Report Mainz 28.05.2001 Umstrittene Atommüllexporte - rot-grüne Widersprüche
Der Kampf gegen die Kernkraft hat einst die Grünen erst hervorgebracht. Mehr noch als die NATO-Nachrüstung war es die Nutzung der Atomenergie, die Linke, Ökologen und Pazifisten in einem mühsamen Prozess zu einer Partei zusammenschweißte. Seit die Grünen in Berlin regieren, bringt dieses Thema ihnen
mehr Last als Lust. In zwei Wochen wird der Atomkonsens feierlich besiegelt,
doch viele Fragen bleiben offen. Zum Beispiel die Castor-Transporte
aus deutschen Kraftwerken nach Sellafield und La Hague.
Applaus für Jürgen Trittin, den Umweltminister. Auf dem Parteitag der Grünen in Niedersachsen verkündet er: Die Industrie wird den Atomkonsens unterzeichnen. Sein größter Erfolg. O-Ton, Jürgen Trittin, 12.05.2001: Der Preis dafür ist hoch, gemessen an Jürgen Trittins eigenen Überzeugungen. Denn die Castor-Transporte rollen wieder. Ausgerechnet unter einem grünen Umweltminister wird der hochradioaktive Atommüll weiter ins Ausland exportiert. Das wollte Jürgen Trittin eigentlich immer verhindern. 1997 war er noch selbst dabei, in Gorleben, bei der Protestblokade gegen den Castor. Als Umweltminister wollte er sofort nach Regierungsantritt die Transporte per Gesetz verhindern, doch jetzt wird noch bis 2005 deutscher Atommüll ins französische La Hague und ins britische Sellafield gefahren. Sellafield. Die Atomfabrik, aus der schon kiloweise hochgiftiges Plutonium entwich. Die Liste der Störfälle füllt Bände. Krebs ist hier eine anerkannte Berufskrankheit. Trittin wollte die Lieferungen abstellen. Er gab als Minister eine Studie in Auftrag über die Strahlenbelastung durch die Wiederaufarbeitung in Sellafield und La Hague. Das brisante Ergebnis: Die Strahlung überschreitet die deutschen Imissionsgrenzwerte in La Hague um das Siebenfache, in Sellafield sogar um das Zwanzigfache. Die Meeresfrüchte aus der Umgebung sind so stark verstrahlt, dass sie eigentlich nicht verzehrt werden dürften. Angefertigt wurde die Studie vom Öko-Institut Darmstadt, vorgelegt bereits im Februar 2000. Doch bis heute hat sie der Minister nur bruchstückhaft veröffentlicht. REPORT Mainz zeigte die Studie Professor Wolfgang Köhnlein, Strahlenbiologe an der Universität Münster und stellvertretender Vorsitzender der deutschen Strahlenschutzkommission. Frage: Ist diese Strahlenbelastung dort in La Hague und Sellafield denn noch zumutbar? O-Ton, Prof. Wolfgang Köhnlein, Strahlenbiologe Universität Münster: "Ich glaube, die ist, ich würde so sagen: Für mich ist sie nicht zumutbar, denn sie bedeutet, dass es Menschen geben wird, die dort wohnen, die infolge dieser Emissionen aus den kerntechnischen Anlagen krank werden bzw. ihre Kinder erkranken werden. Und die würden das nicht, wenn es diese Anlagen nicht gäbe." Der Friedhof vor Sellafield. Mehr als 30 Menschen starben hier in der Gegend an Leukämie und Schilddrüsenkrebs. Der Studie zufolge sind die Anlagen hoffnungslos veraltet. Technisch wäre es machbar, die radioaktive Strahlung um das 10.000-fache zu verringern. Erforderlich wäre es allemal. In La Hague, der weltweit größten Atomfabrik, der selbe Befund. Doch auch hier bleibt Deutschland der wichtigste Kunde. Die Betreiber erwarten noch in diesem Jahr 250 Tonnen Atommüll aus Deutschland. O-Ton, Rebecca Harms, Parteirat B'90 / Grüne: Auch das Europäische Parlament lässt derzeit eine Studie zu La Hague und Sellafield anfertigen. Der Abschlussbericht wird in den nächsten Wochen erwartet. Dem internen Zwischenbericht zufolge, verstößt die Strahlenbelastung gegen internationale Umweltabkommen. Der energiepolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament fordert daher einen sofortigen Stopp der Wiederaufarbeitung. O-Ton, Claude Turmes, MdEP, Grüne (Luxemburg): Die europäischen Grünen fordern jetzt den sofortigen Stopp der Wiederaufarbeitung. Dafür kämpfen die britischen Grünen schon lange. Ihre Europaabgeordnete Caroline Lucas ist von den Regierungsgrünen in Deutschland enttäuscht, denn die fallen ihr de facto in den Rücken. O-Ton, Caroline Lucas, MdEP, Green Party (GB),: Auch Greenpeace kämpft schon seit langem gegen die Wiederaufbereitung. In den vergangenen Jahren haben die Aktivisten immer wieder die radioaktive Strahlung an den Pipelines der Atomfabriken gemessen. Das Meer wird immer stärker verseucht. Denn das Geschäft mit dem Atommüll aus Deutschland läuft wieder. Die Bundesregierung wollte es eigentlich sofort abstellen. So stand es noch im Koalitionspapier. O-Ton, Veit Bürger, Greenpeace: Wahlbetrug? REPORT Mainz will Jürgen Trittin dazu hören. Doch der Minister lässt uns zunächst hinhalten, dann verweigert uns sein Sprecher ein Interview mit ihm. Wir haben ihn trotzdem gefragt. Frage: Herr Trittin, Tag, REPORT Mainz. Was sagen Sie denn zu der neuen Studie über Sellafield und La Hague? O-Ton, Jürgen Trittin, Umweltminister, B'90 / Grüne: Frage: Ist denn die Wiederaufarbeitung noch zumutbar, den Leuten in England und Frankreich? O-Ton, Jürgen Trittin, Umweltminister, B'90 / Grüne: Frage: Aber ist denn die Aufarbeitung in der Form legal aus deutscher Sicht? O-Ton, Jürgen Trittin, Umweltminister, B'90 / Grüne: Frage: Und aus deutscher Sicht? O-Ton, Jürgen Trittin, Umweltminister, B'90 / Grüne: Ein Ablenkungsmanöver, denn für die Entsorgung von deutschem Atommüll, wohin auch immer, gilt das deutsche Atomgesetz. Und dort heißt es: Radioaktiver Müll muss schadlos entsorgt werden. In La Hague und Sellafield aber, so Trittins eigene Studie, ist gerade dies nicht der Fall. Wie zeigen die Studie Professor Alexander Roßnagel, einem Atomrechtsexperten an der Universität Kassel. O-Ton, Prof. Alexander Roßnagel, Atomrechtsexperte: Wir halten fest: Trotz des immer wieder angekündigten Stopps rollen die Castor-Transporte, die Umwelt wird weiter vergiftet, der Minister unterdrückt eigene Studien und toleriert einen möglichen Verstoß gegen das Atomgesetz.
Nicht gerade ein Beispiel für Transparenz.
Bundesumweltministerium: www.bmu.de Bundesamt für Strahlenschutz: www.bfs.de Greenpeace: www.greenpeace.de Öko-Institut: www.oeko-institut.org Bündnis 90 / Die Grünen www.gruene.de |