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Gesellschaft für Strahlenschutz e.V.
Dr. Sebastian Pflugbeil
Gormannstr. 17
10119 Berlin
pflugbeil.KvT@t-online.de

Stellungnahme zum Vermerk des BMU vom 24.7.2000

1 Der zur Zeit noch gültige Grenzwert von 50 mSv für die berufliche Strahlenexposition und das "0,3 mSv"-Konzept zum Schutz der Bevölkerung gehen zurück auf die Publikationen ICRP-1 von 1958 (§ 19) und ICRP 9 von 1965. Damals dachte man nur an die genetischen Folgen einer Strahlenexposition.
2 Die erste Strahlenschutzverordnung der BRD von 1976 übernahm diese damals 18 Jahre alten Empfehlungen. Zu diesem Zeitpunkt gab es die ersten Erfahrungen mit Krebs - das Risiko nach einer Strahlenbelastung an Leukämie zu Sterben, wurde auf 0,1 % eingeschätzt.
3 Ein Jahr später erschien 1977 die Publikation ICRP-26. Sie enthält einen Risikowert von 1 %, nach Strahlenbelastung an Krebs zu sterben. Das Risiko wurde also als 10mal höher eingeschätzt, als in der Strahlenschutzverordnung der BRD von 1976 vorausgesetzt wurde.
4 Die nächste Novellierung der Strahlenschutzverordnung erfolgte erst 13 Jahre später. 1989 bezieht sich die Strahlenschutzverordnung auf die Publikation ICRP-26. Sie akzeptiert damit das von der ICRP als 10mal höher eingeschätzte Risiko, nach Strahlenbelastung an Krebs zu sterben (1 %) - die Grenzwerte für beruflich Strahlenexponierte wie für Bevölkerung bleiben jedoch unverändert auf dem Stand von 1958/1965 bei 50 mSv pro Jahr bzw. dem "0,3 mSv-Konzept".

Während der Diskussion um die Strahlenschutzverordnung von 1989 gab es bereits harte Fakten, die zeigten, daß das Risiko noch höher ist, als in ICRP-26 angegeben wurde. Die Radiation Effects Research Foundation, die seit Anfang der 50er Jahre die Folgen der Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki erforscht, kam 1987 auf alarmierende Zahlen, die sofort weltweit diskutiert wurden. Die Autoren Preston und Pierce kamen auf Risikowerte zwischen 5,8 und 18 %. Diese wichtigen Daten wurden bei der Festlegung der Grenzwerte in der Strahlenschutzverordnung der BRD von 1989 ignoriert.

5 Wie bereits zuvor erschien kurz nach der Strahlenschutzverordnung der BRD von 1989 eine neue Publikation der ICRP. Es handelte sich um ICRP-60 von 1991. Die ICRP hat sich mit der Analyse von Preston und Pierce befaßt und einen bewährten Weg gefunden, die naheliegenden Konsequenzen abzufedern. Mit Hilfe eines Faktors wurden die hohen Risikozahlen wieder gestutzt - ICRP-60 gibt das Risiko aber immerhin mit 4 % (beruflich Strahlenexponierte) bzw. 5 % (Bevölkerung) an, also 4-5mal höher, als in ICRP-26. Diesmal zieht die ICRP Konsequenzen, sie empfiehlt, die Grenzwerte für beruflich Strahlenexponierte zu senken. Naheliegend wäre in der Denkweise der ICRP eine Senkung des Grenzwertes 50 mSv/Jahr auf ein Viertel, also auf 12,5 mSv. Tatsächlich empfiehlt die ICRP jedoch 20 mSv, bleibt also deutlich hinter den selbst errechneten Risikowerten zurück (erst recht natürlich hinter den nicht zurechtgebogenen Daten aus Hiroshima und Nagasaki). Für die Bevölkerung bleibt alles beim Alten.
6 Wieder dauert es mehr als 10 Jahre, bis die BRD ein erneute Novellierung der Strahlenschutzverordnung anpackt. Der Entwurf vom April 2000 löst eine scharfe Kritik durch die Umweltverbände, die IPPNW, die Gesellschaft für Strahlenschutz, Greenpeace und die Gewerkschaften aus. Auf die vorgetragenen Argumente gibt es bisher keine detaillierte Antwort.
Die Strahlenschutzverordnung folgt dem 10 Jahre alten Rat der ICRP und senkt die Grenzwerte für beruflich Strahlenexponierte um den Faktor 2,5, d.h. von 50 mSv auf 20 mSv pro Jahr. Damit ignoriert sie die Originaldaten von Hiroshima und Nagasaki von 1987, schließt sich der Verwendung sehr fragwürdiger Faktoren zur Rettung der Situation an und folgt in der Konsequenz - wie die ICRP selbst - nichteinmal den zurechtgebogenen Risikozahlen von 4 bzw. 5 %.
Im Sommer 2000 tagte UNSCEAR zur Beratung des UNSCEAR-Berichtes 2000, der m.E. noch nicht veröffentlicht wurde. In einer Pressemitteilung der Internationalen Atom-Energie-Organisation (Wien), ebenfalls einer Uno-Unterorganisation, wird berichtet, daß der zu erwar-tende Bericht auf ein Risiko, nach Strahlenbelastung an Krebs zu sterben, von 9 - 13 % kommt. Das liegt - wenn auch spät - durchaus in der Nähe der RERF-Publikation von 1987.

Wie zuvor liegen jedoch auch zum Zeitpunkt der aktuellen Novellierung der Strahlenschutzverordnung seit mehreren Jahren weitere neue Erkenntnisse aus Hiroshima und Nagasaki vor, die noch keinen Eingang in die großen internationalen Kompromißpapiere gefunden haben. In dem RERF-Report N°. 11-95 erschien vor 5 Jahren die Analyse der Krebssterblichkeit über den Zeitraum von 1950 bis 1990 (Rad. Res. 146, 1-27,(1996). Die Einbeziehung der Daten von 1986 bis 1990 hat zu einer nochmaligen Erhöhung der Risikowerte geführt. Für 30-50-jährige Männer ergibt sich ein Risiko von 10 %, für die Frauen von 14 %. Für Jugendliche/Männer zwischen 10 und 30 Jahren ergibt sich ein Risiko von 18 % und für die jungen Mädchen/Frauen im gleichen Alter sogar 25 %.

7 In Anbetracht der japanischen Daten erscheint besonders fragwürdig, daß der Schutz schwangerer Frauen und Jugendlicher zwischen 16 und 18 Jahren im Entwurf der neuen Strahlenschutzverordnung der BRD verschlechtert wird. Die Strahlenschutzverordnung geht von einem Risiko von 4 % für beruflich Strahlenbelastete aus. Die japanischen Daten zeigen deutlich, daß gerade junge Frauen besonders gefährdet sind, konkret etwa 6fach mehr, als die Strahlenschutzverordnung annimmt. Daß man künftig nun zulassen will, daß Schwangere in Kontrollbereichen arbeiten dürfen, damit ihre Karriere nicht vielleicht verzögert wird, ist anhand der vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse aus ethischen und medizinischen Gründen scharf abzulehnen. Es ist vielmehr ernsthaft zu erwägen, den Kontrollbereich nicht, wie bisher, nur für Schwangere, sondern auch für alle Frauen bis zu 30 Jahren zu sperren.
8 Risikobetrachtungen sind etwas abstrakt. Deshalb füge ich als Anlage eine Tabelle bei, aus der ersichtlich ist, welche Konsequenzen die Veränderungen von Risikofaktoren und Dosisgrenz-werten darauf hat, was man als maximal tolerierbares Risiko zu akzeptieren bereit ist. Es zeigt sich, daß sich im Weltbild der ICRP trotz der gesenkten Dosisgrenzwerte im Zeitraum von 1977 bis 1991 das maximal tolerierbare Risiko von 1/2000=0,0005 auf 1/1250=0,0008 erhöht hat. Die ICRP und mit ihr die neue Strahlenschutzverordnung muten trotz gesenkter Dosisgrenzwerte der Gesellschaft bei gleicher Strahlenbelastung mehr Tote zu als in ihrer Publikation ICRP-26 von 1977. Wagt man sich aus den wirtschaftlich-politischen Kompromissen der ICRP bzw. von UNSCEAR heraus und setzt die Originaldaten aus Japan in diese Betrachtung ein, so erscheint die Verschlechterung noch krasser. Für beruflich strahlenbelastete Frauen unter 30 Jahren galt 1977 als maximal tolerierbares Risiko, daß man bei Erreichen des Dosisgrenzwertes von 50 mSv mit einer Toten auf 2000 Frauen rechnen mußte. Mit dem heute vorgeschlagenen neuen Grenzwert von 20 mSv und dem o.g. neuen Risikofaktor für Frauen unter 30 folgt, daß wir tatsächlich akzeptieren sollen, daß bei Erreichen des neuen Grenzwertes von 20 mSv eine Tote auf 200 strahlenexponierte Frauen akzeptiert werden soll, also genau zehnmal soviel wie vor 23 Jahren. Das darf keinesfalls geschehen.
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