auch nur entlang kommunalpolitischer Sachfragen in Einzelfällen vertretbar. Auf Landesebene leidet die Glaubwürdigkeit der Partei bereits in aller Regel unter den zur Zeit gerade mal zwei Konstellationen. Es ist noch viel zu früh, den Preis für diese Koalitionen beziffern zu können, aber aus dem Saarland hört man gar nichts Gutes und um Hamburg ist es eher still geworden. Ob da am Ende die Gewinn- und Verlustrechnung zu unseren Gunsten ausgeht, ist unklar. Die Bundestagswahlergebnisse 2005 – 2009 lassen für Hamburg nicht wirklich von einem Erfolgskonzept sprechen (Näheres siehe: Statistik – Nord). Die Verluste sind so hoch, dass der marginale und im Bundesdurchschnitt unterdurchschnittliche Zugewinn bei mageren 0,7% eher zufällig scheint.
Auch wenn die Anhänger/innen solcher Konstellation sich als „Realos“ bezeichnen, ist dies die denkbar unrealistischste Konstellation auf Bundesebene. Auch auf Landesebene ist diese Konstellation eher fragwürdig und dementsprechend umstritten in unserer Partei. Die politischen Inhalte sprechen dagegen, die Einflussmöglichkeiten innerhalb einer solchen Koalition als schwächster Partner sprechen dagegen und die politische Herkunft unserer Mitglieder spricht ebenfalls dagegen. Die überwältigende Mehrheit unserer Mitglieder sieht sich „irgendwie Links“. Deshalb bemüht man das Bild von der „Scharnierpartei“. Man meint, aus der Schwäche heraus als Juniorpartner in angedrohten wechselnden Koalitionen gegenüber dem jeweiligen Koalitionär Gewinn für die eigenen GRÜNEN Inhalte ziehen zu können. In der wirklichen Welt führt das jedoch zu erschreckender Nachgiebigkeit hinsichtlich der eigenen Parteistandpunkte. Es führt zu Demotivation und Demoralisierung der eigenen Partei. Folgerichtig fragen sich zahlreiche Parteifreund/innen: „Wollen wir mit regieren um das Elend mit zu gestalten“ oder wollen wir doch lieber „das Elend beseitigen helfen, die Welt verändern?“ Das Bild des Scharniers ist nicht wirklich ein positives: Jede/r mit halbwegs technischem Verstand weiß, dass die Tür weder öffnet noch schließt, verbiegt man ein Scharnier.
Rot-Grün ist „tot“. Spätestens nach der Hessen-Wahl 2008 (Ypsilanti 1), sind alle Träume von einer einfachen Wiederauflage ausgeträumt. Bremen sehen wir als Ausnahme, welche die Regel bestätigt. Das bürgerlich-mitte-links Spektrum und die diesem Spektrum zugeordneten Parteien (also SPD, GRÜNE, Linke) hatte zwar eine rechnerische Mehrheit aber die Strategie der SPD verbot, diese auch zur Regierungsbildung zu nutzen. Der Versuch Ypsilantis zum radikalen Kurswechsel nach der Wahl („Ausschließeritis“), scheiterte furios und die Illusion, man könne die Linkspartei aus dem hessischen Landtag heraushalten (gepflegt von der SPD aber auch von Teilen der politischen Führung der GRÜNEN), gingen, wenn auch damals knapp, in Luft auf. Mittlerweile ist die Fünf-Parteien-Landschaft klar und die Linke sicher etabliert. Wir begrüßen, dass hessische Parteifreund/innen um Tarek Al-Wazir die politischen Konsequenzen gezogen haben (Antrag Al-Wazir und andere). Wir begrüßen, dass große Teile dieses Antrages in den Beschluss der BDK übernommen wurden.
Die Grüne Partei positioniert sich im gesellschaftlichen Spektrum klar links von CDU/CSU/FDP. Die Partei erkennt an, dass sie Mehrheiten für ihre positiven, gesellschaftsverändernden Positionen bei den Wähler/innen gewinnen muss und nicht auf teilweise unrealistische parlamentarische Koalitionen setzen kann. Wir begrüßen, dass sich die Partei ihrer Verantwortung bewusst wird, maßgebliche gesellschaftliche Antipode zu den Vertretern des konservativen bis reaktionären Spektrums zu sein. Die Partei erkennt die Gefahren aber auch Chancen, die sich aus dem Vakuum ergeben, das der desaströse Niedergang der SPD hinterlässt. Die tiefe gesellschaftliche Verunsicherung und damit einhergehende Kopflosigkeit innerhalb des Mitte-Links-Spektrums wird eben nicht durch die Linkspartei behoben. Wenn im Parteitagsbeschluss der Anspruch formuliert wird, GRÜN als starke eigenständige Kraft zu entwickeln und dabei um die politische, sowie quantitative Führung zu kämpfen, verstehen wir das als Aufforderung, entlang gemeinsamer Inhalte Mehrheiten für eine neues gesellschaftliches Projekt jenseits des deutschen Konservativismus zu gewinnen und als solches regierungsfähig zu werden.
Wir sind niemandes Juniorpartner

Die Zukunft braucht Grün-Rot-Rot. In dieser Reihenfolge. Dafür kämpfen wir.
Es grüßen euch
Irene Mihalic, Peter Alberts, Ralf Henze, Richard Janus, Karl-Wilhelm Koch, Simon Lissner, Robert Zion

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