Frankfurter Rundschau

19.09.2001

Militärschutz für Atomfabriken in La Hague und Sellafield gefordert
Fachmann warnt vor möglichen Terror-Angriffen mit verheerenden Folgen / Anlagen gegen Flugzeugabsturz nicht gesichert
Von Joachim Wille

Die Wiederaufarbeitungsanlagen (WAA) im französischen La Hague und in Sellafield (Großbritannien) müssen nach Ansicht des Pariser Energie-Experten Mycle Schneider mit militärischen Mitteln gegen Terror-Attacken gesichert werden. Ein gezielter Flugzeugabsturz auf eine WAA hätte einer Studie zufolge weitaus schlimmere Folgen als der Tschernobyl-Super-Gau.

FRANKFURT A. M., 18. September. Die noch unveröffentlichte Untersuchung behandelt die Folgen möglicher schwerer Unfälle in den beiden Anlagen. Dort werden Atombrennstoffe aus mehreren europäischen Ländern, darunter Deutschland, und aus Japan wiederaufgearbeitet. Erstellt wurde die Studie von dem Energie-Informationsdienst "Wise" in Paris, Auftraggeber ist die Generaldirektion Forschung des Europäischen Parlaments.

Die Studie geht im Fall La Hague von einer Explosion oder einem Brand in einem der "Nasslager" aus, in denen die Wärme entwickelnden abgebrannten Brennstäbe vor ihrer Weiterverarbeitung gekühlt "abklingen" müssen. Eine Flugzeug-Attacke sei ein "noch schwerwiegenderes Szenario", sagte Wise-Leiter Schneider der FR. Würde nur das Cäsium-137-Inventar des kleinsten Abklingbeckens freigesetzt, entspräche dies der Studie zufolge mit 1,67 Tonnen der 67fachen Menge, die davon 1986 in Tschernobyl aus dem explodierten Reaktor entwich. Allein hierdurch würden, so Schneider, bis zu 1,5 Millionen Menschen an Krebs erkranken.

In La Hague befinden sich nach Wise-Angaben zurzeit etwa 7500 Tonnen abgebrannter Brennstäbe, ein Vielfaches des in Atomkraftwerken gelagerten Materials. Hinzu kämen 80 Tonnen des hochgiftigen Plutoniums, das bei der Wiederaufarbeitung anfällt. Auch die am besten geschützten Gebäude - darunter der Plutoniumbunker - würden nach Wise-Angaben nur den Absturz von kleineren Flugzeugen unbeschadet überstehen. Eine gezielte Attacke mit einem voll getankten Verkehrsflugzeug könne zu einer Katastrophe führen.

Der Sprecher der La-Hague-Betreibergesellschaft Cogema, Thomas Roser, bestätigte auf FR-Anfrage, dass in Frankreich die Möglichkeit von Flugzeugabstürzen bei der Auslegung von Atomanlagen bisher generell nicht berücksichtigt werde. "Dies gilt als so unwahrscheinlich, dass hierfür keine speziellen Vorkehrungen getroffen werden", sagte Roser. Gegen Terror-Anschläge sei "kein Kraut gewachsen".

Schneider hält eine bessere Abschirmung der Brennstab- und Plutonium-Lager in La Hague und Sellafield durch bauliche Maßnahmen nicht für machbar. Kurzfristig müssten die WAA mit Flugabwehrgeschützen geschützt werden. Mittelfristig sollten die Nasslager in La Hague aufgelöst und die abgebrannten Brennstäbe dezentral und gut gesichert an den AKW-Standorten untergebracht werden, empfiehlt er. Auch dies gebe keine völlige Sicherheit, räumt Schneider ein, zumal die AKW selbst nicht gegen Abstürze ausgelegt wurden. Immerhin sei dann aber das radioaktive Inventar am jeweiligen Standort kleiner als in La Hague.


[ document info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau 2001
Dokument erstellt am 18.09.2001 um 21:23:43 Uhr
Erscheinungsdatum 19.09.2001