Der nachfolgende Antrag, ursprünglich zur BDK in Münster
gestellt, wurde am 12. Oktober vom BuVo einstimmig zugunsten der rückhaltlosen
Befürwortung der Novellierung abgelehnt. Eine Verschlechterung
durch die Neuordnung gegenüber dem heutigen Recht wurde abgestritten,
ein dringender Handlungsbedarf seitens der Grünen Partei wurde
ausdrücklich NICHT gesehen! Lediglich langfristig (d.h. in der
nächsten Legislaturperiode!!) soll es "weitere Beratungen"
geben ...
Karl-W. Koch
Änderungsantrag zum V20/V21 (Novellierung der
Strahlenschutzverordnung):
Wir beantragen, die beiden vorliegende Anträge zur Novellierung
der Strahlenschutz-VO wie folgt zusammen zu fassen:
1. Die BDK fordert den Umweltminister, die Grüne Fraktion und die
grünen Mitarbeiter im BMU auf, den Verordnungsentwurf zurückzuziehen.
2. Der verfassungsmäßig verankerte Schutz der Gesundheit
der Bevölkerung (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit)
muß Vorrang haben vor wirtschaftlichen Interessen. Dies kann nur
gewährleistet werden durch vorbeugende Maßnahmen zum Schutz
der Menschen vor den atomaren Risiken.
3. Bei der Überarbeitung der in der Begründung genannten wichtigsten
Schwachstellen werden kompetente, atomkritische BeraterInnen hinzugezogen,
deren Einwände gehört und soweit möglich in den neuen
Gesetzentwurf eingearbeitet.
Ausdrücklich wird dabei die Beteiligung folgender Fachleute
gefordert:
Gutachter/Wissenschaftler
· Bernd Franke, ifeu
· Sebastian Pflugbeil, IPPNW
· Dr. Edm. Lengfelder, Otto Hug Inst.
· Heinrich Messerschmidt, Gruppe Radioaktivität L.-Dannenberg
Vertreter gesellschaftlich relevanter Organisationen
· Traute Kirsch, BUND
· Dr. Walter Sieber, BI "AKW Obrigheim abschalten"
· Eduard Bernhard, BBU
· Jochen Flasbarth, NABU
Begründung:
Die vorgelegte Novellierung verschlechtert dagegen teilweise die gültige
Rechtslage, erhöht teilweise drastisch Grenzwerte im Vergleich
zu anderen Staaten in der EG und den USA und bleibt weit hinter ehemals
"grünen" Positionen zurück. Dies soll exemplarisch
an den nachfolgenden Punkten (und den entsprechenden Gegenforderungen)
aufgezeigt werden:
1. Die geplante Freigabe radioaktiver Abfälle aus der atomrechtlichen
Überwachung ist nichts anderes, als (bildlich gesprochen) der Versuch,
Atommüll zu billigsten Konditionen den BürgerInnen "vor
die Haustür" zu kippen. Die Einführung von Regelungen
zur Entlassung radioaktiver Stoffe aus der atomrechtlichen Überwachung
hat zu unterbleiben. Durch die Freigabe wird jede weitere Kontrollmöglichkeit
aufgegeben.
Eine Folge: Hintergrundstrahlung wird langfristig zunehmen.
Dabei wurden zudem Freigabewerte angegeben, die dazu dienen sollen,
radioaktive Materialien mit geringer Aktivität oder Kontamination
aus der Überwachung zu entlassen. Diese Freigabewerte sind bis
auf einige Ausnahmen um Zehnerpotenzen (bis zum 100.000-fachen!) schlechter
als die entsprechenden Freigabewerte in den USA oder in England. Eine
detaillierte Überprüfung der Gründe für die erheblichen
Unterschiede zwischen den Freigabewerte verschiedener Länder ist
zwingend erforderlich.
Wir fordern, den Schutz der Bevölkerung vor radioaktiver Strahlung
durch Aufbewahrung auch niedrigstrahlender radioaktiver Abfälle
unter atomrechtlicher Aufsicht und Kontrolle aufrecht zu erhalten.
Wir lehnen die Freigabe von radioaktiven Stoffen aus dem Atomrecht grundsätzlich
ab.
2. Nach der EU-Richtlinie wird eine Beschränkung der Kollektivdosis
gefordert, da durch die großen Massen an anfallendem Material
sehr viele Menschen von der Strahlung dieses Materials betroffen sein
können. Im Entwurf der Novelle StrSchVO wird dies nicht berücksichtigt.
Dies lehnen wir entschieden ab.
3. Die geplante Einführung der sog. "Referenzperson"
mittelt die Gefahren in unzulässiger Weise und erhöht damit
das Risiko der überdurchschnittlich Gefährdeten (z.B. Schwangere,
Säuglinge!) in unverantwortlichem Maß.
Wir fordern, (wie es bei Gefährdungen dieser
Größenordnungen eigentlich selbstverständlich sein sollte)
als Berechnungsgrundlage grundsätzlich die "Höchstbelasteten
und Höchstgefährdeten" zu verwenden.
Der Entwurf der neuen StrahlenschutzVO bleibt um mehr als 10 Jahre
hinter dem Stand von Wissenschaft und Technik zurück. Bereits bei
der Diskussion der Strahlenschutzverordnung von 1989 wurde zugestanden,
daß man nach dem Stand der Wissenschaft die Grenzwerte für
beruflich strahlenexponierte Personen eigentlich um den Faktor 10 verringern
müßte - das hieß damals, von 50 Millisievert pro Jahr
auf 5 Millisievert pro Jahr.
Wir fordern eine angemessene Verringerung der
Grenzwerte für beruflich strahlenexponierte Personen und die Bevölkerung.
Die geplante Verringerung um den Faktor 2,5 ist nicht ausreichend!
4. Die getrennte Regelung der Strahlenschutzfragen für
den Umgang mit künstlicher Radioaktivität einerseits und mit
sog. "natürlicher" Radioaktivität (Umweltbelastung
durch Uranabbau) andererseits ist naturwissenschaftlich unsinnig und
unhaltbar.
Wir fordern für alle Bereiche gleichwertige
Grundsätze, Grenzwerte und Regeln welche die Aufsummierung der
Gesamtstrahlungsmenge berücksichtigen.
5. Mit der Unterscheidung bezüglich des Strahlenschutzes
"Tätigkeiten" von "Arbeiten" [Die beiden Begriffe
werden im § 3 in den Absätzen 6 und 32 der StrahlenschutzVO
definiert.] sind in den folgenden Paragraphen der Strahlenschutzverordnung
zahlreiche Ungerechtigkeiten verbunden, die ausnahmslos zu Lasten der
BürgerInnen und ArbeitnehmerInnen gehen, die durch natürliche
Radioaktivität belastet werden. Zudem wird der Leiharbeiter-Tourismus
damit auf Kosten der Gesundheit der ArbeitnehmerInnen gefördert.
Wir fordern: Die Unterscheidung von Tätigkeiten
und Arbeiten ist aus Sicht des Strahlenschutzes und der Strahlenmedizin
unsinnig und muss zugunsten der jeweils weitergehenden Arbeitnehmerschutzes
zurückgenommen werden.
Wir fordern weiterhin: Eine "Lebensarbeitzeitdosis" ist einzuführen
und vor allem bei Leiharbeitern per Strahlenpass lückenlos zu überwachen.
6. Der Schutz schwangerer Frauen und junger ArbeitnehmerInnen
unter 18 Jahren wird im vorliegenden Entwurf aufgeweicht.
Wir fordern, dass die neue StrahlenschutzVO in
diesen sensiblen Bereichen keinesfalls schlechter werden darf als die
gültige StrahlenschutzVO.
7. Es ist unstrittig, dass neben anderen Umweltbelastungen Strahlenbelastungen
Krebserkrankungen hervorrufen können. Es liegt in der Natur dieser
Schädigungen, dass nur in seltenen Ausnahmefällen exakt nachgewiesen
werden kann, welche Ursache in einem konkreten Fall für den Krebs
verantwortlich ist.
Wir fordern, dass alle Erkrankungen, die durch Strahlenbelastungen hervorgerufen
werden können, ohne weitere Überprüfungen als Berufskrankheiten
anerkannt werden, wenn der Arbeitnehmer in seiner gesamten Berufstätigkeit
mit mehr als dem Zweifachen des Jahresgrenzwertes für beruflich
strahlenexponierte Personen belastet worden war. Aus Gründen der
Fairness und der Wiedergutmachung muss eine solche Neuregelung eine
Wiederaufnahme aller bisher negativ entschiedener Anerkennungsverfahren
umfassen.
8. Als Grundlagen der Berechnung werden heute vorwiegend die
Daten von Hiroshima und Nagasaki verwendet. Es liegen jedoch neuere
Studien über Nukleararbeiter vor. Würde man diese stärker
berücksichtigen, käme man auf deutlich höhere Risikowerte.
Therapierbare, nicht unmittelbar zum Tod führende Erkrankungen
bleiben unberücksichtigt!
Wir fordern, sich künftig auf die jeweils
neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft zu beziehen. Vor allem müssen
künftig auch Erkrankungsstatistiken und nicht nur Todesfallstatistiken
berücksichtigt werden.
Wir lehnen die bisherige ausschließliche Verwendung der Todesfallstatistiken
als eindeutigen Verstoss gegen das Grundgesetz (Recht auf körperliche
Unversehrtheit!) ab.
9. Die Mitgliedstaaten können von der EU nicht gezwungen
werden, rechtliche Regelungen zu treffen, die mit ihrer Verfassung nicht
vereinbar sind.
Wir fordern, eine Risikovorsorge nach Grundgesetz
(Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) umzusetzen.
Erläuterung:
Zum Punkt 1 und 2 ist anzumerken, dass wir grundsätzlich gegen
die Freigabe sind. Würde sie allerdings per VO durchgesetzt, so
sind die genannten Schwachstellen komplett zu überarbeiten und
für die Novellierung zu berücksichtigen:
Zu 1:
Mit dem bevorstehenden Abriß der kerntechnischen Anlagen fallen
riesige Mengen von mehr oder weniger radioaktiv kontaminiertem Müll
an. Es wäre natürlich für die Betreiber preiswerter,
wenn ein erheblicher Teil dieses Mülls aus der besonderen Überwachung
für radioaktive Materialien entlassen würde und wie einfacher
Müll ohne weitere Auflagen oder Kontrollen verwertet oder deponiert
werden könnte. Dafür hat man Freigrenzen angegeben, unterhalb
derer kontaminierter Müll als nichtkontaminiert angesehen wird.
Es ist eigenartig, daß verschiedene Länder unter Berücksichtigung
desselben Standes von Wissenschaft und Technik zu völlig unterschiedlichen
Freigrenzen kommen und behaupten, daß in jedem Fall eine Schädigung
der Bevölkerung ausgeschlossen ist.
Der gegenwärtig Stand der Diskussion zeigt, daß immense
wirtschaftliche Interessen der Atomindustrie auf möglichst lockere
Freigrenzen drängen (um möglichst viel Atommüll billig
entsorgen zu dürfen, => Senkung der Abrisskosten eines AKWs
um mind. 50 %), dass aber durch ein solches Verfahren Stück für
Stück die Umgebung aller Bürger immer stärker radioaktiv
belastet wird. Der Verbleib des freigegebenen Atommülls entzieht
sich jeglicher Kontrolle, unterschiedliche Regelungen in verschiedenen
europäischen Staaten werden zwangsläufig einen unübersehbaren
Atommülltourismus zur Folge haben, der außerhalb jeder Kontrollmöglichkeit
abläuft. Niemand wäre später in der Lage, freigegebenen
Atommüll wieder zurückzuholen und sicher unterzubringen, falls
sich herausstellt, daß durch diese fahrlässige Praxis Gesundheitsschäden
zu beklagen sind.
In den vergangenen Jahren hat jedes Bundesland für sich gehandelt
und mehr oder weniger großzügig freigegeben - es wäre
schon wünschenswert, eine gemeinsame ist die Pflicht einer Regierung
unter grüner Beteiligung, eine gemeinsame Regelung zu finden. Weshalb
denken wir überhaupt darüber nach, ob wir mit der Übernahme
eines gewissen Risikos, mit dem Verzicht auf jegliche Entschädigung
im Falle einer Katastrophe, mit einem gewissen Verlust an Lebensqualität,
Gesundheit und gesunder Umwelt der Atomindustrie finanzielle Vorteile
verschaffen sollten?
Die "Beseitigung" niedrigstrahlender radioaktiver Abfälle
aus der Nutzung der Atomkraft über Deponien und Müllverbrennungsanlagen
bewirkt:
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Radioaktive Strahlung aus der Nutzung der Atomkraft
gelangt unkontrolliert in menschliche Lebensbereiche. |
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Menschen werden unkontrolliert dieser radioaktiver
Strahlung ausgesetzt werden. |
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Bei Unfällen auf Deponien und in Verbrennungsöfen
würde ein Gemisch aus anderen Gefahrenstoffen mit radioaktiven
eine unmittelbare Bedrohung für die Gesundheit der Bevölkerung
und der Rettungsmannschaften darstellen. |
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Es kann zur Summation der Strahlung kommen, da die
Freigabe für jede dieser Anlagen erfolgte. Die NovelleStrSchVO
regelt diesen Fall nicht, eine Gesamterfassung wird nicht geregelt.
Aus mehreren Bereichen und über Jahre hinweg ist eine unkontrollierbare
Kumulation der Belastungen nicht zu vermeiden. |
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Es wird kein Grenzwert, sondern ein Richtwert festgelegt.
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§ 29 der NovelleStrSchVO besagt, dass eine Freigabe
erfolgen kann, "wenn für Einzelpersonen der Bevölkerung
nur eine effektive Dosis im Bereich von 10 Mikrosievert im Kalenderjahr
auftreten kann". |
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Nach der Rezyklierung und der Verbringung der radioaktiven
Abfälle auf Deponien und in Verbrennungsöfen kann der
weitere Weg der radioaktiven Stoffe in die Umwelt nicht verfolgt,
geschweige denn kontrolliert werden. Eine atomrechtliche Überwachung
der radioaktiven Stoffe und damit eine Kontrolle der Voraussetzungen
für die Beschränkung der Belastung auf ein Minimum ist
daher nicht möglich. |
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Durch die Verknüpfung der Freigaben an erwartete,
aber nicht bestimmbare und kontrollierbare Vermischungsverhältnisse
mit nicht kontaminierten Stoffen wird das gleichzeitige Verbot der
zielgerichteten Verdünnung im neuen § 29 StrSchV ad absurdum
geführt. Weiterhin wird bei der Rückrechnung von 10 mSv
auf die Freigabewerte eine Vermischung der Reststoffe unterstellt,
was praktisch zu einerUnterschätzung der Strahlenbelastung
führen kann. |
Zu 2.: In den umzusetzenden EU-Richtlinien ist die Kollektivdosis
als Begrenzung der Schädigung ausdrücklich vorgesehen. Durch
Weglassen dieser Kollektivdosis wird eklatant gegen die EU-Vorgaben
verstoßen, da z.B.:
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die Freigabe flüssiger Stoffe ohne Mengenbegrenzung
vorgesehen ist und |
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die Möglichkeit mehrerer "Entsorgung-"Anlagen
in EINER Region nicht auszuschließen ist (Musterbeispiel:
HANAU!). |
Zu 3.: Es ist davon auszugehen, dass die "Referenzperson"
einen - imaginären - Bürger der Bundesrepublik Deutschland
repräsentieren soll, wenn dies auch nicht ausdrücklich gesagt
wird. Allerdings bleibt das Geschlecht der Referenzperson unklar. Voraussetzung
für die Definition einer Referenzperson wären die Angaben
der anthropometrischen (Körpergröße u. - gewicht, Körperbau
etc.) sowie physiologischer Daten (Atemfrequenz, Atemvolumina, Energieumsatz
etc.) jeweils einschl. der Mittelwerte bzw. des Medians mit den zugehörigen
Standardabweichungen. Lediglich für das Lebensalter der Referenzperson(en)
enthält Anh. VII in Teil II und III einige rudimentäre Angaben
dergestalt, dass ein sehr grobes Raster für Altersklassen unter
18 Jahren vorgegeben wird; die Altersklassen über 17 Jahre werden
auch nicht ansatzweise differenziert. Zudem werden bezgl. Ernährungsgewonheiten
und Flüssigkeitsaufnahme unzulässige und teilweise schlicht
falsche Vorausssetzungen angenommen.
Zu 4.: Die Erkenntnisse über die Gefährlichkeit ionisierender
Strahlen haben sich seit den fünfziger Jahren grundlegend weiterentwickelt.
Bereits bei der Diskussion der Strahlenschutzverordnung von 1989 wurde
zugestanden, daß man nach dem Stand der Wissenschaft die Grenzwerte
für beruflich strahlenexponierte Personen eigentlich um den Faktor
10 verringern müßte - das hieß damals, von 50 Millisievert
pro Jahr auf 5 Millisievert pro Jahr. Aus Rücksicht auf die anderen
Europäischen Staaten hat man dann aber davon Abstand genommen.
Inzwischen sind mehr als 10 Jahre mit weiteren alarmierenden Befunden
vergangen. Gleichwohl setzt der Entwurf der Strahlenschutzverordnung
nicht den Stand der Erkenntnisse von 1989 um. Der Grenzwert für
beruflich strahlenexponierte Personen wird zwar gesenkt, jedoch nur
um den Faktor 2,5 (von 50 Millisievert auf 20 Millisievert).
Berücksichtigt man die erhebliche Verringerung der Anzahl tödlicher
Arbeitsunfälle in anderen Industriezweigen und damit die Veränderung
dess, was als gesellschaftlich "akzeptabel" angesehen werden
kann, würde sich ein zusätzlicher Druck in Richtung niedrigerer
Grenzwerte ergeben.
Gravierender ist, daß die Grenzwerte für die allgemeine Bevölkerung
- anders als das BMU verlautbaren lässt - nicht gesenkt werden.
Wie bisher darf die Bevölkerung durch Ableitungen über Luft
oder Wasser mit einer effektiven Dosis von nicht mehr als jeweils 0,3
Millisievert pro Jahr belastet werden. Mehr noch: Der Entwurf einer
neuen Strahlenschutzverordnung will zulassen, daß die Bevölkerung
mit einer effektiven Dosis von 1 Millisievert pro Jahr belastet werden
kann, unter Einschluß der bisherigen und weiterhin geltenden Grenzwerte
für Ableitungen . Praktisch ist damit eine neue Strahlenschutzkategorie
festgeschrieben worden, die bis zu 1 Millisievert Direktstrahlenbelastung
pro Jahr zuläßt - etwa bei CASTOR-Transporten. Selbst wenn
diese Regelung des Strahlenschutzes für CASTOR-Transporte erforderlich
wäre, kann sie jedenfalls nicht als Senkung der Grenzwerte für
die Bevölkerung verkauft
werden.
Für die Gesundheit von Menschen ist es ohne Belang, ob Zellen z.B.
durch Strontium aus einem Kernkraftwerk oder durch Radium aus dem Umfeld
des Uranbergbaus geschädigt werden. In der neuen Strahlenschutzverordnung
wird jedoch der Strahlenschutz für den Bereich der natürlichen
Strahlenbelastungen deutlich schlechter geregelt als für den Bereich
der künstlichen Strahlenbelastungen. So gibt es im Umgang mit natürlicher
Radioaktivität (z.B. Flugpersonal, Trinkwassergewinnung, Sanierung
von Altlasten der Wismut) keine "beruflich strahlenexponierten
Personen", mit den zu dieser Einstufung gehörenden besonderen
Rechten, Schutzmaßnahmen, Grenzwerten usw. An die Stelle klarer
Grenzwerte treten gummiartige Richtwerte, deren Einhaltung niemand mehr
einklagen kann. Die ArbeitnehmerInnen haben kein Recht, ihre Strahlenbelastung
zu erfahren. Den betroffenen ArbeitnehmerInnen und der anwohnenden Bevölkerung
wird eine deutlich höhere Strahlenbelastung bei gleichzeitig schlechterem
Strahlenschutz zugemutet.
Das ist aus medizinischer Sicht unbegründet und nicht akzeptabel.
Dahinter stehen wirtschaftliche Überlegungen, die sich als stärker
erwiesen haben, als die Überlegungen zum Schutz der Bürger
Zu 5: Die deutlich schlechtere Behandlung von BürgerInnen
und ArbeitnehmerInnen, die durch natürliche Radioaktivität
belastet werden, ist ungerecht. Sie stellt eine Fortsetzung des menschenverachtenden
Uranbergbaus in der Wismutregion im Süden der alten DDR dar. Aus
dieser Region stammen heute schon mehr als 20.000 Opfer der Kernenergienutzung.
Das sollte Grund genug dafür sein, diese Gruppe der Bevölkerung
mit besonderer Sorgfalt zu behandeln und zu unterstützen. Daher
ist vor allem hierbei die Unterscheidung zwischen "Tätigkeit"
und "Arbeit" (schlechtere Bedingungen für die "DDR-Altlasten",
die vor der Vereinigung "saniert" wurden) auf das Schärfste
zu verurteilen.
Die vorgesehene Begrenzung von 100 mSv in fünf Jahren kann zu
mehr als einer Verdoppelung der beruflichen Strahlenbelastung Einzelner
führen, sofern nicht gleichzeitig eine Lbenesarbeitzeitdosis eingeführt
und effektiv überwacht wird. Die heute vorgesehene Obergrenze liegt
bei 400 mSv, rechnerisch sind künftig:
(45 Arbeitsjahre:5) x 100 = 900 mSv möglich.
Zu 6: Bisher gilt aus guten Gründen, daß für
schwangere Frauen der Kontrollbereich kerntechnischer Anlagen gesperrt
war. Es war unstrittig, daß die Gefährdung des noch ungeborenen
Kindes durch ionisierende Strahlen besonders hoch ist. In der neuen
Strahlenschutzverordnung fällt dieser Schutz weg. Die Begründung
dieser Verschlechterung des Strahlenschutzes bezieht sich auf Karriereprobleme,
die die Mutter haben könnte, wenn sie für einige Monate nicht
im Kontrollbereich arbeiten darf. Das stellt den Gedanken des Strahlenschutzes
auf den Kopf und ist aus medizinischen Gründen völlig unakzeptabel.
Wenn es für die Ausbildung erforderlich ist, dürfen nach dem
Entwurf der neuen Strahlenschutzverordnung Jugendliche unter 18 Jahren
mit einer effektiven Dosis von bis zu 6 mSv pro Jahr belastet werden,
das ist 20 % mehr, als die alte Verordnung zuläßt.Die Grenzwerte
für beruflich strahlenexponierte Personen im § 55 der NovStrSchV2000
bedeuten eine drastische Verschlechterung des Strahlenschutzes für
beruflich strahlenexponierte Personen der Kategorie B und für die
Gruppe der unter-18-jährigen, "für Auszubildende und
Studenten, ...wenn dies zur Erreichung des Ausbildungsziels notwendig
ist."
In der StrSchV1989 waren alle Grenzwerte für die Kategorie B auf
etwas weniger als 1/3 der Grenzwerte für Kategorie A festgesesetzt.
In der NovStrSchV2000 gelten für Kategorie A und Kategorie B
jedoch die gleichen Werte.
Im Vergleich zur StrSchV1989 wurden dadurch die erfaßten Organdosisgrenzwerte
für die beruflich strahlenexponierte Personen der Kategorie B mehr
als verdreifacht.
Zu 7.: Ein noch weitergehender Vorschlag, der über Jahrzehnte
in der Anti-Atombewgung und in zahlreichen Äußerungen grüner
Politiker (z.B. auf die Diskussion der StrSchV1989 auf Seiten der Grünen)
zu finden war, besteht darin, die Beweislast nicht den ohnehin schon
geschädigten Opfern, sondern den Unternehmen aufzubürden.
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es heute mehr als 30.000 anerkannte
Fälle von Berufskrankheiten, die durch Arbeiten im Bereich der
Atomindustrie unter mangelhaften Schutzbestimmungen und Schutzmaßnahmen
hervorgerufen wurden. Entscheidungen über die Anerkennung strahlenbedingter
Berufskrankheiten beinhalten also in jedem Fall das Risiko, eine Fehlentscheidung
zu treffen. Wenn jemand das Risiko einer Fehlentscheidung in solchen
Verfahren ertragen kann, dann ist es die Industrie - nicht aber ein
todkranker Arbeitnehmer und dessen Familie.
Zu 8: Mit der aktuellen Praxis wird bei der Nutzung der Kernenergie
in der Bundesrepublik Deutschland den Arbeitnehmern und der Bevölkerung
ein mindestens zehnmal höheres Risiko zugemutet wurde als die Vertreter
von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik offiziell einzugestehen bereit
sind.
Nach wie vor beruhen die in der Novelle vorgeschlagenen Grenzwerte im
wesentlichen auf Todesfall-Statistiken. Damit wird das Grundrecht auf
körperliche Unversehrtheit nicht genügend berücksichtigt.
Ein makabres Beispiel: Das Brustdrüsenrisiko der Frau wird z.B.
auf die Hälfte reduziert, da das Strahlenrisiko für Brustkreb
bei Männern nicht ins Gewicht fällt!
Zu 9: Der Behauptung, die Bundesrepublik sei gezwungen, die
EU-Richtlinie in deutsches Recht umzusetzen, ist entgegenzuhalten: Die
Mitgliedstaaten können von der EU nicht gezwungen werden, rechtliche
Regelungen zu treffen, die den im Artikel 2;2 des Grundgesetzes verfassungsmäßig
verankerten Anspruch der Menschen auf Leben und Gesundheit mißachten.
Weitergehende Bestimmungen sind zudem ausdrücklich zugelassen (s.
z.B. Großbritannien).
Karl-W. Koch, KV Daun, Gründungsmitglied der atompolitischen Opposition
bei den Grünen
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